Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.ist es eine schwache Rechtfertigung, wenn der Einzelne bei bedeutenden An¬ Am schwersten lastet aus Müllers Ruhm der Makel seines Abfalls im K*
ist es eine schwache Rechtfertigung, wenn der Einzelne bei bedeutenden An¬ Am schwersten lastet aus Müllers Ruhm der Makel seines Abfalls im K*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186463"/> <p xml:id="ID_125" prev="#ID_124"> ist es eine schwache Rechtfertigung, wenn der Einzelne bei bedeutenden An¬<lb/> lagen ein getreues und potenzirtes Abbild von den Schwächen seiner Zeit<lb/> darstellt, aber es fördert wenigstens das Verständniß seiner Seele, die sonst<lb/> ein Räthsel bliebe. Es versteht sich, daß unser Endurtheil nur als Resultat<lb/> unsrer gesammten Darstellung hervorgehen kann, Doch halten wir es für<lb/> nöthig, im voraus auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_126" next="#ID_127"> Am schwersten lastet aus Müllers Ruhm der Makel seines Abfalls im<lb/> Jahr 1807. Es wird sich ergeben, daß dieser Abfall kein vereinzelter Act<lb/> seines Lebens war, der den übrigen widerspräche. Die Zeitumstände gaben<lb/> ihm eine so ernste Bedeutung, aber der Fähigkeit, schnell die Stimmung zu<lb/> wechseln, aus der er einzig und allein hervorging — von den gemeinen Mo¬<lb/> tiven seiner Mitschuldigen muß Müller freigesprochen werden — begegnen<lb/> wir um jedem Wendepunkt seines Lebens. Mehr noch als alle seine Zeitgenossen<lb/> besaß Mütter ein Gemüth, in dem jede große Bewegung schnell nachzitterte;<lb/> in einfachen Verhältnissen, in der Familienpietät, in der Freundschaft tren,<lb/> hingebend und der größten Aufopferungen fähig, hatte er bei allen umfassen¬<lb/> deren Ideen nicht die Kraft, das einmal gewonnene Gefühl so fest zu halten,<lb/> daß es einen: neuen stärkern Widerstand geleistet hätte. Dasselbe Feuer, mit<lb/> dem er die Eindrücke der Natur, mit dem er große und Home Züge in dem<lb/> Buch der Geschichte auffaßte und darstellte, mit dein er sich jedem, der ihm liebe¬<lb/> voll entgegenkam, an die Brust warf, dasselbe Feuer erfaßte ihn bei jeder impo-<lb/> nirenden Erscheinung und trieb ihn augenblicklich zur schrankenlosen Vergötterung.<lb/> Wenn er schon in seiner Freundschaft fortwährend in die Stimmung leiden¬<lb/> schaftlicher Liebe übergeht, so hat seine Begeisterung für Friedrich den Großen,<lb/> dann für Napoleon etwas ausschweifendes, besessenes. Sie unterhalten sich<lb/> eine Stunde freundlich mit ihm und ziehn ihm dadurch die Seele aus der<lb/> Brust, er verlirt ihnen gegenüber das Urtheil und den Willen. Es ist durch<lb/> aus nicht der gewöhnliche Servilismus, aber jener ursprünglich edle Ver-<lb/> ehrungstrieb^ aus dem der Servilismus hervorgeht. So etwas begegnet ihm<lb/> selbst minder bedeutenden Männern z. B. Gentz gegenüber, wenn sie es einen<lb/> Augenblick verstehen, durch eine Idee oder auch nur durch ein Bild den<lb/> Funken des Enthusiasmus in seine Seele zu werfen. Nun kann es nicht<lb/> fehlen, daß bei dieser Vorschnelligkeit der Empfindung häusig die bittersten<lb/> Enttäuschungen eintreten, und diese wirken dann wieder auf die Stimmung der<lb/> Seele zurück. Wer schnell in Enthusiasmus geräth, ist auch leicht geneigt zu<lb/> verzweifeln, und am leichtesten geschieht es, wenn man sich, wie Müller, nie<lb/> in der Dialektik geübt, sondern sich mit unbedingtem Aberglauben den That¬<lb/> sachen gefangcngcgeben hat. Nach der Schlacht bei Jena war ihm nicht<lb/> blos der preußische Staat unrettbar verloren, sondern er sah darin den<lb/> Finger Gottes, den man leicht in jedem rohen Zufall herausfindet, wenn</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> K*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
ist es eine schwache Rechtfertigung, wenn der Einzelne bei bedeutenden An¬
lagen ein getreues und potenzirtes Abbild von den Schwächen seiner Zeit
darstellt, aber es fördert wenigstens das Verständniß seiner Seele, die sonst
ein Räthsel bliebe. Es versteht sich, daß unser Endurtheil nur als Resultat
unsrer gesammten Darstellung hervorgehen kann, Doch halten wir es für
nöthig, im voraus auf einige Gesichtspunkte aufmerksam zu machen.
Am schwersten lastet aus Müllers Ruhm der Makel seines Abfalls im
Jahr 1807. Es wird sich ergeben, daß dieser Abfall kein vereinzelter Act
seines Lebens war, der den übrigen widerspräche. Die Zeitumstände gaben
ihm eine so ernste Bedeutung, aber der Fähigkeit, schnell die Stimmung zu
wechseln, aus der er einzig und allein hervorging — von den gemeinen Mo¬
tiven seiner Mitschuldigen muß Müller freigesprochen werden — begegnen
wir um jedem Wendepunkt seines Lebens. Mehr noch als alle seine Zeitgenossen
besaß Mütter ein Gemüth, in dem jede große Bewegung schnell nachzitterte;
in einfachen Verhältnissen, in der Familienpietät, in der Freundschaft tren,
hingebend und der größten Aufopferungen fähig, hatte er bei allen umfassen¬
deren Ideen nicht die Kraft, das einmal gewonnene Gefühl so fest zu halten,
daß es einen: neuen stärkern Widerstand geleistet hätte. Dasselbe Feuer, mit
dem er die Eindrücke der Natur, mit dem er große und Home Züge in dem
Buch der Geschichte auffaßte und darstellte, mit dein er sich jedem, der ihm liebe¬
voll entgegenkam, an die Brust warf, dasselbe Feuer erfaßte ihn bei jeder impo-
nirenden Erscheinung und trieb ihn augenblicklich zur schrankenlosen Vergötterung.
Wenn er schon in seiner Freundschaft fortwährend in die Stimmung leiden¬
schaftlicher Liebe übergeht, so hat seine Begeisterung für Friedrich den Großen,
dann für Napoleon etwas ausschweifendes, besessenes. Sie unterhalten sich
eine Stunde freundlich mit ihm und ziehn ihm dadurch die Seele aus der
Brust, er verlirt ihnen gegenüber das Urtheil und den Willen. Es ist durch
aus nicht der gewöhnliche Servilismus, aber jener ursprünglich edle Ver-
ehrungstrieb^ aus dem der Servilismus hervorgeht. So etwas begegnet ihm
selbst minder bedeutenden Männern z. B. Gentz gegenüber, wenn sie es einen
Augenblick verstehen, durch eine Idee oder auch nur durch ein Bild den
Funken des Enthusiasmus in seine Seele zu werfen. Nun kann es nicht
fehlen, daß bei dieser Vorschnelligkeit der Empfindung häusig die bittersten
Enttäuschungen eintreten, und diese wirken dann wieder auf die Stimmung der
Seele zurück. Wer schnell in Enthusiasmus geräth, ist auch leicht geneigt zu
verzweifeln, und am leichtesten geschieht es, wenn man sich, wie Müller, nie
in der Dialektik geübt, sondern sich mit unbedingtem Aberglauben den That¬
sachen gefangcngcgeben hat. Nach der Schlacht bei Jena war ihm nicht
blos der preußische Staat unrettbar verloren, sondern er sah darin den
Finger Gottes, den man leicht in jedem rohen Zufall herausfindet, wenn
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