Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Literaturzeitung mit ihm verbündet war. und über den deutschen Patriotis¬
mus, der sich jetzt als Ankläger gegen den deutschen Geschichtschreiber erhob,
sehr gering dachte, beschloss, dem hart Angefochtenen eine Genugthuung zu
geben. Er übersetzte die Festrede desselben und veröffentlichte sie im Morgen-
blntt vom ü. März. "Haben Sie Dank." antwortete Müller ete. Mürz. "großer
Mann und edler Mensch! Ihr Name ist meine Aegide gegen den Neid. Die
Leute hier können einem gar nicht vergeben, nicht füsilirt worden zu sein;
und der (mir nicht bekannte) Klang der Guineen hat etwas, das die Donner-
lectionen von Jena und Auerstädt überhören macht. . . . Ich habe meine
Grundsätze nicht geänderte geändert hat sich aber die Welt. Was können
wir dafür? Und da es nun so ist, sollen wir denn alle conspiriren wie
Brutus, oder uns erstechen wie Catoi? Das thut selbst Gentz nicht, welcher
über meine Verrätherei so grimmig thut. . Mich treibt der Gott (andere
sagen der Teufel), in der Literaturzeitung bisweilen merken zu lassen, wie ich
glaube, das; unsere Deutschen sich jetzt am vernünftigsten zu benehmen hätten,
und daß ich sogar meine, sie thäten ebenso gut, mit Weisheit und Gemein-
sinn eine bessere Freiheit sich vorzubereiten, als dieselbe ausschließlich von
Kosaken und Karakalpaken zu erwarten. Das ist die Verrath crei; und --
leider, leider sind mir die Napoleonsdvr noch so unbekannt wie die
Guineen, es ist für nichts und wieder nichts, daß ich der verruchte Mensch
geworden bin- so wie man oft eine junge Schönheit ihre einladenden Reize
nicht gewichtigen Golde, sondern der fatalen Liebe des Lasters gratis hin¬
geben sieht. In der That, wo kein großer deutscher Mann an der Spitze
einer Nationalmacht eristirt und für die Bormnndschaft keine Prätendenten
sind als Kalmücken oder Franzosen, däucht mir am besten, denen schön zu
thun, welche noch die zahmsten' sind, und für die Zukunft Keime besserer
Dinge zu pflanzen. Dieses Glaubensbekenntniß wollte ich Ihnen machen,
damit Sie wissen, ums Sie an mir haben, und wofür eigentlich Catvinus
Gentz die sauste Wärme, welche Servet erfuhr, mir zutheilen möchte." Müller
hebt noch in andern Briefen hervor, daß er für seinen Uebertritt keine
Guineen empfangen habe; das war freilich richtig, ihn hatte nur der Eindruck
der Thatsachen bestochen. Uebrigens waren jene Ansichten ganz in Goethes
Sinn. Er antwortete um 17. April, indem er ihn zugleich aufforderte, der
Literaturzeitung seine Theilnahme zu erhalten: "Man wirkt und nützt im
Sturme muthig fort; es kommt eine Zeit, wo der Pnrteigeist die Well auf
eine andere Weise spaltet und uns in Ruhe läßt." "Ihrem reinen Herzen,"
schreibt M, in derselben Zeit an einen andern, "bedarf ich nicht zu verhehlen,
daß das meinige sehr zerrissen ist. Ich habe in einigen Recensionen den
Nationalgeist. wie es jetzt irgend noch möglich ist, emporzuhaiten und ver¬
nünftig zu leiten gesucht, und muß hören, daß man mich der Abtrünnigkeit,


54 *

Literaturzeitung mit ihm verbündet war. und über den deutschen Patriotis¬
mus, der sich jetzt als Ankläger gegen den deutschen Geschichtschreiber erhob,
sehr gering dachte, beschloss, dem hart Angefochtenen eine Genugthuung zu
geben. Er übersetzte die Festrede desselben und veröffentlichte sie im Morgen-
blntt vom ü. März. „Haben Sie Dank." antwortete Müller ete. Mürz. „großer
Mann und edler Mensch! Ihr Name ist meine Aegide gegen den Neid. Die
Leute hier können einem gar nicht vergeben, nicht füsilirt worden zu sein;
und der (mir nicht bekannte) Klang der Guineen hat etwas, das die Donner-
lectionen von Jena und Auerstädt überhören macht. . . . Ich habe meine
Grundsätze nicht geänderte geändert hat sich aber die Welt. Was können
wir dafür? Und da es nun so ist, sollen wir denn alle conspiriren wie
Brutus, oder uns erstechen wie Catoi? Das thut selbst Gentz nicht, welcher
über meine Verrätherei so grimmig thut. . Mich treibt der Gott (andere
sagen der Teufel), in der Literaturzeitung bisweilen merken zu lassen, wie ich
glaube, das; unsere Deutschen sich jetzt am vernünftigsten zu benehmen hätten,
und daß ich sogar meine, sie thäten ebenso gut, mit Weisheit und Gemein-
sinn eine bessere Freiheit sich vorzubereiten, als dieselbe ausschließlich von
Kosaken und Karakalpaken zu erwarten. Das ist die Verrath crei; und —
leider, leider sind mir die Napoleonsdvr noch so unbekannt wie die
Guineen, es ist für nichts und wieder nichts, daß ich der verruchte Mensch
geworden bin- so wie man oft eine junge Schönheit ihre einladenden Reize
nicht gewichtigen Golde, sondern der fatalen Liebe des Lasters gratis hin¬
geben sieht. In der That, wo kein großer deutscher Mann an der Spitze
einer Nationalmacht eristirt und für die Bormnndschaft keine Prätendenten
sind als Kalmücken oder Franzosen, däucht mir am besten, denen schön zu
thun, welche noch die zahmsten' sind, und für die Zukunft Keime besserer
Dinge zu pflanzen. Dieses Glaubensbekenntniß wollte ich Ihnen machen,
damit Sie wissen, ums Sie an mir haben, und wofür eigentlich Catvinus
Gentz die sauste Wärme, welche Servet erfuhr, mir zutheilen möchte." Müller
hebt noch in andern Briefen hervor, daß er für seinen Uebertritt keine
Guineen empfangen habe; das war freilich richtig, ihn hatte nur der Eindruck
der Thatsachen bestochen. Uebrigens waren jene Ansichten ganz in Goethes
Sinn. Er antwortete um 17. April, indem er ihn zugleich aufforderte, der
Literaturzeitung seine Theilnahme zu erhalten: „Man wirkt und nützt im
Sturme muthig fort; es kommt eine Zeit, wo der Pnrteigeist die Well auf
eine andere Weise spaltet und uns in Ruhe läßt." „Ihrem reinen Herzen,"
schreibt M, in derselben Zeit an einen andern, „bedarf ich nicht zu verhehlen,
daß das meinige sehr zerrissen ist. Ich habe in einigen Recensionen den
Nationalgeist. wie es jetzt irgend noch möglich ist, emporzuhaiten und ver¬
nünftig zu leiten gesucht, und muß hören, daß man mich der Abtrünnigkeit,


54 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186848"/>
            <p xml:id="ID_980" prev="#ID_979" next="#ID_981"> Literaturzeitung mit ihm verbündet war. und über den deutschen Patriotis¬<lb/>
mus, der sich jetzt als Ankläger gegen den deutschen Geschichtschreiber erhob,<lb/>
sehr gering dachte, beschloss, dem hart Angefochtenen eine Genugthuung zu<lb/>
geben. Er übersetzte die Festrede desselben und veröffentlichte sie im Morgen-<lb/>
blntt vom ü. März. &#x201E;Haben Sie Dank." antwortete Müller ete. Mürz. &#x201E;großer<lb/>
Mann und edler Mensch! Ihr Name ist meine Aegide gegen den Neid. Die<lb/>
Leute hier können einem gar nicht vergeben, nicht füsilirt worden zu sein;<lb/>
und der (mir nicht bekannte) Klang der Guineen hat etwas, das die Donner-<lb/>
lectionen von Jena und Auerstädt überhören macht. . . . Ich habe meine<lb/>
Grundsätze nicht geänderte geändert hat sich aber die Welt. Was können<lb/>
wir dafür? Und da es nun so ist, sollen wir denn alle conspiriren wie<lb/>
Brutus, oder uns erstechen wie Catoi? Das thut selbst Gentz nicht, welcher<lb/>
über meine Verrätherei so grimmig thut. . Mich treibt der Gott (andere<lb/>
sagen der Teufel), in der Literaturzeitung bisweilen merken zu lassen, wie ich<lb/>
glaube, das; unsere Deutschen sich jetzt am vernünftigsten zu benehmen hätten,<lb/>
und daß ich sogar meine, sie thäten ebenso gut, mit Weisheit und Gemein-<lb/>
sinn eine bessere Freiheit sich vorzubereiten, als dieselbe ausschließlich von<lb/>
Kosaken und Karakalpaken zu erwarten. Das ist die Verrath crei; und &#x2014;<lb/>
leider, leider sind mir die Napoleonsdvr noch so unbekannt wie die<lb/>
Guineen, es ist für nichts und wieder nichts, daß ich der verruchte Mensch<lb/>
geworden bin- so wie man oft eine junge Schönheit ihre einladenden Reize<lb/>
nicht gewichtigen Golde, sondern der fatalen Liebe des Lasters gratis hin¬<lb/>
geben sieht. In der That, wo kein großer deutscher Mann an der Spitze<lb/>
einer Nationalmacht eristirt und für die Bormnndschaft keine Prätendenten<lb/>
sind als Kalmücken oder Franzosen, däucht mir am besten, denen schön zu<lb/>
thun, welche noch die zahmsten' sind, und für die Zukunft Keime besserer<lb/>
Dinge zu pflanzen. Dieses Glaubensbekenntniß wollte ich Ihnen machen,<lb/>
damit Sie wissen, ums Sie an mir haben, und wofür eigentlich Catvinus<lb/>
Gentz die sauste Wärme, welche Servet erfuhr, mir zutheilen möchte." Müller<lb/>
hebt noch in andern Briefen hervor, daß er für seinen Uebertritt keine<lb/>
Guineen empfangen habe; das war freilich richtig, ihn hatte nur der Eindruck<lb/>
der Thatsachen bestochen. Uebrigens waren jene Ansichten ganz in Goethes<lb/>
Sinn. Er antwortete um 17. April, indem er ihn zugleich aufforderte, der<lb/>
Literaturzeitung seine Theilnahme zu erhalten: &#x201E;Man wirkt und nützt im<lb/>
Sturme muthig fort; es kommt eine Zeit, wo der Pnrteigeist die Well auf<lb/>
eine andere Weise spaltet und uns in Ruhe läßt." &#x201E;Ihrem reinen Herzen,"<lb/>
schreibt M, in derselben Zeit an einen andern, &#x201E;bedarf ich nicht zu verhehlen,<lb/>
daß das meinige sehr zerrissen ist. Ich habe in einigen Recensionen den<lb/>
Nationalgeist. wie es jetzt irgend noch möglich ist, emporzuhaiten und ver¬<lb/>
nünftig zu leiten gesucht, und muß hören, daß man mich der Abtrünnigkeit,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 54 *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] Literaturzeitung mit ihm verbündet war. und über den deutschen Patriotis¬ mus, der sich jetzt als Ankläger gegen den deutschen Geschichtschreiber erhob, sehr gering dachte, beschloss, dem hart Angefochtenen eine Genugthuung zu geben. Er übersetzte die Festrede desselben und veröffentlichte sie im Morgen- blntt vom ü. März. „Haben Sie Dank." antwortete Müller ete. Mürz. „großer Mann und edler Mensch! Ihr Name ist meine Aegide gegen den Neid. Die Leute hier können einem gar nicht vergeben, nicht füsilirt worden zu sein; und der (mir nicht bekannte) Klang der Guineen hat etwas, das die Donner- lectionen von Jena und Auerstädt überhören macht. . . . Ich habe meine Grundsätze nicht geänderte geändert hat sich aber die Welt. Was können wir dafür? Und da es nun so ist, sollen wir denn alle conspiriren wie Brutus, oder uns erstechen wie Catoi? Das thut selbst Gentz nicht, welcher über meine Verrätherei so grimmig thut. . Mich treibt der Gott (andere sagen der Teufel), in der Literaturzeitung bisweilen merken zu lassen, wie ich glaube, das; unsere Deutschen sich jetzt am vernünftigsten zu benehmen hätten, und daß ich sogar meine, sie thäten ebenso gut, mit Weisheit und Gemein- sinn eine bessere Freiheit sich vorzubereiten, als dieselbe ausschließlich von Kosaken und Karakalpaken zu erwarten. Das ist die Verrath crei; und — leider, leider sind mir die Napoleonsdvr noch so unbekannt wie die Guineen, es ist für nichts und wieder nichts, daß ich der verruchte Mensch geworden bin- so wie man oft eine junge Schönheit ihre einladenden Reize nicht gewichtigen Golde, sondern der fatalen Liebe des Lasters gratis hin¬ geben sieht. In der That, wo kein großer deutscher Mann an der Spitze einer Nationalmacht eristirt und für die Bormnndschaft keine Prätendenten sind als Kalmücken oder Franzosen, däucht mir am besten, denen schön zu thun, welche noch die zahmsten' sind, und für die Zukunft Keime besserer Dinge zu pflanzen. Dieses Glaubensbekenntniß wollte ich Ihnen machen, damit Sie wissen, ums Sie an mir haben, und wofür eigentlich Catvinus Gentz die sauste Wärme, welche Servet erfuhr, mir zutheilen möchte." Müller hebt noch in andern Briefen hervor, daß er für seinen Uebertritt keine Guineen empfangen habe; das war freilich richtig, ihn hatte nur der Eindruck der Thatsachen bestochen. Uebrigens waren jene Ansichten ganz in Goethes Sinn. Er antwortete um 17. April, indem er ihn zugleich aufforderte, der Literaturzeitung seine Theilnahme zu erhalten: „Man wirkt und nützt im Sturme muthig fort; es kommt eine Zeit, wo der Pnrteigeist die Well auf eine andere Weise spaltet und uns in Ruhe läßt." „Ihrem reinen Herzen," schreibt M, in derselben Zeit an einen andern, „bedarf ich nicht zu verhehlen, daß das meinige sehr zerrissen ist. Ich habe in einigen Recensionen den Nationalgeist. wie es jetzt irgend noch möglich ist, emporzuhaiten und ver¬ nünftig zu leiten gesucht, und muß hören, daß man mich der Abtrünnigkeit, 54 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/435>, abgerufen am 22.12.2024.