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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Furcht und aus Gnaden. Der Thron von Polen in seiner Erniedrigung zer¬
trümmert, u. s. w. . . . Das Geschlecht Habsburg an der Spitze der deut¬
schen Völker und aus dem Thron der Tschechen und Hunnen, mächtig von der
Weichsel bis unweit der Tiber, gründet durch Armeen und Schätze, wie vor¬
mals durch Negociationen und Heirathen. ein neue Monarchie; wenn durch
seine Waffen und Politik auf Absterben der großen fürstlichen Häuser in Deutsch¬
land dies weite Reich dem Kaiser unterworfen werden wird, so kann Wien
Rom werden und der Adler sein Reich über den Ruinen der alten europäischen
Verfassung aufbauen/' (An seinen Vater. 22. Aug. 1774).

Am 1. Dec. 1774 schreibt er an Bonstetten: "Die Encyklopädie sehe ich
als eine Quelle des Umsturzes der französischen Monarchie an. Alle inner¬
lichen Unruhen, welche Liguen gegen das gemeine Beste veranlassen, kommen
von Leuten her, welche die Regierung und Politik zu kennen glauben, aber
nur von ferne ein Ganzes ohne die Lünette eigner Erfahrung in Details
gesehn haben; so daß ein Minister, welcher nicht neben den großen Angelegen¬
heiten der Republik auch die Handwerke alle kann kennen lernen, eine Ency¬
klopädie wol anwendet, der gemeine Maulmacher aber sich durch solche Lectüre
zur Staatsreformation berufen glaubt; es ist daher wichtig, daß der Staats¬
mann den Fortgang superficieller und blos allgemeiner Kenntnisse einschränke. . .
Diese superficiellen Kenntnisse erzeugen bei der Nation, welche sie am univer¬
sellsten besitzt/ die Schar nichtssagender Declamatoren und das Ding, so sie
Chaleur nennen. Und weil sich solches auch unter den tugendhaften Berner Jungen
einfindet, so wünsche ich, daß Sie vor Ihrer Empfindlichkeit, vor Ihrer Imagi¬
nation, vor Ihrer Ueberzeugung selbst aus der Hut sein, und sich nicht durch die
Lava beredten Wortgepränges, so die Herzen erwärmen, nicht aber befruchten
mag, hinreißen lassen; ich wünsche zweitens, daß Sie vor diesem Ding im
Nothfall auch mich warnen, und drittens, daß wir alle beide uns vor dem
entgegengesetzten Fehler hüten, in welchen viele andere fallen, und den ich
Enthusiasmus für Kaltblütigkeit und steife Gravität nenne." (20. Dec.) "Was
Sie mir von den Vorzügen eines Staats, wo alles gleich sei, schreiben, ist
eine fanatische Chimäre, welche Ihnen Rousseau beigebracht hat. Ein solcher
Staat hat nie existirt. Nirgend ist die Ungleichheit größer und choquanter als
in den Popularständen. Nie hat eine Demokratie länger als fünf Minuten
subsistirt. -- Eure Metaphysik ist mir unerträglich. Lassen Sie sich doch be¬
reden, in unsrer sublunarischen Welt zu bleiben, und reden und schreiben und
handeln zu lernen, wie es Cicero und Macchiavell lehren." -- Für einen
Jüngling von 22 Jahren waren das doch beachtenswerthe Ideen!

In der genfer Atmosphäre athmete er auf von der eintönigen Pfaffen¬
herrschaft, über die er sich in seinen, Canton so häufig zu beklagen hatte. Er
sprach nur Französisch und fühlte sich schon dadurch den Gebildeten näher gerückt.


Furcht und aus Gnaden. Der Thron von Polen in seiner Erniedrigung zer¬
trümmert, u. s. w. . . . Das Geschlecht Habsburg an der Spitze der deut¬
schen Völker und aus dem Thron der Tschechen und Hunnen, mächtig von der
Weichsel bis unweit der Tiber, gründet durch Armeen und Schätze, wie vor¬
mals durch Negociationen und Heirathen. ein neue Monarchie; wenn durch
seine Waffen und Politik auf Absterben der großen fürstlichen Häuser in Deutsch¬
land dies weite Reich dem Kaiser unterworfen werden wird, so kann Wien
Rom werden und der Adler sein Reich über den Ruinen der alten europäischen
Verfassung aufbauen/' (An seinen Vater. 22. Aug. 1774).

Am 1. Dec. 1774 schreibt er an Bonstetten: „Die Encyklopädie sehe ich
als eine Quelle des Umsturzes der französischen Monarchie an. Alle inner¬
lichen Unruhen, welche Liguen gegen das gemeine Beste veranlassen, kommen
von Leuten her, welche die Regierung und Politik zu kennen glauben, aber
nur von ferne ein Ganzes ohne die Lünette eigner Erfahrung in Details
gesehn haben; so daß ein Minister, welcher nicht neben den großen Angelegen¬
heiten der Republik auch die Handwerke alle kann kennen lernen, eine Ency¬
klopädie wol anwendet, der gemeine Maulmacher aber sich durch solche Lectüre
zur Staatsreformation berufen glaubt; es ist daher wichtig, daß der Staats¬
mann den Fortgang superficieller und blos allgemeiner Kenntnisse einschränke. . .
Diese superficiellen Kenntnisse erzeugen bei der Nation, welche sie am univer¬
sellsten besitzt/ die Schar nichtssagender Declamatoren und das Ding, so sie
Chaleur nennen. Und weil sich solches auch unter den tugendhaften Berner Jungen
einfindet, so wünsche ich, daß Sie vor Ihrer Empfindlichkeit, vor Ihrer Imagi¬
nation, vor Ihrer Ueberzeugung selbst aus der Hut sein, und sich nicht durch die
Lava beredten Wortgepränges, so die Herzen erwärmen, nicht aber befruchten
mag, hinreißen lassen; ich wünsche zweitens, daß Sie vor diesem Ding im
Nothfall auch mich warnen, und drittens, daß wir alle beide uns vor dem
entgegengesetzten Fehler hüten, in welchen viele andere fallen, und den ich
Enthusiasmus für Kaltblütigkeit und steife Gravität nenne." (20. Dec.) „Was
Sie mir von den Vorzügen eines Staats, wo alles gleich sei, schreiben, ist
eine fanatische Chimäre, welche Ihnen Rousseau beigebracht hat. Ein solcher
Staat hat nie existirt. Nirgend ist die Ungleichheit größer und choquanter als
in den Popularständen. Nie hat eine Demokratie länger als fünf Minuten
subsistirt. — Eure Metaphysik ist mir unerträglich. Lassen Sie sich doch be¬
reden, in unsrer sublunarischen Welt zu bleiben, und reden und schreiben und
handeln zu lernen, wie es Cicero und Macchiavell lehren." — Für einen
Jüngling von 22 Jahren waren das doch beachtenswerthe Ideen!

In der genfer Atmosphäre athmete er auf von der eintönigen Pfaffen¬
herrschaft, über die er sich in seinen, Canton so häufig zu beklagen hatte. Er
sprach nur Französisch und fühlte sich schon dadurch den Gebildeten näher gerückt.


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[0068] Furcht und aus Gnaden. Der Thron von Polen in seiner Erniedrigung zer¬ trümmert, u. s. w. . . . Das Geschlecht Habsburg an der Spitze der deut¬ schen Völker und aus dem Thron der Tschechen und Hunnen, mächtig von der Weichsel bis unweit der Tiber, gründet durch Armeen und Schätze, wie vor¬ mals durch Negociationen und Heirathen. ein neue Monarchie; wenn durch seine Waffen und Politik auf Absterben der großen fürstlichen Häuser in Deutsch¬ land dies weite Reich dem Kaiser unterworfen werden wird, so kann Wien Rom werden und der Adler sein Reich über den Ruinen der alten europäischen Verfassung aufbauen/' (An seinen Vater. 22. Aug. 1774). Am 1. Dec. 1774 schreibt er an Bonstetten: „Die Encyklopädie sehe ich als eine Quelle des Umsturzes der französischen Monarchie an. Alle inner¬ lichen Unruhen, welche Liguen gegen das gemeine Beste veranlassen, kommen von Leuten her, welche die Regierung und Politik zu kennen glauben, aber nur von ferne ein Ganzes ohne die Lünette eigner Erfahrung in Details gesehn haben; so daß ein Minister, welcher nicht neben den großen Angelegen¬ heiten der Republik auch die Handwerke alle kann kennen lernen, eine Ency¬ klopädie wol anwendet, der gemeine Maulmacher aber sich durch solche Lectüre zur Staatsreformation berufen glaubt; es ist daher wichtig, daß der Staats¬ mann den Fortgang superficieller und blos allgemeiner Kenntnisse einschränke. . . Diese superficiellen Kenntnisse erzeugen bei der Nation, welche sie am univer¬ sellsten besitzt/ die Schar nichtssagender Declamatoren und das Ding, so sie Chaleur nennen. Und weil sich solches auch unter den tugendhaften Berner Jungen einfindet, so wünsche ich, daß Sie vor Ihrer Empfindlichkeit, vor Ihrer Imagi¬ nation, vor Ihrer Ueberzeugung selbst aus der Hut sein, und sich nicht durch die Lava beredten Wortgepränges, so die Herzen erwärmen, nicht aber befruchten mag, hinreißen lassen; ich wünsche zweitens, daß Sie vor diesem Ding im Nothfall auch mich warnen, und drittens, daß wir alle beide uns vor dem entgegengesetzten Fehler hüten, in welchen viele andere fallen, und den ich Enthusiasmus für Kaltblütigkeit und steife Gravität nenne." (20. Dec.) „Was Sie mir von den Vorzügen eines Staats, wo alles gleich sei, schreiben, ist eine fanatische Chimäre, welche Ihnen Rousseau beigebracht hat. Ein solcher Staat hat nie existirt. Nirgend ist die Ungleichheit größer und choquanter als in den Popularständen. Nie hat eine Demokratie länger als fünf Minuten subsistirt. — Eure Metaphysik ist mir unerträglich. Lassen Sie sich doch be¬ reden, in unsrer sublunarischen Welt zu bleiben, und reden und schreiben und handeln zu lernen, wie es Cicero und Macchiavell lehren." — Für einen Jüngling von 22 Jahren waren das doch beachtenswerthe Ideen! In der genfer Atmosphäre athmete er auf von der eintönigen Pfaffen¬ herrschaft, über die er sich in seinen, Canton so häufig zu beklagen hatte. Er sprach nur Französisch und fühlte sich schon dadurch den Gebildeten näher gerückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/68>, abgerufen am 21.12.2024.