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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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zu befestigen, und dann die Bildung des Volkes nicht blos durch Gesetze an¬
zubahnen, sondern mit Umsicht und thätiger Aufopferung zu leiten. Es galt,
die eigne Apathie und Arbeitsscheu zu bekämpfen, um durch gutes Beispiel
dem industriellen Geiste festen Boden zu bereiten und die Arbeit zu acclimati-
siren. Es galt mit schöpferischer Kraft die Gerechtigkeitspflege zu organisiren.
den höchsten Gerichtshof zu einer imposanten Corporation zu gestalten und
durch unbestochene Redlichkeit eine Tradition des Rechtes und Gesetzes zu
schaffe". Es galt endlich, die so wichtige Presse mit dein Geiste der Mäßigung
und Gediegenheit zu beherrschen.

Solch schwere Aufgabe erforderte aber bedeutende Männer, ja wenigstens
einen wirklichen Staatsmann, ein großes organisatorisches Talent, wie der
Bruderstaat Chile sich dessen erfreute und noch erfreut: die vorhandnen Kräfte
wären dann angemessen vertheilt worden, es wäre Einheit in die Mannig¬
faltigkeit gekommen.

Leider hat es in jener glücklichen Periode Venezuela hieran gefehlt.
Zwar ein Mann war da, der durch seinen moralischen Einfluß die heterogenen
Elemente aus Zeit zusammenhielt; der gefeierte General Paez. Aber zum
Staatsmann war er nicht geboren; es war sein warmes patriotisches Herz
und sein militärischer Ruhm, was ihn zum Mann des allgemeinen Vertrauens
machte. Sein gesundes Gefühl leitete ihn meistens recht; aber "den erhabnen
Fremdling", den Gedanken heimisch zu machen, weite Verhältnisse zu über¬
blicken und nach einem festen Principe planmäßig zu gestalten, das war nicht
Beruf des raschen Sohnes der Llanos. Und unter seinen Ministern, im Stnats-
rath, der nach der Verfassung aus dem Vicepräsidenten als Vorsitzenden,
5 Räthen, und den 3 Ministern bestehend, der Executive berathend und be¬
schließend zur Seite steht, fand sich kein Mann von hervorragender Bedeutung.
Im Gegentheile war es die Leidenschaftlichkeit eines einflußreichen Ministers
Quintero, welche in den bewegten Tagen von 1847 das drohende Unheil
heraufbeschwören half.

Es bedürfte daher keines schweren Anstoßes, um den mehrjährigen Frie¬
den zu stören. Guzman, ein hoher Beamter, hatte sich Veruntreuungen zu
Schulden kommen lassen und wuroe seines Amtes entsetzt. Ein Mann von
Talent, gewandt in den Künsten der Diplomatie, glatt wie ein Aal und ge¬
rieben, konnte er leicht ein gefährlicher Gegner werden. Es gab einen Weg,
ihn unschädlich zu machen und doch sein Talent dem Lande zu erhalten: eine
auswärtige Mission. Aber man fühlte sich wol schon sicher und erkannte des¬
halb die Gefahr nicht. Guzman begann nun, durch die Presse die Negierung
zu bekämpfen und Umsturz zu predigen. Die "Oligarchen" waren auf einmal
Tyrannen, Volksfeinde. Unterdrücker; die "Liberalen" wurden aufgefordert, die
Rechte des souveränen Volks, das an eine Partei verkauft sei, zu schützen.


zu befestigen, und dann die Bildung des Volkes nicht blos durch Gesetze an¬
zubahnen, sondern mit Umsicht und thätiger Aufopferung zu leiten. Es galt,
die eigne Apathie und Arbeitsscheu zu bekämpfen, um durch gutes Beispiel
dem industriellen Geiste festen Boden zu bereiten und die Arbeit zu acclimati-
siren. Es galt mit schöpferischer Kraft die Gerechtigkeitspflege zu organisiren.
den höchsten Gerichtshof zu einer imposanten Corporation zu gestalten und
durch unbestochene Redlichkeit eine Tradition des Rechtes und Gesetzes zu
schaffe». Es galt endlich, die so wichtige Presse mit dein Geiste der Mäßigung
und Gediegenheit zu beherrschen.

Solch schwere Aufgabe erforderte aber bedeutende Männer, ja wenigstens
einen wirklichen Staatsmann, ein großes organisatorisches Talent, wie der
Bruderstaat Chile sich dessen erfreute und noch erfreut: die vorhandnen Kräfte
wären dann angemessen vertheilt worden, es wäre Einheit in die Mannig¬
faltigkeit gekommen.

Leider hat es in jener glücklichen Periode Venezuela hieran gefehlt.
Zwar ein Mann war da, der durch seinen moralischen Einfluß die heterogenen
Elemente aus Zeit zusammenhielt; der gefeierte General Paez. Aber zum
Staatsmann war er nicht geboren; es war sein warmes patriotisches Herz
und sein militärischer Ruhm, was ihn zum Mann des allgemeinen Vertrauens
machte. Sein gesundes Gefühl leitete ihn meistens recht; aber „den erhabnen
Fremdling", den Gedanken heimisch zu machen, weite Verhältnisse zu über¬
blicken und nach einem festen Principe planmäßig zu gestalten, das war nicht
Beruf des raschen Sohnes der Llanos. Und unter seinen Ministern, im Stnats-
rath, der nach der Verfassung aus dem Vicepräsidenten als Vorsitzenden,
5 Räthen, und den 3 Ministern bestehend, der Executive berathend und be¬
schließend zur Seite steht, fand sich kein Mann von hervorragender Bedeutung.
Im Gegentheile war es die Leidenschaftlichkeit eines einflußreichen Ministers
Quintero, welche in den bewegten Tagen von 1847 das drohende Unheil
heraufbeschwören half.

Es bedürfte daher keines schweren Anstoßes, um den mehrjährigen Frie¬
den zu stören. Guzman, ein hoher Beamter, hatte sich Veruntreuungen zu
Schulden kommen lassen und wuroe seines Amtes entsetzt. Ein Mann von
Talent, gewandt in den Künsten der Diplomatie, glatt wie ein Aal und ge¬
rieben, konnte er leicht ein gefährlicher Gegner werden. Es gab einen Weg,
ihn unschädlich zu machen und doch sein Talent dem Lande zu erhalten: eine
auswärtige Mission. Aber man fühlte sich wol schon sicher und erkannte des¬
halb die Gefahr nicht. Guzman begann nun, durch die Presse die Negierung
zu bekämpfen und Umsturz zu predigen. Die „Oligarchen" waren auf einmal
Tyrannen, Volksfeinde. Unterdrücker; die „Liberalen" wurden aufgefordert, die
Rechte des souveränen Volks, das an eine Partei verkauft sei, zu schützen.


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[0474] zu befestigen, und dann die Bildung des Volkes nicht blos durch Gesetze an¬ zubahnen, sondern mit Umsicht und thätiger Aufopferung zu leiten. Es galt, die eigne Apathie und Arbeitsscheu zu bekämpfen, um durch gutes Beispiel dem industriellen Geiste festen Boden zu bereiten und die Arbeit zu acclimati- siren. Es galt mit schöpferischer Kraft die Gerechtigkeitspflege zu organisiren. den höchsten Gerichtshof zu einer imposanten Corporation zu gestalten und durch unbestochene Redlichkeit eine Tradition des Rechtes und Gesetzes zu schaffe». Es galt endlich, die so wichtige Presse mit dein Geiste der Mäßigung und Gediegenheit zu beherrschen. Solch schwere Aufgabe erforderte aber bedeutende Männer, ja wenigstens einen wirklichen Staatsmann, ein großes organisatorisches Talent, wie der Bruderstaat Chile sich dessen erfreute und noch erfreut: die vorhandnen Kräfte wären dann angemessen vertheilt worden, es wäre Einheit in die Mannig¬ faltigkeit gekommen. Leider hat es in jener glücklichen Periode Venezuela hieran gefehlt. Zwar ein Mann war da, der durch seinen moralischen Einfluß die heterogenen Elemente aus Zeit zusammenhielt; der gefeierte General Paez. Aber zum Staatsmann war er nicht geboren; es war sein warmes patriotisches Herz und sein militärischer Ruhm, was ihn zum Mann des allgemeinen Vertrauens machte. Sein gesundes Gefühl leitete ihn meistens recht; aber „den erhabnen Fremdling", den Gedanken heimisch zu machen, weite Verhältnisse zu über¬ blicken und nach einem festen Principe planmäßig zu gestalten, das war nicht Beruf des raschen Sohnes der Llanos. Und unter seinen Ministern, im Stnats- rath, der nach der Verfassung aus dem Vicepräsidenten als Vorsitzenden, 5 Räthen, und den 3 Ministern bestehend, der Executive berathend und be¬ schließend zur Seite steht, fand sich kein Mann von hervorragender Bedeutung. Im Gegentheile war es die Leidenschaftlichkeit eines einflußreichen Ministers Quintero, welche in den bewegten Tagen von 1847 das drohende Unheil heraufbeschwören half. Es bedürfte daher keines schweren Anstoßes, um den mehrjährigen Frie¬ den zu stören. Guzman, ein hoher Beamter, hatte sich Veruntreuungen zu Schulden kommen lassen und wuroe seines Amtes entsetzt. Ein Mann von Talent, gewandt in den Künsten der Diplomatie, glatt wie ein Aal und ge¬ rieben, konnte er leicht ein gefährlicher Gegner werden. Es gab einen Weg, ihn unschädlich zu machen und doch sein Talent dem Lande zu erhalten: eine auswärtige Mission. Aber man fühlte sich wol schon sicher und erkannte des¬ halb die Gefahr nicht. Guzman begann nun, durch die Presse die Negierung zu bekämpfen und Umsturz zu predigen. Die „Oligarchen" waren auf einmal Tyrannen, Volksfeinde. Unterdrücker; die „Liberalen" wurden aufgefordert, die Rechte des souveränen Volks, das an eine Partei verkauft sei, zu schützen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/474>, abgerufen am 22.12.2024.