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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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reich muß sich dann aber auch noch ein anderer hemmender Einfluß kundgeben,
der im übrigen Europa bereits entschieden genug hervorgetreten ist: die
Folgen des Mißtrauens in die Dauer der jetzigen französischen Zustande, Vor
der Krisis konnten Handel und Verkehr nur indirect und allmälig davon an¬
gegriffen werden, da die im Gange befindlichen Unternehmungen aller Art
darum noch nicht ins Stocken geriethen; anders jetzt, wo aus andern mit¬
wirkenden Ursachen diese Stockung schou vorhanden ist. Der Wiederaufbau
nimmt natürlich auf solche Verhältnisse wie im jetzigen Frankreich eine be¬
wußte Rücksicht, während man früher sie sich gefallen lassen, und ihre Folgen
mitnehmen mußte, weil man einmal mitten in der Geschäftstätigkeit war.
Daß die seit dem 14, Januar d, I, vom französischen Kniserthum angenom¬
mene Stellung das unheimliche Gefühl, das in dieser Beziehung unlengbcir
in Europa vorwaltet, nur vermehrt hat, versteht sich von selbst. Das Atten¬
tat war ohnehin schon geeignet genug, um die Unsicherheit der dermaligen
öffentlichen Zustände Europas vor das geistige Auge zu bringen. Es wäre
mehr als wunderbar, wenn ein durch eine allgemeine fürchterliche Krisis un-
terwühlter Verkehr unter solchen Umständen sich wesentlich erholen könnte. Die
unmittelbaren Bedürfnisse der Konsumtion werden allerdings nach wie vor
ihre Befriedigung finden müssen und werden daran sich eine Anzahl von Hilfs-
thäligkciten anreihen können; aber zu einer Heilung der Verkehrslühmung be¬
darf es eines größern Vertrauens in die Zukunft, als jetzt vorhanden sein
kann. Große Unternehmungen aller Art bedürfen zu ihrer Entwicklung vor
allem stets der Zeit. Eine gewisse Lebhaftigkeit des Handels kann sich daher
unter Umständen vielleicht entwickeln, eine große und andauernde keinenfalls.
Im I. 1800 lagen die Sachen ganz anders, weder war die Krisis so all¬
gemein gewesen, noch war damals bei viel langsamerem Verkehr das einzelne
Handelsgebiet so empfindlich für die Vorgänge des andern geworden und
obendrein war der 3. Nov. 1799 (der 18. Brumaire d. I. VIII.) der Anfang
des wieder befestigten Vertrauens aus den Wirren der Revolution für Frank¬
reich und Europa geworden.

Die Verluste der jüngsten Vergangenheit sind groß gewesen, und unser
Vaterland ist hart davon mit betroffen worden, und ist die vielfach ein¬
getretene Arbeitslosigkeit nicht der kleinste Schaden. Sie führt zu ungewohn¬
ten Entbehrungen und sie demoralisirt. doppelt schlimm, nachdem die Plus-
macherei auch in Deutschland so manche bedenkliche Erscheinungen hervor¬
gerufen hat. Wie die Leute sich freuen, wenn eine "großartige Unternehmung"
ins Leben gerufen wird, wie sie jubiliren, falls sie am Course etwelche Pro-
cente verdienen! Aber daran dachte und denkt man leider zu wenig, wie die
selbstständige ernährende und verzehrende Kraft der großen Menge zu heben
sei, nicht durch besondere Wohlthaten oder besondere Rechte, sondern dadurch.


reich muß sich dann aber auch noch ein anderer hemmender Einfluß kundgeben,
der im übrigen Europa bereits entschieden genug hervorgetreten ist: die
Folgen des Mißtrauens in die Dauer der jetzigen französischen Zustande, Vor
der Krisis konnten Handel und Verkehr nur indirect und allmälig davon an¬
gegriffen werden, da die im Gange befindlichen Unternehmungen aller Art
darum noch nicht ins Stocken geriethen; anders jetzt, wo aus andern mit¬
wirkenden Ursachen diese Stockung schou vorhanden ist. Der Wiederaufbau
nimmt natürlich auf solche Verhältnisse wie im jetzigen Frankreich eine be¬
wußte Rücksicht, während man früher sie sich gefallen lassen, und ihre Folgen
mitnehmen mußte, weil man einmal mitten in der Geschäftstätigkeit war.
Daß die seit dem 14, Januar d, I, vom französischen Kniserthum angenom¬
mene Stellung das unheimliche Gefühl, das in dieser Beziehung unlengbcir
in Europa vorwaltet, nur vermehrt hat, versteht sich von selbst. Das Atten¬
tat war ohnehin schon geeignet genug, um die Unsicherheit der dermaligen
öffentlichen Zustände Europas vor das geistige Auge zu bringen. Es wäre
mehr als wunderbar, wenn ein durch eine allgemeine fürchterliche Krisis un-
terwühlter Verkehr unter solchen Umständen sich wesentlich erholen könnte. Die
unmittelbaren Bedürfnisse der Konsumtion werden allerdings nach wie vor
ihre Befriedigung finden müssen und werden daran sich eine Anzahl von Hilfs-
thäligkciten anreihen können; aber zu einer Heilung der Verkehrslühmung be¬
darf es eines größern Vertrauens in die Zukunft, als jetzt vorhanden sein
kann. Große Unternehmungen aller Art bedürfen zu ihrer Entwicklung vor
allem stets der Zeit. Eine gewisse Lebhaftigkeit des Handels kann sich daher
unter Umständen vielleicht entwickeln, eine große und andauernde keinenfalls.
Im I. 1800 lagen die Sachen ganz anders, weder war die Krisis so all¬
gemein gewesen, noch war damals bei viel langsamerem Verkehr das einzelne
Handelsgebiet so empfindlich für die Vorgänge des andern geworden und
obendrein war der 3. Nov. 1799 (der 18. Brumaire d. I. VIII.) der Anfang
des wieder befestigten Vertrauens aus den Wirren der Revolution für Frank¬
reich und Europa geworden.

Die Verluste der jüngsten Vergangenheit sind groß gewesen, und unser
Vaterland ist hart davon mit betroffen worden, und ist die vielfach ein¬
getretene Arbeitslosigkeit nicht der kleinste Schaden. Sie führt zu ungewohn¬
ten Entbehrungen und sie demoralisirt. doppelt schlimm, nachdem die Plus-
macherei auch in Deutschland so manche bedenkliche Erscheinungen hervor¬
gerufen hat. Wie die Leute sich freuen, wenn eine „großartige Unternehmung"
ins Leben gerufen wird, wie sie jubiliren, falls sie am Course etwelche Pro-
cente verdienen! Aber daran dachte und denkt man leider zu wenig, wie die
selbstständige ernährende und verzehrende Kraft der großen Menge zu heben
sei, nicht durch besondere Wohlthaten oder besondere Rechte, sondern dadurch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/84>, abgerufen am 30.12.2024.