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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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fleus die eine Phrase weniger und die andere mehr gehabt. Uebrigens hebt
der zweite der oben angeführten Gründe den durchsichtigen Schleier jener Ge¬
fügigkeit unter ein Unterhausvotum vollends auf. Ich bin Minister, sagt
D'Jsraeli. und mehr als einem Minister ist es geschehen, daß er in der
Opposition anders gedacht und gesprochen hat. als später auf dem Minister¬
sitz, also kann es mir ebenso gegangen sein. Es ist das nun gewiß sür sehr
viele Fülle richtig, und zwar meist aus dem einfachen Grunde, daß bei einem
Mitglieds der Opposition und einem Minister die Frage der Verantwortlichkeit
sich ganz anders gestaltet. Allein zwischen der Anerkennung dieser Thatsache
und der Erhebung derselben zu einem Grundsatze des öffentlichen Lebens
liegt noch ein weiter Unterschied. Etwas häklich ist eine solche Sinnes-
Umänderung immer und selbst in der günstigsten Auffassung weist sie darauf
hin, daß man früher sein Auge vor den Wirklichkeiten des Lebens verschlossen
hat; sie kann auch für die wichtigsten Fragen als verhültnißmäßig ungefähr¬
lich betrachtet werden, und sie kann es auch dann nur, wenn sie mit dem
ausgesprochenen Bewußtsein der Verantwortlichkeit für die gefaßten Beschlüsse
geschieht. Wer aber die Sinnesänderung als etwas Selbstverständliches hin¬
stellt, oder richtiger, wer erklärt, er habe opponire, eben weil er nicht Mi¬
nister gewesen, und wäre er schon früher Minister gewesen, so hätte er nichts
opponire, der zeigt einen viel geringern Sinn für Verantwortlichkeit als für
den Besitz der Macht. Wer so denkt und spricht, der wird, sofern er Anklang
findet, nothwendig mit der Zeit die Opposition für den anderswo oft gemach¬
ten Vorwurf der Grundsatzlosigkeit reif machen; er wird auch der überzeugten
und gerechtfertigten Opposition die Einrede nicht abwehren können, sie handle
nicht nach Ueberzeugung, sondern nach politischer Convenienz, denn wer ein¬
mal lügt u. s. w. Und ferner, wo soll dabei das Material zu den Oppo¬
sitionen herkommen, die stets bereit sein sollen, das Heft selber in die Hand
zu nehmen? Wer bürgt dasür, daß der Tausch der Minister auch ein Tausch
der Maßregeln und der Ansichten sei? Wir sehen in dieser ganzen Sachlage
einmal die wirkliche Unfähigkeit D'Jsraelis, etwas Anderes zu sein als ein
bloßer Lückenbüßer, dann aber auch den Beweis für die innere Haltlosigkeit
des jetzigen englischen Ministeriums. Ein Mann, der mehr ist, als ein glän¬
zender Redner, als ein gewandter parlamentarischer Diplomat, hätte auch
als Führer der Opposition seine Verantwortlichkeit nicht ganz vergessen, und
bei aller Schärfe der Einwendungen das wirklich durch die Umstände Gebotene-
nickt mit dem als verkehrt Erkannten in dieselbe Schale der Verdammung ge¬
worfen; und selbst wenn er sich in dieser frühern Stellung übereilt hätte, er
hätte es in der neuen ausgesprochen klar und bündig; seine Sinnesänderung
aber nicht durch das Präccdens früherer Minister motivirt, die gleichfalls in
der verantwortlicheren Stellung anders gedacht und gehandelt haben. Was


fleus die eine Phrase weniger und die andere mehr gehabt. Uebrigens hebt
der zweite der oben angeführten Gründe den durchsichtigen Schleier jener Ge¬
fügigkeit unter ein Unterhausvotum vollends auf. Ich bin Minister, sagt
D'Jsraeli. und mehr als einem Minister ist es geschehen, daß er in der
Opposition anders gedacht und gesprochen hat. als später auf dem Minister¬
sitz, also kann es mir ebenso gegangen sein. Es ist das nun gewiß sür sehr
viele Fülle richtig, und zwar meist aus dem einfachen Grunde, daß bei einem
Mitglieds der Opposition und einem Minister die Frage der Verantwortlichkeit
sich ganz anders gestaltet. Allein zwischen der Anerkennung dieser Thatsache
und der Erhebung derselben zu einem Grundsatze des öffentlichen Lebens
liegt noch ein weiter Unterschied. Etwas häklich ist eine solche Sinnes-
Umänderung immer und selbst in der günstigsten Auffassung weist sie darauf
hin, daß man früher sein Auge vor den Wirklichkeiten des Lebens verschlossen
hat; sie kann auch für die wichtigsten Fragen als verhültnißmäßig ungefähr¬
lich betrachtet werden, und sie kann es auch dann nur, wenn sie mit dem
ausgesprochenen Bewußtsein der Verantwortlichkeit für die gefaßten Beschlüsse
geschieht. Wer aber die Sinnesänderung als etwas Selbstverständliches hin¬
stellt, oder richtiger, wer erklärt, er habe opponire, eben weil er nicht Mi¬
nister gewesen, und wäre er schon früher Minister gewesen, so hätte er nichts
opponire, der zeigt einen viel geringern Sinn für Verantwortlichkeit als für
den Besitz der Macht. Wer so denkt und spricht, der wird, sofern er Anklang
findet, nothwendig mit der Zeit die Opposition für den anderswo oft gemach¬
ten Vorwurf der Grundsatzlosigkeit reif machen; er wird auch der überzeugten
und gerechtfertigten Opposition die Einrede nicht abwehren können, sie handle
nicht nach Ueberzeugung, sondern nach politischer Convenienz, denn wer ein¬
mal lügt u. s. w. Und ferner, wo soll dabei das Material zu den Oppo¬
sitionen herkommen, die stets bereit sein sollen, das Heft selber in die Hand
zu nehmen? Wer bürgt dasür, daß der Tausch der Minister auch ein Tausch
der Maßregeln und der Ansichten sei? Wir sehen in dieser ganzen Sachlage
einmal die wirkliche Unfähigkeit D'Jsraelis, etwas Anderes zu sein als ein
bloßer Lückenbüßer, dann aber auch den Beweis für die innere Haltlosigkeit
des jetzigen englischen Ministeriums. Ein Mann, der mehr ist, als ein glän¬
zender Redner, als ein gewandter parlamentarischer Diplomat, hätte auch
als Führer der Opposition seine Verantwortlichkeit nicht ganz vergessen, und
bei aller Schärfe der Einwendungen das wirklich durch die Umstände Gebotene-
nickt mit dem als verkehrt Erkannten in dieselbe Schale der Verdammung ge¬
worfen; und selbst wenn er sich in dieser frühern Stellung übereilt hätte, er
hätte es in der neuen ausgesprochen klar und bündig; seine Sinnesänderung
aber nicht durch das Präccdens früherer Minister motivirt, die gleichfalls in
der verantwortlicheren Stellung anders gedacht und gehandelt haben. Was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/90>, abgerufen am 21.12.2024.