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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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wo in Deutschland die Handelskrisis am verheerendsten wüthete, in Hamburg
seufzten Andere: ach hätten wir nur eine Bank nach Art der englischen
gehabt!

Die Hamburgs r Kr isis ist wesentlich die Niederlage der bloßen Routine in
Ansichten und Gebräuchen, ohne daß man durch die Zeitumstände doch im
Stande war, diese in ihrer eigentlichen Bedeutung und Anwendung festzu¬
halten. Die Rounne in den Ansichten verlockte zunächst zur Annahme einer
innern Nothwendigkeit für die Preissteigerungen, wie wir das früher auseinander¬
gesetzt haben, die Routine in den Gebräuchen zur schwindeligsten Ausdehnung
des Wechscigeschästs. Der Wechsel, das kaufmännische Geld, wie wir es schon
früher bezeichnet haben, ist vorzugsweise dann als solid begründet anzusehen,
wenn .ihm wirklich kaufmännische Transactionen zu Grunde liegen, vorsichtig
kann der Wechsel auch zu andern Zwecken, also zur Herstellung von bloßen
Umlaufsmittcln benutzt werden. Ein einigermaßen kundiger Kaufmann wird
aber leicht jedem Wechsel durch die Beziehungen der einzelnen Unterschriften
zueinander ansehen können, ob er zur ersten oder zur zweiten Classe gehört.
Die Routine dagegen verzichtet vollständig aus diese Art der Priffung jedes ein¬
zelnen Wechsels und hält sich nur daran, ob die Unterschriften "gut" sind.
Darin aber legt sie den Keim zum Mißbrauch des Wechselcrcdits, indem es nun
für "gut" erachteten Handlungshäusern leicht und leichter wird, ihre Wechsel¬
unterschriften außerordentlich zu vervielfältigen. Dies letztere nun ist in Ham¬
burg in Verbindung mit andern oben erörterten Verhältnissen im reichlichsten
Maße geschehen und hat bei dem Umfange des Mißbrauchs auch den un¬
geheuren Sturz in Hamburg mit all seinen verheerenden Folgen in und außer-
halb Deutschlands zur Folge gehabt. Die hierher gehörigen Thatsachen sind
so oft erörtert worden, daß wir darauf nicht im Einzelnen zurückkehren wollen.
Vielleicht wäre der Sturz auch nicht so groß geworben, wenn die Hamburger
und nut ihnen die Welt nicht so fest an ihre eigne Unerschütterlichkeit, wie sie
durch andere Krisen sich erprobt hatte, geglaubt hätten.

Schon die bloße Frage, ob durch irgend welche Vorkehrungen die Kata¬
strophe hätte abgewendet werden können, ist nach unsrer Ansicht nicht mehr
angebracht. Der Strudel lag ja nicht in dieser oder jener Einrichtung, son¬
dern in den Menschen selbst. Die Silbergirobank, diese bloße Kasse der
Hamburger Kaufleute, hat gewiß nichts gethan, um ihn zu befördern, und die
Heiden bestehenden Discontobanken, die Vereinsbank und die norddeutsche
Bank, konnten nichts thun, um ihn zu mindern. Wenn je eine Bank mit
soliden Grundsätzen begründet war, dem Geiste der Urheber und ihrem Zwecke
gemäß, so war es die Vcreinsbank, und doch, als die Krisis ausbrach, da
fand es sich, daß sie dem Zug der Hamburger Börse gefolgt war. Sie hatte



') Vgl. auch den Aufsatz: Die Geldnoth in Hamburg (No. 49 vor. Jahrg.)

wo in Deutschland die Handelskrisis am verheerendsten wüthete, in Hamburg
seufzten Andere: ach hätten wir nur eine Bank nach Art der englischen
gehabt!

Die Hamburgs r Kr isis ist wesentlich die Niederlage der bloßen Routine in
Ansichten und Gebräuchen, ohne daß man durch die Zeitumstände doch im
Stande war, diese in ihrer eigentlichen Bedeutung und Anwendung festzu¬
halten. Die Rounne in den Ansichten verlockte zunächst zur Annahme einer
innern Nothwendigkeit für die Preissteigerungen, wie wir das früher auseinander¬
gesetzt haben, die Routine in den Gebräuchen zur schwindeligsten Ausdehnung
des Wechscigeschästs. Der Wechsel, das kaufmännische Geld, wie wir es schon
früher bezeichnet haben, ist vorzugsweise dann als solid begründet anzusehen,
wenn .ihm wirklich kaufmännische Transactionen zu Grunde liegen, vorsichtig
kann der Wechsel auch zu andern Zwecken, also zur Herstellung von bloßen
Umlaufsmittcln benutzt werden. Ein einigermaßen kundiger Kaufmann wird
aber leicht jedem Wechsel durch die Beziehungen der einzelnen Unterschriften
zueinander ansehen können, ob er zur ersten oder zur zweiten Classe gehört.
Die Routine dagegen verzichtet vollständig aus diese Art der Priffung jedes ein¬
zelnen Wechsels und hält sich nur daran, ob die Unterschriften „gut" sind.
Darin aber legt sie den Keim zum Mißbrauch des Wechselcrcdits, indem es nun
für „gut" erachteten Handlungshäusern leicht und leichter wird, ihre Wechsel¬
unterschriften außerordentlich zu vervielfältigen. Dies letztere nun ist in Ham¬
burg in Verbindung mit andern oben erörterten Verhältnissen im reichlichsten
Maße geschehen und hat bei dem Umfange des Mißbrauchs auch den un¬
geheuren Sturz in Hamburg mit all seinen verheerenden Folgen in und außer-
halb Deutschlands zur Folge gehabt. Die hierher gehörigen Thatsachen sind
so oft erörtert worden, daß wir darauf nicht im Einzelnen zurückkehren wollen.
Vielleicht wäre der Sturz auch nicht so groß geworben, wenn die Hamburger
und nut ihnen die Welt nicht so fest an ihre eigne Unerschütterlichkeit, wie sie
durch andere Krisen sich erprobt hatte, geglaubt hätten.

Schon die bloße Frage, ob durch irgend welche Vorkehrungen die Kata¬
strophe hätte abgewendet werden können, ist nach unsrer Ansicht nicht mehr
angebracht. Der Strudel lag ja nicht in dieser oder jener Einrichtung, son¬
dern in den Menschen selbst. Die Silbergirobank, diese bloße Kasse der
Hamburger Kaufleute, hat gewiß nichts gethan, um ihn zu befördern, und die
Heiden bestehenden Discontobanken, die Vereinsbank und die norddeutsche
Bank, konnten nichts thun, um ihn zu mindern. Wenn je eine Bank mit
soliden Grundsätzen begründet war, dem Geiste der Urheber und ihrem Zwecke
gemäß, so war es die Vcreinsbank, und doch, als die Krisis ausbrach, da
fand es sich, daß sie dem Zug der Hamburger Börse gefolgt war. Sie hatte



') Vgl. auch den Aufsatz: Die Geldnoth in Hamburg (No. 49 vor. Jahrg.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/80>, abgerufen am 21.12.2024.