Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.der Indianer nur zwei. Tapferkeit und Weisheit: für Mäßigkeit und Gerechtigkeit Wer die Wohlthaten der Civilisation recht tief erkennen will, der braucht nur Ist es aber nicht möglich, daß der Wilde, erweckt und belehrt durch den Ci- der Indianer nur zwei. Tapferkeit und Weisheit: für Mäßigkeit und Gerechtigkeit Wer die Wohlthaten der Civilisation recht tief erkennen will, der braucht nur Ist es aber nicht möglich, daß der Wilde, erweckt und belehrt durch den Ci- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186857"/> <p xml:id="ID_1000" prev="#ID_999"> der Indianer nur zwei. Tapferkeit und Weisheit: für Mäßigkeit und Gerechtigkeit<lb/> fehlt ihm sogar das Wort. So reich feine Sprache an Ausdrücken ist, um Selbst¬<lb/> gefühl, Kraft, Schlauheit zu bezeichnen, so wenig kennt und nennt er Dankbarkeit,<lb/> Milde, Verzeihung. Der Wilde ist Naturkind, kein edleres Gefühl, kein höherer Ge¬<lb/> danke kann ihn auf die Länge beherrschen. Heute ist er offen, treu, gutherzig, kind-<lb/> lich fröhlich, — morgen springt plötzlich, wenn sein Stolz oder seine Habsucht erregt<lb/> wird, die Leidenschaft in ihm auf; er kann sie nicht bemeistern, und ist er einmal<lb/> im Morden, so wird er grausam und entsetzlich, weil die wilde Wuth ihn fortreißt.<lb/> Man bildete sich früher ein, wilde Völker müßten noch einen Nest von paradiesischer<lb/> Unschuld haben, — die Erfahrung zeigte überall nur das gerade Gegentheil davon.<lb/> Ein dauerndes schamhaftes Gefühl würde man ebenso vergebens im Busen der<lb/> jungen Indianerin suchen, wie bei der vcrheiiathcten eheliche Treue. Gefallsucht<lb/> und Leichtsinn bleibe» die unzcrstörliche Naturgabe der Mädchen und Frauen bei<lb/> den Wilden; leicht gereizt folgen sie ohne Bedenke» ihrer Lüsternheit. Jungfräulichkeit<lb/> seiner Braut ist dem Manne gleichgiltig; den Ehebruch rächt er als einen Eingriff<lb/> in sein Eigenthum, aber er findet nichts Unrechtes darin, Frau und Tochter dem<lb/> Gast aus Gefälligkeit oder aus Gewinnsucht anzubieten. Auch die Indianerin hat<lb/> ein lebhaftes Muttergefühl, gleichwol weist es auf schlechte und schändliche Gewohn¬<lb/> heiten zurück, daß die Jndianerchcn so unfruchtbar sind, und daß die Kinder aus<lb/> denselben so häusig in de» Tagen sterben, wo sie noch zarter Pflege und Liebe<lb/> bedürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1001"> Wer die Wohlthaten der Civilisation recht tief erkennen will, der braucht nur<lb/> ein paar Tage unter Indianern zu leben. Es sind nicht die tausend kleinen An-<lb/> nchmlichkcile» und Genüsse des civilisirten Lebens, welche man vermißt, es liegt viel¬<lb/> mehr für eine Zeitlang eine Lust darin, auf die ursprüngliche Freiheit und Kraft<lb/> des Menschen zurückgeworfen zu sein; allein niemals entgeht man dem widerwär¬<lb/> tige» und trostlosen Eindruck, daß diese wilden Völker kein Hauch von sittlicher<lb/> Energie, kein Heller Geistesstrahl belebt. Die Menschennatur zeigt sich, unter ihnen in<lb/> ihrer Niedrigkeit. Im Wilden liegt der geistige Mensch noch gefangen. Trägen und<lb/> verdüsterten Sinnes, ein Spiel seiner Einfälle und Leidenschaften, lebt er einförmig<lb/> seine Tage hin, es fehlt ihm alle Ahnung eines edleren Daseins. Erst durch die<lb/> Arbeit und die Kämpfe, durch die Noth und die Leiden der Civilisation erhebt sich<lb/> der Mensch auf die Stufe, wo er ein edles und schönes Menschenkind wird, voll<lb/> herrlicher Genüsse und Kenntnisse, voll erhabener Gefühle und Ideen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1002" next="#ID_1003"> Ist es aber nicht möglich, daß der Wilde, erweckt und belehrt durch den Ci-<lb/> vilisirteu, den finstern Bann durchbreche, in welchem ihn eine dämonische Gewalt<lb/> wie in einem geistigen Tode gefangen hält? Kann nicht auch der Indianer der Wohl¬<lb/> thaten der Civilisation theilhaftig werden? Die Erfahrung sagt entschieden Nein.<lb/> Der Wilde kann nur gedeihe» in freier Wildniß; wo die Cultur ihm näher rückt,<lb/> entweicht er oder vergeht er wie das Waldthier. Die Berührung mit der Civili¬<lb/> sation ist seinem Leben feindlich, schon der Blick der weißen Männer scheint ihm<lb/> verderblich. Die Völkerschaften auf den westindischen Insel», die mächtigsten Stämme<lb/> der nordamerikanischen Indianer sind in wenigen Jahrhunderten von der Erde ver¬<lb/> schwunden. Auf allen Inseln der Südsee macht sich ein rasches Absterben der ein¬<lb/> heimischen Bevölkerung bemerklich. Die Angaben der Entdecker dieser Inseln über</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
der Indianer nur zwei. Tapferkeit und Weisheit: für Mäßigkeit und Gerechtigkeit
fehlt ihm sogar das Wort. So reich feine Sprache an Ausdrücken ist, um Selbst¬
gefühl, Kraft, Schlauheit zu bezeichnen, so wenig kennt und nennt er Dankbarkeit,
Milde, Verzeihung. Der Wilde ist Naturkind, kein edleres Gefühl, kein höherer Ge¬
danke kann ihn auf die Länge beherrschen. Heute ist er offen, treu, gutherzig, kind-
lich fröhlich, — morgen springt plötzlich, wenn sein Stolz oder seine Habsucht erregt
wird, die Leidenschaft in ihm auf; er kann sie nicht bemeistern, und ist er einmal
im Morden, so wird er grausam und entsetzlich, weil die wilde Wuth ihn fortreißt.
Man bildete sich früher ein, wilde Völker müßten noch einen Nest von paradiesischer
Unschuld haben, — die Erfahrung zeigte überall nur das gerade Gegentheil davon.
Ein dauerndes schamhaftes Gefühl würde man ebenso vergebens im Busen der
jungen Indianerin suchen, wie bei der vcrheiiathcten eheliche Treue. Gefallsucht
und Leichtsinn bleibe» die unzcrstörliche Naturgabe der Mädchen und Frauen bei
den Wilden; leicht gereizt folgen sie ohne Bedenke» ihrer Lüsternheit. Jungfräulichkeit
seiner Braut ist dem Manne gleichgiltig; den Ehebruch rächt er als einen Eingriff
in sein Eigenthum, aber er findet nichts Unrechtes darin, Frau und Tochter dem
Gast aus Gefälligkeit oder aus Gewinnsucht anzubieten. Auch die Indianerin hat
ein lebhaftes Muttergefühl, gleichwol weist es auf schlechte und schändliche Gewohn¬
heiten zurück, daß die Jndianerchcn so unfruchtbar sind, und daß die Kinder aus
denselben so häusig in de» Tagen sterben, wo sie noch zarter Pflege und Liebe
bedürfen.
Wer die Wohlthaten der Civilisation recht tief erkennen will, der braucht nur
ein paar Tage unter Indianern zu leben. Es sind nicht die tausend kleinen An-
nchmlichkcile» und Genüsse des civilisirten Lebens, welche man vermißt, es liegt viel¬
mehr für eine Zeitlang eine Lust darin, auf die ursprüngliche Freiheit und Kraft
des Menschen zurückgeworfen zu sein; allein niemals entgeht man dem widerwär¬
tige» und trostlosen Eindruck, daß diese wilden Völker kein Hauch von sittlicher
Energie, kein Heller Geistesstrahl belebt. Die Menschennatur zeigt sich, unter ihnen in
ihrer Niedrigkeit. Im Wilden liegt der geistige Mensch noch gefangen. Trägen und
verdüsterten Sinnes, ein Spiel seiner Einfälle und Leidenschaften, lebt er einförmig
seine Tage hin, es fehlt ihm alle Ahnung eines edleren Daseins. Erst durch die
Arbeit und die Kämpfe, durch die Noth und die Leiden der Civilisation erhebt sich
der Mensch auf die Stufe, wo er ein edles und schönes Menschenkind wird, voll
herrlicher Genüsse und Kenntnisse, voll erhabener Gefühle und Ideen.
Ist es aber nicht möglich, daß der Wilde, erweckt und belehrt durch den Ci-
vilisirteu, den finstern Bann durchbreche, in welchem ihn eine dämonische Gewalt
wie in einem geistigen Tode gefangen hält? Kann nicht auch der Indianer der Wohl¬
thaten der Civilisation theilhaftig werden? Die Erfahrung sagt entschieden Nein.
Der Wilde kann nur gedeihe» in freier Wildniß; wo die Cultur ihm näher rückt,
entweicht er oder vergeht er wie das Waldthier. Die Berührung mit der Civili¬
sation ist seinem Leben feindlich, schon der Blick der weißen Männer scheint ihm
verderblich. Die Völkerschaften auf den westindischen Insel», die mächtigsten Stämme
der nordamerikanischen Indianer sind in wenigen Jahrhunderten von der Erde ver¬
schwunden. Auf allen Inseln der Südsee macht sich ein rasches Absterben der ein¬
heimischen Bevölkerung bemerklich. Die Angaben der Entdecker dieser Inseln über
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