Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.hatte. Eine tiefe Traurigkeit stellte sich ein, er war wie in einem fremden Ki *
hatte. Eine tiefe Traurigkeit stellte sich ein, er war wie in einem fremden Ki *
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186904"/> <p xml:id="ID_1102" prev="#ID_1101" next="#ID_1103"> hatte. Eine tiefe Traurigkeit stellte sich ein, er war wie in einem fremden<lb/> Lande von allen Menschen verlassen. Sein Seelenzustand war damals ganz<lb/> eigenthümlicher Art; wenn die Sonne schien, fühlte er seine Leiden doppelt,<lb/> der Wechsel von Licht und Schatten im Herbste erweckte ein Gefühl in seiner<lb/> Seele, daß er vor Wehmuth oft zu vergehen glaubte; war es dagegen trübes,<lb/> stürmisches Wetter, so befand er sich besser; es war ihm, als wenn er in<lb/> einer dunkeln Felsenkluft säße, in deren Sicherheit ihm wohl wurde. Diese<lb/> Stimmung gab er in Liedern aus, die ihn wundersam in seinen Kümmer¬<lb/> nissen trösteten. Einmal traf er einen wohlgesinnten Pastor, der ihm nach¬<lb/> wies, seine Leiden seien nur eine Prüfung Gottes, den er durch seinen Hoch¬<lb/> muth und Ehrgeiz beleidigt habe. Ganz zerknirscht rief auch Jung: Ach<lb/> mein Herz ist die falscheste Ereatur auf Gottes Erdboden! immer »reine ich,<lb/> ich hätte die Absicht, mit meinem Wissen nur Gott und dem Höchsten zu<lb/> dienen, aber im Grunde ist es nicht wahr: ich will nur gern ein großer<lb/> Mann werden! Nach vielen verunglückten versuchen in seiner Heimath begab<lb/> er sich Ostern 1701 auf die Wanderschaft, ohne recht zu wissen wohin. Ein<lb/> reicher Mann machte ihn zum Informator seiner Kinder, aber er fühlte sich<lb/> liier sehr unglücklich, bis er endlich im Frühling l?02 zu seinem Erstaunen<lb/> in seiner Seele den Entschluß wahrnahm, davon zu lausen, was er auch<lb/> ausführte. Auf der Wanderschaft kehrte er bei einer Schneidcrfamilie ein<lb/> und hörte, wie der Meister mit dem Gesellen sprach, es käme hauptsächlich<lb/> auf den Willen des Menschen an, ob er deu Geist Ehristi in sich Wirten lassen<lb/> »volle. Eine wunderbare Freude überkam ihn, denn er erkannte, daß er bei from¬<lb/> men Leuten war, er konnte sich nicht länger hallen und fing an zu weinen, wo¬<lb/> bei er ein über das andere Mal ausrief: „Gott ich bin zu Hans, ich bin zu<lb/> Haus!" Hier fand er nun einen reichen Kaufmann, der ihn nicht blos zu seinem<lb/> Hauslehrer machte, sondern ihm auch Gelegenheit gab etwas zu lernen, zuerst<lb/> französisch, endlich i.7i>8 auch griechisch. 17<!8 fragte ihn dieser Kaufmann,<lb/> ob er nicht Medicin studiren wolle. Das nimmt er sofort als einen Wink<lb/> Gottes und wird darin noch bestärkt, als ein alter schwindsüchtiger Mann ihm<lb/> ein Recept für Augenkrankheiten vermacht. Ein andrer Wink Gottes treibt<lb/> ihn, sich mit einen: schwindsüchtiger Mädchen zu verheirathen. Er ist nun<lb/> entschlossen, in seine!» Z". Jahre zu studiren. Er hatte sich noch keinen Ort<lb/> gewählt, sondern erwartete einen Wink vom himmlischen Vater; denn weil er<lb/> aus purem Glauben studiren wollte, so durfte er auch in nichts seinem<lb/> eignen Willen folgen. Um die Mittel ist er nicht besorgt, denn, schließt er,<lb/> Gott fängt nichts an, oder er führt es auch herrlich aus; nun ist es aber<lb/> ewig wahr, daß er meine gegenwärtige Lage ganz und allein, ohne mein<lb/> Zuthun, so geordnet hat; folglich ist es auch ewig wahr, daß er mit mir alles<lb/> herrlich ausführen wird. Mich soll doch verlangen, setzt er halb scherzhaft</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Ki *</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0491]
hatte. Eine tiefe Traurigkeit stellte sich ein, er war wie in einem fremden
Lande von allen Menschen verlassen. Sein Seelenzustand war damals ganz
eigenthümlicher Art; wenn die Sonne schien, fühlte er seine Leiden doppelt,
der Wechsel von Licht und Schatten im Herbste erweckte ein Gefühl in seiner
Seele, daß er vor Wehmuth oft zu vergehen glaubte; war es dagegen trübes,
stürmisches Wetter, so befand er sich besser; es war ihm, als wenn er in
einer dunkeln Felsenkluft säße, in deren Sicherheit ihm wohl wurde. Diese
Stimmung gab er in Liedern aus, die ihn wundersam in seinen Kümmer¬
nissen trösteten. Einmal traf er einen wohlgesinnten Pastor, der ihm nach¬
wies, seine Leiden seien nur eine Prüfung Gottes, den er durch seinen Hoch¬
muth und Ehrgeiz beleidigt habe. Ganz zerknirscht rief auch Jung: Ach
mein Herz ist die falscheste Ereatur auf Gottes Erdboden! immer »reine ich,
ich hätte die Absicht, mit meinem Wissen nur Gott und dem Höchsten zu
dienen, aber im Grunde ist es nicht wahr: ich will nur gern ein großer
Mann werden! Nach vielen verunglückten versuchen in seiner Heimath begab
er sich Ostern 1701 auf die Wanderschaft, ohne recht zu wissen wohin. Ein
reicher Mann machte ihn zum Informator seiner Kinder, aber er fühlte sich
liier sehr unglücklich, bis er endlich im Frühling l?02 zu seinem Erstaunen
in seiner Seele den Entschluß wahrnahm, davon zu lausen, was er auch
ausführte. Auf der Wanderschaft kehrte er bei einer Schneidcrfamilie ein
und hörte, wie der Meister mit dem Gesellen sprach, es käme hauptsächlich
auf den Willen des Menschen an, ob er deu Geist Ehristi in sich Wirten lassen
»volle. Eine wunderbare Freude überkam ihn, denn er erkannte, daß er bei from¬
men Leuten war, er konnte sich nicht länger hallen und fing an zu weinen, wo¬
bei er ein über das andere Mal ausrief: „Gott ich bin zu Hans, ich bin zu
Haus!" Hier fand er nun einen reichen Kaufmann, der ihn nicht blos zu seinem
Hauslehrer machte, sondern ihm auch Gelegenheit gab etwas zu lernen, zuerst
französisch, endlich i.7i>8 auch griechisch. 17<!8 fragte ihn dieser Kaufmann,
ob er nicht Medicin studiren wolle. Das nimmt er sofort als einen Wink
Gottes und wird darin noch bestärkt, als ein alter schwindsüchtiger Mann ihm
ein Recept für Augenkrankheiten vermacht. Ein andrer Wink Gottes treibt
ihn, sich mit einen: schwindsüchtiger Mädchen zu verheirathen. Er ist nun
entschlossen, in seine!» Z". Jahre zu studiren. Er hatte sich noch keinen Ort
gewählt, sondern erwartete einen Wink vom himmlischen Vater; denn weil er
aus purem Glauben studiren wollte, so durfte er auch in nichts seinem
eignen Willen folgen. Um die Mittel ist er nicht besorgt, denn, schließt er,
Gott fängt nichts an, oder er führt es auch herrlich aus; nun ist es aber
ewig wahr, daß er meine gegenwärtige Lage ganz und allein, ohne mein
Zuthun, so geordnet hat; folglich ist es auch ewig wahr, daß er mit mir alles
herrlich ausführen wird. Mich soll doch verlangen, setzt er halb scherzhaft
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