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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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auch durch dieses einsame Brüten der Verstand nicht erhellt und der Charakter
nicht gefestigt, so hatten diese stillen Brüderschaften doch einen Vortheil davon:
sie lernten sich über einen bestimmten Gegenstand poetisch und mit einem
gewissen Anschein von Bildung ausdrücken, der gegen ihr sonstiges Wesen
seltsam abstach. Da sie nicht blos an Meditation, sondern auch an bestän-
diges Disputiren über das Wort des Herrn gewöhnt waren, so wurde es
einem Fremden schwer, ihnen'in diesen Dingen Stand zu hallen, und sie
traten selbst dem Herrn Pastor, der sich nicht einer gleichen Glaubensstärke
erfreute, mit einem nicht geringen Selbstgefühl entgegen.

In einer solchen stillen Gemeinde im westfälischen Dorfe Grund wurde
im December 1740 Heinrich Jung geboren. Der Großvater war ein rüstiger
Kohlenbrenner, in den Volksbüchern ebenso belesen wie in der Bibel, Kirchen¬
ältester und den Kops ebenso voll von Schwanken als von theologischen
Controversen. Der Vater war ein verwachsenes, schwächliches und hypochon¬
drisches Schneiderlein, die schnnndsüchtige Mutter starb früh. Durch die
Strenge des Vaters gewöhnte sich der Knabe das Lügen an, dagegen wurde
er durch den Großvater früh in theologische Fragen eingeweiht, daß er schon
in seinem neunten Jahre dein Pastor, der ihn prüfte, durch Bibelsprüche
imponirte und ihn zu dem, Ausruf veranlaßte: ,,euer Sohn wird alle seine
Voreltern übertreffen; fahrt fort, ihn wohl unter der Nuthe zu halten, er
wird ein großer Mann werden." In der That war auch die Rede davon,
ihn studiren zu lassen, aber theils ließ die Noth der Familie es dazu nicht
kommen, theils fürchteten auch der Vater und der Pastor, er werde ihnen
über den Kopf wachsen. So trieb er denn mit seinem Vater das Schneider-
Handwerk, aber ohne Last, denn er fühlte ven Tuch nach etwas Höherem.
Es wäre doch entsetzlich, meinte er, wenn mir Gott Triebe und Neigungen
in die Seele gelegt hätte, und seine Vorsehung weigerte mir die Befriedigung
derselben. Zwar bemühte er sich, alle Neigungen seines Herzens, die nicht
auf die Ewigkeit abzielte", zu dämpfen, aber seine Lectüre, die Bibel, schöne
Melusine, Octavianus, asiatische Banise, Fenelon, Homer, Thomas a Kempis,
machten ihn in der Phantasie stets zum Helden wunderbarer Geschichten und
bevölkerten die Schneiderwerkstatt mit den wunderbarsten Gestalten. In sei¬
nem siebzehnten Jahre verschaffte man ihm in der Nachbarschaft eine Schul¬
lehrerstelle, aber es wollte nicht gehen. Der Versuch wurde mehrmals wieder¬
holt, immer ohne Erfolg; bald stieß er bei der Gemeinde an, indem er den
Kindern das Abc durch Spielkarten beibringen wollte, bald ging er dein
Pastor zu weit, indem er sie in die Geheimnisse des Rechnens einführte. So
wurde er immer wieder abgesetzt und immer wieder genöthigt, zu seinem
Vater in die Schneiderwerkstatt zurückzukehren, wo der Aufenthalt ihm nach¬
grade unerträglich war, seitdem sein Vater ihm eine Stiefmutter gegeben


auch durch dieses einsame Brüten der Verstand nicht erhellt und der Charakter
nicht gefestigt, so hatten diese stillen Brüderschaften doch einen Vortheil davon:
sie lernten sich über einen bestimmten Gegenstand poetisch und mit einem
gewissen Anschein von Bildung ausdrücken, der gegen ihr sonstiges Wesen
seltsam abstach. Da sie nicht blos an Meditation, sondern auch an bestän-
diges Disputiren über das Wort des Herrn gewöhnt waren, so wurde es
einem Fremden schwer, ihnen'in diesen Dingen Stand zu hallen, und sie
traten selbst dem Herrn Pastor, der sich nicht einer gleichen Glaubensstärke
erfreute, mit einem nicht geringen Selbstgefühl entgegen.

In einer solchen stillen Gemeinde im westfälischen Dorfe Grund wurde
im December 1740 Heinrich Jung geboren. Der Großvater war ein rüstiger
Kohlenbrenner, in den Volksbüchern ebenso belesen wie in der Bibel, Kirchen¬
ältester und den Kops ebenso voll von Schwanken als von theologischen
Controversen. Der Vater war ein verwachsenes, schwächliches und hypochon¬
drisches Schneiderlein, die schnnndsüchtige Mutter starb früh. Durch die
Strenge des Vaters gewöhnte sich der Knabe das Lügen an, dagegen wurde
er durch den Großvater früh in theologische Fragen eingeweiht, daß er schon
in seinem neunten Jahre dein Pastor, der ihn prüfte, durch Bibelsprüche
imponirte und ihn zu dem, Ausruf veranlaßte: ,,euer Sohn wird alle seine
Voreltern übertreffen; fahrt fort, ihn wohl unter der Nuthe zu halten, er
wird ein großer Mann werden." In der That war auch die Rede davon,
ihn studiren zu lassen, aber theils ließ die Noth der Familie es dazu nicht
kommen, theils fürchteten auch der Vater und der Pastor, er werde ihnen
über den Kopf wachsen. So trieb er denn mit seinem Vater das Schneider-
Handwerk, aber ohne Last, denn er fühlte ven Tuch nach etwas Höherem.
Es wäre doch entsetzlich, meinte er, wenn mir Gott Triebe und Neigungen
in die Seele gelegt hätte, und seine Vorsehung weigerte mir die Befriedigung
derselben. Zwar bemühte er sich, alle Neigungen seines Herzens, die nicht
auf die Ewigkeit abzielte», zu dämpfen, aber seine Lectüre, die Bibel, schöne
Melusine, Octavianus, asiatische Banise, Fenelon, Homer, Thomas a Kempis,
machten ihn in der Phantasie stets zum Helden wunderbarer Geschichten und
bevölkerten die Schneiderwerkstatt mit den wunderbarsten Gestalten. In sei¬
nem siebzehnten Jahre verschaffte man ihm in der Nachbarschaft eine Schul¬
lehrerstelle, aber es wollte nicht gehen. Der Versuch wurde mehrmals wieder¬
holt, immer ohne Erfolg; bald stieß er bei der Gemeinde an, indem er den
Kindern das Abc durch Spielkarten beibringen wollte, bald ging er dein
Pastor zu weit, indem er sie in die Geheimnisse des Rechnens einführte. So
wurde er immer wieder abgesetzt und immer wieder genöthigt, zu seinem
Vater in die Schneiderwerkstatt zurückzukehren, wo der Aufenthalt ihm nach¬
grade unerträglich war, seitdem sein Vater ihm eine Stiefmutter gegeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/490>, abgerufen am 22.12.2024.