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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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nützen Particularen nichts und sind meistens nur Uebungsplätze der Declcuna-
tivn. Eine brauchbare Moral fängt an mit Physiologie, fährt fort mit Psycho¬
logie (nicht mit jener transcendentalen über den Ursprung der Begriffe u. tgi.,
sondern mit Beobachtungen über unsere Kräfte und Gemüthsbewegungen)
stellt hierauf die Lage vor, worin wir sind, nämlich den Bau der Gesellschaft
überhaupt und unser Verhältniß zu unserm besondern Baterland, und läßt
aus dem allen von selbst fließen, was wir uns und andern schuldig sind."

"Cromwell sprach:, man wird nur groß, wenn man nicht weiß, wie es
kommt. Rom wurde groß, weil die Republik kein System, oder in Grund¬
fäden wenigstens solche Behutsamkeit hatte, daß dieselben alles Steife eines
befolgten Systems verloren, und sich von den Cvnjuncturen lenken ließen.
Rom wurde also groß, weil seine Stifter, Gesetzgeber und Helden gerade alles
das, was viele schmeichlerische Geschichtschreiber ihnen beimessen, nicht dach¬
ten. Also wird wol das beste Staatssystem in klugen Anstalten nach vor¬
kommenden Umständen, in decenter Unterwerfung unter die Allgewalt derselben
und in der Standhaftigkeit in ihrer Ausführung bestehn."

"Es ist zur Erhaltung der Würde des Staats die politische Divination
nöthig, damit man früh gutwillig thue, wozu die Folge nöthigen würde, und
damit man Abänderungen der Handlungsweise durch lange Zubereitung un-
merklich mache. Das Wichtigste im Staatssystem ist das Entscheidende in
Entschlüssen . . . daher einer der landverderblichen Grundsätze in der Schweiz
der Grundsatz der goldenen Mittelstraße ist."

"Wenn Republiken fortdauern sollen, müssen sie klein sein; Monarchien
so groß, daß der Fürst zur Erhaltung seines Hosstaats nicht die Unterthanen
aussaugen müsse, und nicht zu groß für sein Auge."

"Je mehr Grausamkeit bei einer Revolution erfordert wird, desto schwächer
ist der Staat, weil dieses beweist, daß die Menge gegen sie interessirt sei, und
die Menge gewinnt immer . . . Außerordentliche Euren müssen die fressenden
Staatst'rantheiten eines verdorbenen Botts heilen . . . Nach und nach wird
ein verdorbener Staat schwer verbessert, denn selten ist der Weise, und das
verdorbene Geschlecht wird rhn nicht hören. Aus einmal kann die Ca allein
durch eine gewaltsame Operation vorgenommen werden, und muß sich einer
zum Fürsten machen, durch Unterdrückung der alten Freiheit sich zur Allein¬
herrschaft den Weg bahnen, und hierauf dieselbe zur Reformation des Bater¬
landes anwenden. So urtheilt auch Macchiavelli. Cäsar muß nach diesem
Borsatz beurtheilt werden. Die Geschichtschreiber von mittelmäßigen Einsich¬
ten erschrecken vor allein, was außer der gewöhnlichen Kaste ist, daher sie
solche Unternehmungen so falsch beurtheilen ... So reift auch Europa durch
Eorruption zur Bereinigung der Obergewalt in Einem oder Wenigen. Der
Menschenfreund kann in solchen Fällen der Unterjochung des


nützen Particularen nichts und sind meistens nur Uebungsplätze der Declcuna-
tivn. Eine brauchbare Moral fängt an mit Physiologie, fährt fort mit Psycho¬
logie (nicht mit jener transcendentalen über den Ursprung der Begriffe u. tgi.,
sondern mit Beobachtungen über unsere Kräfte und Gemüthsbewegungen)
stellt hierauf die Lage vor, worin wir sind, nämlich den Bau der Gesellschaft
überhaupt und unser Verhältniß zu unserm besondern Baterland, und läßt
aus dem allen von selbst fließen, was wir uns und andern schuldig sind."

„Cromwell sprach:, man wird nur groß, wenn man nicht weiß, wie es
kommt. Rom wurde groß, weil die Republik kein System, oder in Grund¬
fäden wenigstens solche Behutsamkeit hatte, daß dieselben alles Steife eines
befolgten Systems verloren, und sich von den Cvnjuncturen lenken ließen.
Rom wurde also groß, weil seine Stifter, Gesetzgeber und Helden gerade alles
das, was viele schmeichlerische Geschichtschreiber ihnen beimessen, nicht dach¬
ten. Also wird wol das beste Staatssystem in klugen Anstalten nach vor¬
kommenden Umständen, in decenter Unterwerfung unter die Allgewalt derselben
und in der Standhaftigkeit in ihrer Ausführung bestehn."

„Es ist zur Erhaltung der Würde des Staats die politische Divination
nöthig, damit man früh gutwillig thue, wozu die Folge nöthigen würde, und
damit man Abänderungen der Handlungsweise durch lange Zubereitung un-
merklich mache. Das Wichtigste im Staatssystem ist das Entscheidende in
Entschlüssen . . . daher einer der landverderblichen Grundsätze in der Schweiz
der Grundsatz der goldenen Mittelstraße ist."

„Wenn Republiken fortdauern sollen, müssen sie klein sein; Monarchien
so groß, daß der Fürst zur Erhaltung seines Hosstaats nicht die Unterthanen
aussaugen müsse, und nicht zu groß für sein Auge."

„Je mehr Grausamkeit bei einer Revolution erfordert wird, desto schwächer
ist der Staat, weil dieses beweist, daß die Menge gegen sie interessirt sei, und
die Menge gewinnt immer . . . Außerordentliche Euren müssen die fressenden
Staatst'rantheiten eines verdorbenen Botts heilen . . . Nach und nach wird
ein verdorbener Staat schwer verbessert, denn selten ist der Weise, und das
verdorbene Geschlecht wird rhn nicht hören. Aus einmal kann die Ca allein
durch eine gewaltsame Operation vorgenommen werden, und muß sich einer
zum Fürsten machen, durch Unterdrückung der alten Freiheit sich zur Allein¬
herrschaft den Weg bahnen, und hierauf dieselbe zur Reformation des Bater¬
landes anwenden. So urtheilt auch Macchiavelli. Cäsar muß nach diesem
Borsatz beurtheilt werden. Die Geschichtschreiber von mittelmäßigen Einsich¬
ten erschrecken vor allein, was außer der gewöhnlichen Kaste ist, daher sie
solche Unternehmungen so falsch beurtheilen ... So reift auch Europa durch
Eorruption zur Bereinigung der Obergewalt in Einem oder Wenigen. Der
Menschenfreund kann in solchen Fällen der Unterjochung des


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[0072] nützen Particularen nichts und sind meistens nur Uebungsplätze der Declcuna- tivn. Eine brauchbare Moral fängt an mit Physiologie, fährt fort mit Psycho¬ logie (nicht mit jener transcendentalen über den Ursprung der Begriffe u. tgi., sondern mit Beobachtungen über unsere Kräfte und Gemüthsbewegungen) stellt hierauf die Lage vor, worin wir sind, nämlich den Bau der Gesellschaft überhaupt und unser Verhältniß zu unserm besondern Baterland, und läßt aus dem allen von selbst fließen, was wir uns und andern schuldig sind." „Cromwell sprach:, man wird nur groß, wenn man nicht weiß, wie es kommt. Rom wurde groß, weil die Republik kein System, oder in Grund¬ fäden wenigstens solche Behutsamkeit hatte, daß dieselben alles Steife eines befolgten Systems verloren, und sich von den Cvnjuncturen lenken ließen. Rom wurde also groß, weil seine Stifter, Gesetzgeber und Helden gerade alles das, was viele schmeichlerische Geschichtschreiber ihnen beimessen, nicht dach¬ ten. Also wird wol das beste Staatssystem in klugen Anstalten nach vor¬ kommenden Umständen, in decenter Unterwerfung unter die Allgewalt derselben und in der Standhaftigkeit in ihrer Ausführung bestehn." „Es ist zur Erhaltung der Würde des Staats die politische Divination nöthig, damit man früh gutwillig thue, wozu die Folge nöthigen würde, und damit man Abänderungen der Handlungsweise durch lange Zubereitung un- merklich mache. Das Wichtigste im Staatssystem ist das Entscheidende in Entschlüssen . . . daher einer der landverderblichen Grundsätze in der Schweiz der Grundsatz der goldenen Mittelstraße ist." „Wenn Republiken fortdauern sollen, müssen sie klein sein; Monarchien so groß, daß der Fürst zur Erhaltung seines Hosstaats nicht die Unterthanen aussaugen müsse, und nicht zu groß für sein Auge." „Je mehr Grausamkeit bei einer Revolution erfordert wird, desto schwächer ist der Staat, weil dieses beweist, daß die Menge gegen sie interessirt sei, und die Menge gewinnt immer . . . Außerordentliche Euren müssen die fressenden Staatst'rantheiten eines verdorbenen Botts heilen . . . Nach und nach wird ein verdorbener Staat schwer verbessert, denn selten ist der Weise, und das verdorbene Geschlecht wird rhn nicht hören. Aus einmal kann die Ca allein durch eine gewaltsame Operation vorgenommen werden, und muß sich einer zum Fürsten machen, durch Unterdrückung der alten Freiheit sich zur Allein¬ herrschaft den Weg bahnen, und hierauf dieselbe zur Reformation des Bater¬ landes anwenden. So urtheilt auch Macchiavelli. Cäsar muß nach diesem Borsatz beurtheilt werden. Die Geschichtschreiber von mittelmäßigen Einsich¬ ten erschrecken vor allein, was außer der gewöhnlichen Kaste ist, daher sie solche Unternehmungen so falsch beurtheilen ... So reift auch Europa durch Eorruption zur Bereinigung der Obergewalt in Einem oder Wenigen. Der Menschenfreund kann in solchen Fällen der Unterjochung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/72>, abgerufen am 30.12.2024.