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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Theil nicht unbedeutenden Bankerotten brach aus; aber Bremen ist nicht wie
Hamburg ein nach allen Richtungen bin verzweigter Wechsclplatz, und konnte
es daher ihm durch eigne Anstrengungen gelingen, die schlimmste Zeit zu
überwettern. Und wie die Weserzeitung es damals aussprach, Bremen hat
nicht so gesündigt wie Hamburg, es hatte aber auch nicht Verführungen ge¬
habt wie dieses. In Lübeck, das jetzt eigentlich kaum mehr als der Spedi¬
tionsplatz Hamburgs für den nordischen Handel ist, ging die Kopflosigkeit so
weit, das; man die allgemeine deutsche Wechselordnung antastete, und oben¬
drein gradem der Bestimmung, welche eine der wesentlichsten Grundlagen des
Wechselcredits bildet, blos weil man sie augenblicklich unbequem fand. In
den deutschen Fabrikdistricten am Rhein, in Westphalen, in Sachsen, in Thü¬
ringen u. s. w. brachen ungeheure Verluste herein. die zum Theil zum völligen
Stillstand führten. Allenthalben aber gab sich Geschäftslosigkeit und Mangel
an Vertrauen kund.

So ist es denn auch noch im gegenwärtigen Augenblick und vergebens
forscht man noch nach den Spuren eines Besserwerdens. Als im I. 1799
die vorletzte große Handelskrisis über Hamburg hereinbrach, da hinderte sie
doch nicht, daß das I. 1800 eins der besten Geschäftsjahre wurde. Aehn-
liche Erwartungen sprach man im December v. I. aus, und wenn sie sich
nicht erfüllen dürften, fo liegt dies theilweise zwar an den in Hamburg vor¬
gekommenen Mißgriffen, mehr aber noch in den gänzlich veränderten allge¬
meinen Beziehungen und gewissen großen Leiden unserer Gegenwart.

Wir haben oben die jetzigen politischen Zustände Frankreichs als
einen der Ausgangspunkte zur Krisis bezeichnet, und wir stehen nicht an, in
ihnen auch eine der Ursachen zu erblicken, weshalb der Verkehr nicht wieder
anhaltend gesunden will. In Frankreich allerdings hat scheinbar die Krisis
am wenigsten gewirkt, und die kaiserliche Presse hat denn auch nicht erman-
gelt, sich darüber die gehörigen Komplimente zu machen. Aber - die eigent¬
liche Krisis lag bereits im Herbst v. I. vollendet da, jene Baissebewegung an
der Fondsbörse, über welche wochenlang die Fondsberichtc alltäglich jammer¬
ten und welcher der Credit-Molnlicr des Herrn Pereire am wenigsten abhelfen
konnte. Eine Handelskrisis konnte ferner in Frankreich darum nicht ausbre¬
chen, weil der französische Handelsverkehr in der That nur eine Nebenrolle im
Weltverkehr spielt, wie er denn durch die französische Zollgesetzgebung sast nur
innerhalb der Grenzen einer sehr primitiven Ein- und Ausfuhr eingezwängt
ist. trotz des Umfangs in einzelnen Handelsbranchcn. Die Krisis in der fran¬
zösischen Industrie dagegen konnte sich nur mit der Zeit ausbilden, sobald
nämlich die Rückwirkung auf die heimischen Fabriken eintrat, und diese ist
denn auch in empfindlichster Weise nicht ausgeblieben, seitdem der Verkehr
an sämmtlichen großen Handelsplätzen ins Stocken gerathen ist. In Frank-


Theil nicht unbedeutenden Bankerotten brach aus; aber Bremen ist nicht wie
Hamburg ein nach allen Richtungen bin verzweigter Wechsclplatz, und konnte
es daher ihm durch eigne Anstrengungen gelingen, die schlimmste Zeit zu
überwettern. Und wie die Weserzeitung es damals aussprach, Bremen hat
nicht so gesündigt wie Hamburg, es hatte aber auch nicht Verführungen ge¬
habt wie dieses. In Lübeck, das jetzt eigentlich kaum mehr als der Spedi¬
tionsplatz Hamburgs für den nordischen Handel ist, ging die Kopflosigkeit so
weit, das; man die allgemeine deutsche Wechselordnung antastete, und oben¬
drein gradem der Bestimmung, welche eine der wesentlichsten Grundlagen des
Wechselcredits bildet, blos weil man sie augenblicklich unbequem fand. In
den deutschen Fabrikdistricten am Rhein, in Westphalen, in Sachsen, in Thü¬
ringen u. s. w. brachen ungeheure Verluste herein. die zum Theil zum völligen
Stillstand führten. Allenthalben aber gab sich Geschäftslosigkeit und Mangel
an Vertrauen kund.

So ist es denn auch noch im gegenwärtigen Augenblick und vergebens
forscht man noch nach den Spuren eines Besserwerdens. Als im I. 1799
die vorletzte große Handelskrisis über Hamburg hereinbrach, da hinderte sie
doch nicht, daß das I. 1800 eins der besten Geschäftsjahre wurde. Aehn-
liche Erwartungen sprach man im December v. I. aus, und wenn sie sich
nicht erfüllen dürften, fo liegt dies theilweise zwar an den in Hamburg vor¬
gekommenen Mißgriffen, mehr aber noch in den gänzlich veränderten allge¬
meinen Beziehungen und gewissen großen Leiden unserer Gegenwart.

Wir haben oben die jetzigen politischen Zustände Frankreichs als
einen der Ausgangspunkte zur Krisis bezeichnet, und wir stehen nicht an, in
ihnen auch eine der Ursachen zu erblicken, weshalb der Verkehr nicht wieder
anhaltend gesunden will. In Frankreich allerdings hat scheinbar die Krisis
am wenigsten gewirkt, und die kaiserliche Presse hat denn auch nicht erman-
gelt, sich darüber die gehörigen Komplimente zu machen. Aber - die eigent¬
liche Krisis lag bereits im Herbst v. I. vollendet da, jene Baissebewegung an
der Fondsbörse, über welche wochenlang die Fondsberichtc alltäglich jammer¬
ten und welcher der Credit-Molnlicr des Herrn Pereire am wenigsten abhelfen
konnte. Eine Handelskrisis konnte ferner in Frankreich darum nicht ausbre¬
chen, weil der französische Handelsverkehr in der That nur eine Nebenrolle im
Weltverkehr spielt, wie er denn durch die französische Zollgesetzgebung sast nur
innerhalb der Grenzen einer sehr primitiven Ein- und Ausfuhr eingezwängt
ist. trotz des Umfangs in einzelnen Handelsbranchcn. Die Krisis in der fran¬
zösischen Industrie dagegen konnte sich nur mit der Zeit ausbilden, sobald
nämlich die Rückwirkung auf die heimischen Fabriken eintrat, und diese ist
denn auch in empfindlichster Weise nicht ausgeblieben, seitdem der Verkehr
an sämmtlichen großen Handelsplätzen ins Stocken gerathen ist. In Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/83>, abgerufen am 21.12.2024.