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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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zu Heidelberg oder anderwärts Unterkunft zu finden; doch wäre Paris mir
am liebsten: außer daß ich der großen Städte nun einmal gewöhnt bin,
ist Paris jetzt, wie das alte Rom, die eigentliche Hauptstadt der civilisirten
Welt."

Ueber das Weitere berichtet Woltmann, damals in Berlin sein intim¬
ster Umgang, in dem bekannten Buch über Müller (1810). "Was er thun
konnte, hat er gethan, damit die Posaune des Kriegs ericholl', geschmerzthat
ihn. daß ihm nicht aufgetragen ward, das Kriegsmanifest zu schreiben: ich
hätte, sagte er mir, alles auf einer Seite mit Nachdruck zusammengefaßt."
"Die Kunde von der Schlacht bei Jena kam nach Berlin: es kamen Nach¬
richten, die ihre Schrecken verstärkten. Er verzweifelte an seinem Heil, an
der Vorsehung. Furcht und Angst wollten ihn von hier treiben; er suchte
Pferde und bekam sie nicht mehr. Sein Physisches war zerrüttet und auf¬
gelöst: in diesen Tagen fürchtete ich, daß seine kaum blühende Kraft schnell
getödtet sein möchte. Seine Unterredung mit Kaiser Napoleon erfolgte. Wir
sahen uns bald nach derselben. Eine Verklärung war über ihn ausgegangen;
doch war er in der Wurzel noch mehr erschüttert. Der Kaiser, sagte er mir,
redet wie das Genie selbst, und ist so einfach, so anspruchslos, daß man
ihn durch Fragen und Einwendungen wie unsersgleichen zum weitern Gespräch
fortziehen darf. Ueber politische Grundsätze und historische Wahrheiten, vor
allen über die Geschichte der Araber, hat er wie der geistvollste Gelehrte ge¬
sprochen. Ich redete einst mit Friedrich dem Großen, und war entzückt, doch
Napoleon ist mehr: bei ihm ist alles was er spricht, als könnte nur er dies
gedacht haben, bei Friedrich geriet!) man wol auf eine leise Frage, woher
der König diese schönen Gedanken haben möge? -- Müllers Entzücken über
den Kaiser, den ich viele Jahre laut bewundert, er stärker geschmäht und
verwünscht hatte, freute mich nicht, machte mich wehmüthig. Mit welcher
Gewalt ihn die Persönlichkeit eines solchen Helden und Genius ergreifen
mochte, so durfte sie nicht die Ueberzeugung vom Unwerth eines neuen Sy¬
stems, die er durch seine Art von historischer Forschung sich entschieden und
gegründet hatte, so plötzlich in seinem Gemüth umwerfen. Der Sieger, wel¬
cher die alte Ordnung der Staaten umkehrte durch der Waffen Gewalt, sollte
auch ihren lautesten historischen Herold durch den Zauber des einmaligen Ge¬
sprächs besiegen. Als ihm der Zeitgeist gleichsam persönlich in dem großen
Kaiser erschienen war, als sich ihm Angst und Schrecken in eine frohe Ueber-
raschung auflösten: du war seine Politik wie weggeschleudert von dem Anker
des urkundlichen Rechts, und nun suchte er irre den Zeitgeist, um ihm zu hul¬
digen: was ihm seine alte Geistesbildung immer wie eine Art von Treu¬
losigkeit vorhielt. Sein geistiges Leben war wie im Keim vernichtet. Ich ver¬
barg es mir, und suchte mich mit der Hoffnung zu täuschen, daß er sich viel-


Grcnzl'oder II. 1858. 53

zu Heidelberg oder anderwärts Unterkunft zu finden; doch wäre Paris mir
am liebsten: außer daß ich der großen Städte nun einmal gewöhnt bin,
ist Paris jetzt, wie das alte Rom, die eigentliche Hauptstadt der civilisirten
Welt."

Ueber das Weitere berichtet Woltmann, damals in Berlin sein intim¬
ster Umgang, in dem bekannten Buch über Müller (1810). „Was er thun
konnte, hat er gethan, damit die Posaune des Kriegs ericholl', geschmerzthat
ihn. daß ihm nicht aufgetragen ward, das Kriegsmanifest zu schreiben: ich
hätte, sagte er mir, alles auf einer Seite mit Nachdruck zusammengefaßt."
„Die Kunde von der Schlacht bei Jena kam nach Berlin: es kamen Nach¬
richten, die ihre Schrecken verstärkten. Er verzweifelte an seinem Heil, an
der Vorsehung. Furcht und Angst wollten ihn von hier treiben; er suchte
Pferde und bekam sie nicht mehr. Sein Physisches war zerrüttet und auf¬
gelöst: in diesen Tagen fürchtete ich, daß seine kaum blühende Kraft schnell
getödtet sein möchte. Seine Unterredung mit Kaiser Napoleon erfolgte. Wir
sahen uns bald nach derselben. Eine Verklärung war über ihn ausgegangen;
doch war er in der Wurzel noch mehr erschüttert. Der Kaiser, sagte er mir,
redet wie das Genie selbst, und ist so einfach, so anspruchslos, daß man
ihn durch Fragen und Einwendungen wie unsersgleichen zum weitern Gespräch
fortziehen darf. Ueber politische Grundsätze und historische Wahrheiten, vor
allen über die Geschichte der Araber, hat er wie der geistvollste Gelehrte ge¬
sprochen. Ich redete einst mit Friedrich dem Großen, und war entzückt, doch
Napoleon ist mehr: bei ihm ist alles was er spricht, als könnte nur er dies
gedacht haben, bei Friedrich geriet!) man wol auf eine leise Frage, woher
der König diese schönen Gedanken haben möge? — Müllers Entzücken über
den Kaiser, den ich viele Jahre laut bewundert, er stärker geschmäht und
verwünscht hatte, freute mich nicht, machte mich wehmüthig. Mit welcher
Gewalt ihn die Persönlichkeit eines solchen Helden und Genius ergreifen
mochte, so durfte sie nicht die Ueberzeugung vom Unwerth eines neuen Sy¬
stems, die er durch seine Art von historischer Forschung sich entschieden und
gegründet hatte, so plötzlich in seinem Gemüth umwerfen. Der Sieger, wel¬
cher die alte Ordnung der Staaten umkehrte durch der Waffen Gewalt, sollte
auch ihren lautesten historischen Herold durch den Zauber des einmaligen Ge¬
sprächs besiegen. Als ihm der Zeitgeist gleichsam persönlich in dem großen
Kaiser erschienen war, als sich ihm Angst und Schrecken in eine frohe Ueber-
raschung auflösten: du war seine Politik wie weggeschleudert von dem Anker
des urkundlichen Rechts, und nun suchte er irre den Zeitgeist, um ihm zu hul¬
digen: was ihm seine alte Geistesbildung immer wie eine Art von Treu¬
losigkeit vorhielt. Sein geistiges Leben war wie im Keim vernichtet. Ich ver¬
barg es mir, und suchte mich mit der Hoffnung zu täuschen, daß er sich viel-


Grcnzl'oder II. 1858. 53
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[0425] zu Heidelberg oder anderwärts Unterkunft zu finden; doch wäre Paris mir am liebsten: außer daß ich der großen Städte nun einmal gewöhnt bin, ist Paris jetzt, wie das alte Rom, die eigentliche Hauptstadt der civilisirten Welt." Ueber das Weitere berichtet Woltmann, damals in Berlin sein intim¬ ster Umgang, in dem bekannten Buch über Müller (1810). „Was er thun konnte, hat er gethan, damit die Posaune des Kriegs ericholl', geschmerzthat ihn. daß ihm nicht aufgetragen ward, das Kriegsmanifest zu schreiben: ich hätte, sagte er mir, alles auf einer Seite mit Nachdruck zusammengefaßt." „Die Kunde von der Schlacht bei Jena kam nach Berlin: es kamen Nach¬ richten, die ihre Schrecken verstärkten. Er verzweifelte an seinem Heil, an der Vorsehung. Furcht und Angst wollten ihn von hier treiben; er suchte Pferde und bekam sie nicht mehr. Sein Physisches war zerrüttet und auf¬ gelöst: in diesen Tagen fürchtete ich, daß seine kaum blühende Kraft schnell getödtet sein möchte. Seine Unterredung mit Kaiser Napoleon erfolgte. Wir sahen uns bald nach derselben. Eine Verklärung war über ihn ausgegangen; doch war er in der Wurzel noch mehr erschüttert. Der Kaiser, sagte er mir, redet wie das Genie selbst, und ist so einfach, so anspruchslos, daß man ihn durch Fragen und Einwendungen wie unsersgleichen zum weitern Gespräch fortziehen darf. Ueber politische Grundsätze und historische Wahrheiten, vor allen über die Geschichte der Araber, hat er wie der geistvollste Gelehrte ge¬ sprochen. Ich redete einst mit Friedrich dem Großen, und war entzückt, doch Napoleon ist mehr: bei ihm ist alles was er spricht, als könnte nur er dies gedacht haben, bei Friedrich geriet!) man wol auf eine leise Frage, woher der König diese schönen Gedanken haben möge? — Müllers Entzücken über den Kaiser, den ich viele Jahre laut bewundert, er stärker geschmäht und verwünscht hatte, freute mich nicht, machte mich wehmüthig. Mit welcher Gewalt ihn die Persönlichkeit eines solchen Helden und Genius ergreifen mochte, so durfte sie nicht die Ueberzeugung vom Unwerth eines neuen Sy¬ stems, die er durch seine Art von historischer Forschung sich entschieden und gegründet hatte, so plötzlich in seinem Gemüth umwerfen. Der Sieger, wel¬ cher die alte Ordnung der Staaten umkehrte durch der Waffen Gewalt, sollte auch ihren lautesten historischen Herold durch den Zauber des einmaligen Ge¬ sprächs besiegen. Als ihm der Zeitgeist gleichsam persönlich in dem großen Kaiser erschienen war, als sich ihm Angst und Schrecken in eine frohe Ueber- raschung auflösten: du war seine Politik wie weggeschleudert von dem Anker des urkundlichen Rechts, und nun suchte er irre den Zeitgeist, um ihm zu hul¬ digen: was ihm seine alte Geistesbildung immer wie eine Art von Treu¬ losigkeit vorhielt. Sein geistiges Leben war wie im Keim vernichtet. Ich ver¬ barg es mir, und suchte mich mit der Hoffnung zu täuschen, daß er sich viel- Grcnzl'oder II. 1858. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/425>, abgerufen am 22.12.2024.