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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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urtheilt würde. Wohlan, so fasse man den allgemeinen Kern, der in diesen
Stiftungen sich wiederholt, zusammen, schildere den Vorgang ein sür allemal
in den lebendigen Zügen, wie uns solche in Klostcrcmnnlen zahlreich genug
erhalten sind.

Wir führen z. B. die Beschreibung an. welche ein bekannter alter An¬
nalist vom Neubau der Klosterkirche S. Trond liefert, und die in so vielen
Fällen wiederkehrt, daß sie füglich das Ansehen einer allgemein giltigen Regel
ansprechen kann. "Wunderbarlich." sagt er, "war es anzusehen, aus welchen
Entfernungen und in welcher Fülle die Menschen herbeiströmten, mit welchem
Eifer und welcher Freude sie Steine und Kalk und Holz und alles, was die
Nothdurft des Baues verlangte, herbeischleppten. Kein Berg und kein Fluß
hemmte ihre Schritte. Die Begeisterung, die sich in Hymnen und Gebeten
aussprach. ließ sie nicht warten, bis Brücken gebaut und Graben ausgefüllt
wurden. Hunderte und Hunderte von Armen waren bereit, die schwersten
Säulenlasten durch die Tiefen der Flüsse und über die Spitzen der Berge zu
ziehen. Am Tage der Grundsteinlegung selbst eilen die Grafen und Ritter
der Landschaft herbei, umgeben von ihren Weibern, Söhnen und Töchtern,
um ihren Tribut zu zollen; alle legen ihren Eckstein und auf diesen ihren
Beitrag zum Baue; ihnen folgen die Niederen, die Gemeinden bis zum
Aermsten. alle opferwillig, alle voll Hast und Eile, nach ihren Kräften das
Gotteswerk zu fördern." Um ein solches Hauptbild konnten ohne Zwang die
um die kölnische Kunst verdienten Kirchenfürsten, die entsprechenden localen
Ereignisse angebracht werden. Wir wissen aus der kölnischen Kunstgeschichte
selbst, welchen mächtigen Anstoß zur Bauthätigkeit Uebertragungen von Re¬
liquien darboten. Wie nahe lag es da. eine solche Translation und was
gewöhnlich mit derselben zusammenhängt, die Ausstiahlung wunderthätiger
Kraft von den Reliquien und infolge dessen wiederholte Pilgerfahrten zu
schildern. Wer nur einigermaßen mit der Geschichte des Mittelalters vertraut
ist. kennt die lebendigen, farbenreichen Bilder, welche namentlich alte Kloster¬
annalisten von solchen Pilgerzügen entworfen haben. Die Straßen, ja die
Felder und Wiesen selbst erscheinen besäet von den Heilung suchenden Fremden.
Die Häuserzahl reicht nicht aus, sie alle zu bergen. Zelte werden aufgeschlagen,
Laubhütten errichtet. Durch die Reihen der Andächtigen drängen sich die
Händler und der große Haufe der Betriebsamen, die auf die leibliche Noth¬
durft der Pilger rechnen und auf Saumthieren und Karren alles herbeigeführt
haben, was die Bedürfnisse derselben befriedigen oder ihre Kauflust reizen
könnte. In der Nähe der Kirche staut sich das Gedränge an. Hier haben
die Opfcreinnehmer ihren Platz aufgeschlagen, die im Schweiße ihres An¬
gesichtes empfangen, was Frömmigkeit und die dankbare Hoffnung, von leib¬
lichen Schäden und geistigen Nöthen geheilt zu werden, ihnen darbringen.


urtheilt würde. Wohlan, so fasse man den allgemeinen Kern, der in diesen
Stiftungen sich wiederholt, zusammen, schildere den Vorgang ein sür allemal
in den lebendigen Zügen, wie uns solche in Klostcrcmnnlen zahlreich genug
erhalten sind.

Wir führen z. B. die Beschreibung an. welche ein bekannter alter An¬
nalist vom Neubau der Klosterkirche S. Trond liefert, und die in so vielen
Fällen wiederkehrt, daß sie füglich das Ansehen einer allgemein giltigen Regel
ansprechen kann. „Wunderbarlich." sagt er, „war es anzusehen, aus welchen
Entfernungen und in welcher Fülle die Menschen herbeiströmten, mit welchem
Eifer und welcher Freude sie Steine und Kalk und Holz und alles, was die
Nothdurft des Baues verlangte, herbeischleppten. Kein Berg und kein Fluß
hemmte ihre Schritte. Die Begeisterung, die sich in Hymnen und Gebeten
aussprach. ließ sie nicht warten, bis Brücken gebaut und Graben ausgefüllt
wurden. Hunderte und Hunderte von Armen waren bereit, die schwersten
Säulenlasten durch die Tiefen der Flüsse und über die Spitzen der Berge zu
ziehen. Am Tage der Grundsteinlegung selbst eilen die Grafen und Ritter
der Landschaft herbei, umgeben von ihren Weibern, Söhnen und Töchtern,
um ihren Tribut zu zollen; alle legen ihren Eckstein und auf diesen ihren
Beitrag zum Baue; ihnen folgen die Niederen, die Gemeinden bis zum
Aermsten. alle opferwillig, alle voll Hast und Eile, nach ihren Kräften das
Gotteswerk zu fördern." Um ein solches Hauptbild konnten ohne Zwang die
um die kölnische Kunst verdienten Kirchenfürsten, die entsprechenden localen
Ereignisse angebracht werden. Wir wissen aus der kölnischen Kunstgeschichte
selbst, welchen mächtigen Anstoß zur Bauthätigkeit Uebertragungen von Re¬
liquien darboten. Wie nahe lag es da. eine solche Translation und was
gewöhnlich mit derselben zusammenhängt, die Ausstiahlung wunderthätiger
Kraft von den Reliquien und infolge dessen wiederholte Pilgerfahrten zu
schildern. Wer nur einigermaßen mit der Geschichte des Mittelalters vertraut
ist. kennt die lebendigen, farbenreichen Bilder, welche namentlich alte Kloster¬
annalisten von solchen Pilgerzügen entworfen haben. Die Straßen, ja die
Felder und Wiesen selbst erscheinen besäet von den Heilung suchenden Fremden.
Die Häuserzahl reicht nicht aus, sie alle zu bergen. Zelte werden aufgeschlagen,
Laubhütten errichtet. Durch die Reihen der Andächtigen drängen sich die
Händler und der große Haufe der Betriebsamen, die auf die leibliche Noth¬
durft der Pilger rechnen und auf Saumthieren und Karren alles herbeigeführt
haben, was die Bedürfnisse derselben befriedigen oder ihre Kauflust reizen
könnte. In der Nähe der Kirche staut sich das Gedränge an. Hier haben
die Opfcreinnehmer ihren Platz aufgeschlagen, die im Schweiße ihres An¬
gesichtes empfangen, was Frömmigkeit und die dankbare Hoffnung, von leib¬
lichen Schäden und geistigen Nöthen geheilt zu werden, ihnen darbringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/453>, abgerufen am 22.12.2024.