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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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schönsten Punkten der Landschaft stößt, besonders wo von freien Höhen sich
ein weiter Blick auf lachende Gegenden öffnet, oder liebliche Ufer sich in
grünen Gewässern spiegeln. Vor allem waren die hell schimmernden Küsten,
die das wundervolle Blau des mittelländischen Meeres säumen, mit Bitten
und Badeorten bedeckt. Der Golf von Neapel war von Miseno bis Sorrent
mit einer ununterbrochenen Reihe von Städten, Flecken und Landhäusern
eingefaßt. Hier in paradiesischer Umgebung, unter dem schönsten Himmel, lag
Bajü, das erste Luxusbad der alten Welt. Klein wie das Städtchen war,
prangte es doch mit einer Anzahl kaiserlicher Paläste, in deren Pracht jeder
Monarch seine Vorgänger zu überbieten suchte, mit großartigen Anstalten
für die Cur der Kranken und glänzenden Gebäuden für den Aufenthalt und
die Vergnügungen der Gesunden. Die überschwengliche Schönheit der Natur,
die herrliche Milde und Klarheit der Luft, die wolkenlose Bläue des Himmels
-- alles lud hier zum Genuß des Moments, zur seligen Vergessenheit der
übrigen Welt ein, und prachtvolle Feste, in dieser Umgebung doppelt
zauberisch, reihten sich in ununtervrocheuer Folge aneinander. Aus den Wogen
des sanftesten Meers schaukelten zahllose bunte Barken und Gondeln, unter denen
hier und da eine fürstliche Prachtgaleere steuerte. Heitere rosenbekränzte Ge¬
sellschaften waren zu festlichen Schmäusen an Bord od.er am Strande vereint.
Ufer und Meer erschallten vom Morgen bis zum Abend von Gesängen und
rauschender Musik, Betrunkene einhertaumeln zu sehen war ein gewöhnlicher
Anblick. Zärtliche Paare suchten die Einsamkeit der Myrtenhaine, oder ließen
sich auf die See hinausrudern. Die Kühle des Abends und der Nacht lud
zu neuen Festen und Lustfahrten ein, und der Schlaf der Badegäste wurde
bald durch Serenaden, bald durch das laute Gezänk aneinande, gerathener
Rivalen gestört. Die Ueppigkeit und Ziellosigkeit des bajanischen Bade¬
lebens war sprichwörtlich. Seneca nennt es eine Herberge der Laster. Von
Frauen wurde Bajä besonders viel besucht und mancher Curgast, sagt der
galante Ovid, trägt statt der gehofften Heilung eine Wunde in der Brust davon.
Für weibliche Tugend galt es als ein höchst gefährlicher Ort: schon manches
zärtliche Verhältniß, klagt Properz, habe dieses böse Bad gelöst. Ein Fall,
den Martial erzählt, daß eine höchst prüde Frau, die in Bajä als Penelope
ankam, es als Helena verließ d. h. mit einem Liebhaber davonlief, scheint
dort sehr gewöhnlich gewesen zu sein. Eine nicht geringere Zügellosigkeit
herrschte in andern Bädern, besonders in Canopus, an der Nordküste
Aegyptens, drei Meilen östlich von Alexandrien. Hier vollends konnte man,
von allen Achseln der Convenienz befreit, auch die extravagantesten Neigungen
befriedigen. Manche vornehme Römerin, die sonst nicht die geringste Seereise
ertrug, ohne heftige Anfälle der Seekrankheit zu bekommen, hielt die Fahrt
nach Canopus tapfer aus. wenn sie sich ihrem Gemahl von einem Gladiator


schönsten Punkten der Landschaft stößt, besonders wo von freien Höhen sich
ein weiter Blick auf lachende Gegenden öffnet, oder liebliche Ufer sich in
grünen Gewässern spiegeln. Vor allem waren die hell schimmernden Küsten,
die das wundervolle Blau des mittelländischen Meeres säumen, mit Bitten
und Badeorten bedeckt. Der Golf von Neapel war von Miseno bis Sorrent
mit einer ununterbrochenen Reihe von Städten, Flecken und Landhäusern
eingefaßt. Hier in paradiesischer Umgebung, unter dem schönsten Himmel, lag
Bajü, das erste Luxusbad der alten Welt. Klein wie das Städtchen war,
prangte es doch mit einer Anzahl kaiserlicher Paläste, in deren Pracht jeder
Monarch seine Vorgänger zu überbieten suchte, mit großartigen Anstalten
für die Cur der Kranken und glänzenden Gebäuden für den Aufenthalt und
die Vergnügungen der Gesunden. Die überschwengliche Schönheit der Natur,
die herrliche Milde und Klarheit der Luft, die wolkenlose Bläue des Himmels
— alles lud hier zum Genuß des Moments, zur seligen Vergessenheit der
übrigen Welt ein, und prachtvolle Feste, in dieser Umgebung doppelt
zauberisch, reihten sich in ununtervrocheuer Folge aneinander. Aus den Wogen
des sanftesten Meers schaukelten zahllose bunte Barken und Gondeln, unter denen
hier und da eine fürstliche Prachtgaleere steuerte. Heitere rosenbekränzte Ge¬
sellschaften waren zu festlichen Schmäusen an Bord od.er am Strande vereint.
Ufer und Meer erschallten vom Morgen bis zum Abend von Gesängen und
rauschender Musik, Betrunkene einhertaumeln zu sehen war ein gewöhnlicher
Anblick. Zärtliche Paare suchten die Einsamkeit der Myrtenhaine, oder ließen
sich auf die See hinausrudern. Die Kühle des Abends und der Nacht lud
zu neuen Festen und Lustfahrten ein, und der Schlaf der Badegäste wurde
bald durch Serenaden, bald durch das laute Gezänk aneinande, gerathener
Rivalen gestört. Die Ueppigkeit und Ziellosigkeit des bajanischen Bade¬
lebens war sprichwörtlich. Seneca nennt es eine Herberge der Laster. Von
Frauen wurde Bajä besonders viel besucht und mancher Curgast, sagt der
galante Ovid, trägt statt der gehofften Heilung eine Wunde in der Brust davon.
Für weibliche Tugend galt es als ein höchst gefährlicher Ort: schon manches
zärtliche Verhältniß, klagt Properz, habe dieses böse Bad gelöst. Ein Fall,
den Martial erzählt, daß eine höchst prüde Frau, die in Bajä als Penelope
ankam, es als Helena verließ d. h. mit einem Liebhaber davonlief, scheint
dort sehr gewöhnlich gewesen zu sein. Eine nicht geringere Zügellosigkeit
herrschte in andern Bädern, besonders in Canopus, an der Nordküste
Aegyptens, drei Meilen östlich von Alexandrien. Hier vollends konnte man,
von allen Achseln der Convenienz befreit, auch die extravagantesten Neigungen
befriedigen. Manche vornehme Römerin, die sonst nicht die geringste Seereise
ertrug, ohne heftige Anfälle der Seekrankheit zu bekommen, hielt die Fahrt
nach Canopus tapfer aus. wenn sie sich ihrem Gemahl von einem Gladiator


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[0095] schönsten Punkten der Landschaft stößt, besonders wo von freien Höhen sich ein weiter Blick auf lachende Gegenden öffnet, oder liebliche Ufer sich in grünen Gewässern spiegeln. Vor allem waren die hell schimmernden Küsten, die das wundervolle Blau des mittelländischen Meeres säumen, mit Bitten und Badeorten bedeckt. Der Golf von Neapel war von Miseno bis Sorrent mit einer ununterbrochenen Reihe von Städten, Flecken und Landhäusern eingefaßt. Hier in paradiesischer Umgebung, unter dem schönsten Himmel, lag Bajü, das erste Luxusbad der alten Welt. Klein wie das Städtchen war, prangte es doch mit einer Anzahl kaiserlicher Paläste, in deren Pracht jeder Monarch seine Vorgänger zu überbieten suchte, mit großartigen Anstalten für die Cur der Kranken und glänzenden Gebäuden für den Aufenthalt und die Vergnügungen der Gesunden. Die überschwengliche Schönheit der Natur, die herrliche Milde und Klarheit der Luft, die wolkenlose Bläue des Himmels — alles lud hier zum Genuß des Moments, zur seligen Vergessenheit der übrigen Welt ein, und prachtvolle Feste, in dieser Umgebung doppelt zauberisch, reihten sich in ununtervrocheuer Folge aneinander. Aus den Wogen des sanftesten Meers schaukelten zahllose bunte Barken und Gondeln, unter denen hier und da eine fürstliche Prachtgaleere steuerte. Heitere rosenbekränzte Ge¬ sellschaften waren zu festlichen Schmäusen an Bord od.er am Strande vereint. Ufer und Meer erschallten vom Morgen bis zum Abend von Gesängen und rauschender Musik, Betrunkene einhertaumeln zu sehen war ein gewöhnlicher Anblick. Zärtliche Paare suchten die Einsamkeit der Myrtenhaine, oder ließen sich auf die See hinausrudern. Die Kühle des Abends und der Nacht lud zu neuen Festen und Lustfahrten ein, und der Schlaf der Badegäste wurde bald durch Serenaden, bald durch das laute Gezänk aneinande, gerathener Rivalen gestört. Die Ueppigkeit und Ziellosigkeit des bajanischen Bade¬ lebens war sprichwörtlich. Seneca nennt es eine Herberge der Laster. Von Frauen wurde Bajä besonders viel besucht und mancher Curgast, sagt der galante Ovid, trägt statt der gehofften Heilung eine Wunde in der Brust davon. Für weibliche Tugend galt es als ein höchst gefährlicher Ort: schon manches zärtliche Verhältniß, klagt Properz, habe dieses böse Bad gelöst. Ein Fall, den Martial erzählt, daß eine höchst prüde Frau, die in Bajä als Penelope ankam, es als Helena verließ d. h. mit einem Liebhaber davonlief, scheint dort sehr gewöhnlich gewesen zu sein. Eine nicht geringere Zügellosigkeit herrschte in andern Bädern, besonders in Canopus, an der Nordküste Aegyptens, drei Meilen östlich von Alexandrien. Hier vollends konnte man, von allen Achseln der Convenienz befreit, auch die extravagantesten Neigungen befriedigen. Manche vornehme Römerin, die sonst nicht die geringste Seereise ertrug, ohne heftige Anfälle der Seekrankheit zu bekommen, hielt die Fahrt nach Canopus tapfer aus. wenn sie sich ihrem Gemahl von einem Gladiator

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/95>, abgerufen am 30.12.2024.