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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Vaterlandes gelassen zusehn, und im Rath seines Eroberers zum
Besten desselben rathen; der Geschichtschreiber kann in dieser Rücksicht
die Stifter der Freiheit und derselben Zerstörer loben: beide waren zu ihrer
Zeit nöthig, und für die Nation wohlthätig." (Wenn solche Gedanken dem
22jährigen Jüngling durch den Kopf gingen, begreift man das Verhalten des
57jährigen Mannes!) "Es ist gefährlich, Aufhebung einer Beschwerde oder
Geschenk einer Freiheit auf die Zeit der Noth zu verschieben. Ein Volk,
welches diesen Grundsatz weiß, ruft die Noth herbei ... In der Zeit der
Noth werden alle Einrichtungen übereilt, und nur für die jedesmalige Krisis,
nicht für die Zeit der Ruhe eingerichtet, sind daher nachmals verderblich."

"Zum Untergang der Republiken bereiten Rousseau, Helvetius und andere
Lobredner der Demokratie und Freiheit den Weg: denn das Feuer, mit wel¬
chem sie schreiben, erhitzt junge Gemüther und manchen Patrioten nach alter
Art, die Freiheit unklug und ritterlich zu verfechten; daher der republikanische
Stolz; daher werden sich die Völker zu muthigen, enthusiastischen, laut tönen¬
den Unternehmungen für das Vaterland entschließen -- und desto leichter
überwunden werden,*) da sie die Details und Conjuncturen, die die Zeit
verändert, nicht Kalte noch Geschick haben einzusehn. Der Eroberer der Re¬
publik schmeichle der Nation zuvor, gebe tiefen Respect ihrer Männlichkeit zu
erkennen, und erwärme dadurch die Declamatoren noch mehr. Diese werden
das Land unter das Joch bringen; die Furchtsamen nicht." --

"Bei der einsamen Nachtlampe entschläft das Genie; das Geräusch des
Umgangs muß es erwecken."

"Wenn die alten Erfahrungen auf unsere Zeiten sollen angewendet
werden können, so ist das Geheimniß, die große Kunst, jeder Sache ihren
wahren Namen zu geben . . . Die Alten werden nicht eine metaphysische
Sprache in nbstrahirten Begriffen und sind darum so evident und kraftvoll,
weil ihre Bilder aus die Seele fallen und dieselben bilden . . . Der, welchen
die großen Gegenstände der politischen Geschichtschreibung ganz begeistern,
drückt sich kalt aus . . . Man kann eine Gegend verschönern; sie aber zu
gründen, ist in der Natur unmöglich und in der Geschichte nicht erlaubt . . .
Lobet die Tugend nicht, strafet das Laster nicht, zeiget sie."--

Es war der ältere Tronchin, der ihn aufforderte, so weitläufige Studien
nicht ungenutzt zu lassen, wobei sich auch mehr und mehr die Nothwendigkeit
herausstellte, etwas für seinen Lebensunterhalt zu thun. Er berichtet darüber
in seiner Selbstbiographie: "Man wünschte Vorlesungen über den Zusammen¬
hang der ganzen Geschichte für Jünglinge und Männer schon in Krieg oder
Staat bedienstet, oder die es bald werden sollten. Eine nicht leichte Auf¬
gabe, da Müller von Jugend auf zwar viel gelesen, seine Sammlungen aber



') Man denke immer daran, das;, der so schreibt, erst 22 Jahr alt ist.
Grenzboten II. I35ö. g

Vaterlandes gelassen zusehn, und im Rath seines Eroberers zum
Besten desselben rathen; der Geschichtschreiber kann in dieser Rücksicht
die Stifter der Freiheit und derselben Zerstörer loben: beide waren zu ihrer
Zeit nöthig, und für die Nation wohlthätig." (Wenn solche Gedanken dem
22jährigen Jüngling durch den Kopf gingen, begreift man das Verhalten des
57jährigen Mannes!) „Es ist gefährlich, Aufhebung einer Beschwerde oder
Geschenk einer Freiheit auf die Zeit der Noth zu verschieben. Ein Volk,
welches diesen Grundsatz weiß, ruft die Noth herbei ... In der Zeit der
Noth werden alle Einrichtungen übereilt, und nur für die jedesmalige Krisis,
nicht für die Zeit der Ruhe eingerichtet, sind daher nachmals verderblich."

„Zum Untergang der Republiken bereiten Rousseau, Helvetius und andere
Lobredner der Demokratie und Freiheit den Weg: denn das Feuer, mit wel¬
chem sie schreiben, erhitzt junge Gemüther und manchen Patrioten nach alter
Art, die Freiheit unklug und ritterlich zu verfechten; daher der republikanische
Stolz; daher werden sich die Völker zu muthigen, enthusiastischen, laut tönen¬
den Unternehmungen für das Vaterland entschließen — und desto leichter
überwunden werden,*) da sie die Details und Conjuncturen, die die Zeit
verändert, nicht Kalte noch Geschick haben einzusehn. Der Eroberer der Re¬
publik schmeichle der Nation zuvor, gebe tiefen Respect ihrer Männlichkeit zu
erkennen, und erwärme dadurch die Declamatoren noch mehr. Diese werden
das Land unter das Joch bringen; die Furchtsamen nicht." —

„Bei der einsamen Nachtlampe entschläft das Genie; das Geräusch des
Umgangs muß es erwecken."

„Wenn die alten Erfahrungen auf unsere Zeiten sollen angewendet
werden können, so ist das Geheimniß, die große Kunst, jeder Sache ihren
wahren Namen zu geben . . . Die Alten werden nicht eine metaphysische
Sprache in nbstrahirten Begriffen und sind darum so evident und kraftvoll,
weil ihre Bilder aus die Seele fallen und dieselben bilden . . . Der, welchen
die großen Gegenstände der politischen Geschichtschreibung ganz begeistern,
drückt sich kalt aus . . . Man kann eine Gegend verschönern; sie aber zu
gründen, ist in der Natur unmöglich und in der Geschichte nicht erlaubt . . .
Lobet die Tugend nicht, strafet das Laster nicht, zeiget sie."--

Es war der ältere Tronchin, der ihn aufforderte, so weitläufige Studien
nicht ungenutzt zu lassen, wobei sich auch mehr und mehr die Nothwendigkeit
herausstellte, etwas für seinen Lebensunterhalt zu thun. Er berichtet darüber
in seiner Selbstbiographie: „Man wünschte Vorlesungen über den Zusammen¬
hang der ganzen Geschichte für Jünglinge und Männer schon in Krieg oder
Staat bedienstet, oder die es bald werden sollten. Eine nicht leichte Auf¬
gabe, da Müller von Jugend auf zwar viel gelesen, seine Sammlungen aber



') Man denke immer daran, das;, der so schreibt, erst 22 Jahr alt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/73>, abgerufen am 21.12.2024.