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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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auf die Schweiz beschränkt hatte, so daß er das Resultat wußte, das Eigent¬
liche der Begebenheiten, um treu zu referiren, erst wieder aufsuchen mußte.
Diese gewaltige Mühe! (da er sich nie erlaubte, irgend etwas obenhin aus
dem Gedächtniß beizubringen, und täglich viele Stunden lang sich der Ge¬
sellschaft nicht woll entziehen konnte) wurde ihm durch die Begeisterung er¬
leichtert, welche der laute Beifall und die lebendige Theilnahme seiner Zu¬
hörer ihm gab. Also hat er diese Vorlesungen viermal, so oft er zu Genf
dieselben hielt, ganz oder größtentheils neu bearbeitet; oft nicht sowol um
diese oder jene Angabe zu berichtigen, als weil er immer wärmer für die
Beziehung wurde, worin die Erfahrung der Geschichte zu den politischen Zeit¬
umständen ist."

"Nämlich damals, lang vor den Ereignissen, welche die Welt erschüttern,
hatte er seine politischen Grundsätze bet sich ausgemacht: Verehrung der Demo¬
kratie zu Unterwalden, der Aristokratie zu Venedig, zu Bern, der Mon¬
archie in jedem größern Staat; eine unerschütterliche Festigkeit der Behauptung
urkundlichen Rechts, welches der Anker von Sicherheit und Ruhe ist; der
Zweck fortgehender Vervollkommnung durch die möglichste, aber geordnete
Freiheit, durch eine weise Stimmung der öffentlichen Meinung und eine wohl¬
vorbereitete Verbesserung der Gesetze und Anstalten; drei haßwürdige Ungeheuer,
die Anarchie, die Despotie, am allermeisten die ungemessene Präpotenz irgend
einer einzelnen Macht, welche die Zerstörung aller Freistätten, der Tod aller Hoff¬
nungen des Menschengeschlechts ist und ohne einen gänzlichen Unwerth der
Völker, eine gänzliche Erstuinmung aller Männer von Geist und Muth, und
ohne doppelte Verrätherei der Räthe an den Fürsten, der Fürsten an ihren
Häusern und sich selbst, nicht sollte aufkommen können."

Wie gewissenhaft er seine Ausgabe nahm, zeigt ein Brief an Bonstetten,
Ende Nov. 177V. "Mit Schrecken sehe ich mich auf dem Punkt, jungen
Leuten Kenntnisse von dem Zustand und von der Historie der Welt, welche
Kenntnisse ich selbst in großer Unvollkommenheit besitze, mitzutheilen, und weiß
kein Mittel, weder die neue Historie, welche in den Cabineten liegt, noch die
Macht verschiedener Staaten, als die nicht von der Menge, sondern der Kon¬
stitution der Truppen, und nicht von der Zahl, sondern der Verwaltung des
Einkommens abhängt, kennen zu lernen, und erröthe vor mangelhaften oder
irrigen Lectionen. Ich sehe mich genöthigt, nicht nur die Alten und Mura-
tori, sondern den größten Theil' meiner eignen Arbeit über die Schweiz zu
unterbrechen, in Erwartung des Sommers, in der Aussicht, meine folgenden
Curse leichter und vollständiger zu halten, und in der Hoffnung der Unab¬
hängigkeit, in welcher ich jene Studien ununterbrochener und glücklicher fort¬
setzen werde."

Der Kursus dauerte vom 21. Dec. 1778 bis zum 31. Mai 1779 täglich


auf die Schweiz beschränkt hatte, so daß er das Resultat wußte, das Eigent¬
liche der Begebenheiten, um treu zu referiren, erst wieder aufsuchen mußte.
Diese gewaltige Mühe! (da er sich nie erlaubte, irgend etwas obenhin aus
dem Gedächtniß beizubringen, und täglich viele Stunden lang sich der Ge¬
sellschaft nicht woll entziehen konnte) wurde ihm durch die Begeisterung er¬
leichtert, welche der laute Beifall und die lebendige Theilnahme seiner Zu¬
hörer ihm gab. Also hat er diese Vorlesungen viermal, so oft er zu Genf
dieselben hielt, ganz oder größtentheils neu bearbeitet; oft nicht sowol um
diese oder jene Angabe zu berichtigen, als weil er immer wärmer für die
Beziehung wurde, worin die Erfahrung der Geschichte zu den politischen Zeit¬
umständen ist."

„Nämlich damals, lang vor den Ereignissen, welche die Welt erschüttern,
hatte er seine politischen Grundsätze bet sich ausgemacht: Verehrung der Demo¬
kratie zu Unterwalden, der Aristokratie zu Venedig, zu Bern, der Mon¬
archie in jedem größern Staat; eine unerschütterliche Festigkeit der Behauptung
urkundlichen Rechts, welches der Anker von Sicherheit und Ruhe ist; der
Zweck fortgehender Vervollkommnung durch die möglichste, aber geordnete
Freiheit, durch eine weise Stimmung der öffentlichen Meinung und eine wohl¬
vorbereitete Verbesserung der Gesetze und Anstalten; drei haßwürdige Ungeheuer,
die Anarchie, die Despotie, am allermeisten die ungemessene Präpotenz irgend
einer einzelnen Macht, welche die Zerstörung aller Freistätten, der Tod aller Hoff¬
nungen des Menschengeschlechts ist und ohne einen gänzlichen Unwerth der
Völker, eine gänzliche Erstuinmung aller Männer von Geist und Muth, und
ohne doppelte Verrätherei der Räthe an den Fürsten, der Fürsten an ihren
Häusern und sich selbst, nicht sollte aufkommen können."

Wie gewissenhaft er seine Ausgabe nahm, zeigt ein Brief an Bonstetten,
Ende Nov. 177V. „Mit Schrecken sehe ich mich auf dem Punkt, jungen
Leuten Kenntnisse von dem Zustand und von der Historie der Welt, welche
Kenntnisse ich selbst in großer Unvollkommenheit besitze, mitzutheilen, und weiß
kein Mittel, weder die neue Historie, welche in den Cabineten liegt, noch die
Macht verschiedener Staaten, als die nicht von der Menge, sondern der Kon¬
stitution der Truppen, und nicht von der Zahl, sondern der Verwaltung des
Einkommens abhängt, kennen zu lernen, und erröthe vor mangelhaften oder
irrigen Lectionen. Ich sehe mich genöthigt, nicht nur die Alten und Mura-
tori, sondern den größten Theil' meiner eignen Arbeit über die Schweiz zu
unterbrechen, in Erwartung des Sommers, in der Aussicht, meine folgenden
Curse leichter und vollständiger zu halten, und in der Hoffnung der Unab¬
hängigkeit, in welcher ich jene Studien ununterbrochener und glücklicher fort¬
setzen werde."

Der Kursus dauerte vom 21. Dec. 1778 bis zum 31. Mai 1779 täglich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/74>, abgerufen am 21.12.2024.