Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eines Lächelns erwehren, wenn er den Stoßseufzer liest: Ich habe den Schnu¬
pfen! oder wie ein treuherziger Pompejaner einem verstorbenen Freunde noch
brieflich seine Theilnahme anzeigt: Pyrrhus grüßt seinen Kollegen C. Hejus.
Es thut mir leid, daß du, wie ich höre, gestorben bist, daher lebe wohl.
Eigenthümlich ist die Briefform auch angewandt, um jemandem Vorwürfe zu
machen: Virgula an seinen Tartius. Du bist häßlich. Nichts ist häusiger
als Verwünschungen in den mannigfachsten Wendungen, wie das freundschaft¬
liche: Saulus an Cornelius. Hänge dich! oder leidenschaftlich: Bark" hol
dich der Teufel, Asscllin hol dich der Teufel, oder mit grimmigem Hohn: 'es
wünsche dir, daß deine Geschwüre wieder aufbrechen und sich noch schlimmer
entzünden, als sie schon entzündet sind. Ueberhaupt sind Schmähungen aller
Art. die bald in der Form von Vorwürfen an die betreffende Person gerichtet
werden, bald berichtend und dcnuncirend auftreten, ungemein häufig, und
geben, indem sie uns mitten in den Stadtklatsch versetzen, von dem persön¬
lichen Verkehr, von Sitte und Unsitte ein nicht minder lebendiges und in
mancher Hinsicht treffenderes Bild als z. B. Martials pointirte Epigramme.
Eine glimpfliche Bemerkung ist noch: Anomalus und Voracunnus sind Faul-
lenzer; viel anzüglicher der Ausruf: Oppius Dieb, Dieblein! Dahin gehört
auch die Geschichte: Venoria hat den Maximus während der ganzen Wein¬
lese an der Nase geführt und dann sitzen lassen."

"Ganz besonders aber spielen die geschlechtlichen Ausschweifungen eine
große Rolle und die abscheulichsten Schimpfreden und Schändlichkeiten werden
ohne Umschweif ausgesprochen. Daneben fehlt es denn auch nicht an beschei¬
denen Hindeutungen auf Liebesverhältnisse, wie: schöner Sabinus, Hcrmcros
liebt dich; Cäsius Fidelis liebt Macon aus Nuceria; Aupa liebt den Arabie-
nus; Jssa liebt ihren Mann Primus; auch wol mit einem herzlichen Wunsch:
Cvminias Melde aus Atella liebt Chrestus von Herzen, möge beiden Venus
von Pompeji gnädig sein, mögen sie stets einträchtig leben; oder von einem
Stoßseufzer begleitet: Pucsiva. dich lieben viele; dich hat einzig (ein undeut¬
licher Name) geliebt. Neben einem zärtlichen Gruß: Lebewohl, meine Süße,
liebe mich, liest man einen Ausbruch heftiger Leidenschaft: Ich habe sie! Ich
habe sie! Hier hält sich Nomula mit dem Schurken auf! Ein glücklicher Lieb¬
haber schrieb den (Properz nachgeahmten) Vers an: Eine Blonde hat mich
gelehrt, die Braunen zu hassen; ein guter Freund schrieb darunter: du magst
sie hassen, aber du läßt sie doch nicht in Ruhe, und wie zur Beglaubigung:
dies hat Venus von Pompeji geschrieben. Solche Zusätze von Vorübergehen¬
den sind meistens sehr spaßhaft, wie wenn unter das Stoßgebet: Agatho fleht
die Venus an, ein anderer schreibt: ich flehe, daß er den Hals bricht. Em
unglücklicher Liebhaber hat seine Klagen an die Wand geschrieben, die jetzt
nur noch zum Theil lesbar sind, er schließt mit den Worten: eher wirst du


eines Lächelns erwehren, wenn er den Stoßseufzer liest: Ich habe den Schnu¬
pfen! oder wie ein treuherziger Pompejaner einem verstorbenen Freunde noch
brieflich seine Theilnahme anzeigt: Pyrrhus grüßt seinen Kollegen C. Hejus.
Es thut mir leid, daß du, wie ich höre, gestorben bist, daher lebe wohl.
Eigenthümlich ist die Briefform auch angewandt, um jemandem Vorwürfe zu
machen: Virgula an seinen Tartius. Du bist häßlich. Nichts ist häusiger
als Verwünschungen in den mannigfachsten Wendungen, wie das freundschaft¬
liche: Saulus an Cornelius. Hänge dich! oder leidenschaftlich: Bark« hol
dich der Teufel, Asscllin hol dich der Teufel, oder mit grimmigem Hohn: 'es
wünsche dir, daß deine Geschwüre wieder aufbrechen und sich noch schlimmer
entzünden, als sie schon entzündet sind. Ueberhaupt sind Schmähungen aller
Art. die bald in der Form von Vorwürfen an die betreffende Person gerichtet
werden, bald berichtend und dcnuncirend auftreten, ungemein häufig, und
geben, indem sie uns mitten in den Stadtklatsch versetzen, von dem persön¬
lichen Verkehr, von Sitte und Unsitte ein nicht minder lebendiges und in
mancher Hinsicht treffenderes Bild als z. B. Martials pointirte Epigramme.
Eine glimpfliche Bemerkung ist noch: Anomalus und Voracunnus sind Faul-
lenzer; viel anzüglicher der Ausruf: Oppius Dieb, Dieblein! Dahin gehört
auch die Geschichte: Venoria hat den Maximus während der ganzen Wein¬
lese an der Nase geführt und dann sitzen lassen."

„Ganz besonders aber spielen die geschlechtlichen Ausschweifungen eine
große Rolle und die abscheulichsten Schimpfreden und Schändlichkeiten werden
ohne Umschweif ausgesprochen. Daneben fehlt es denn auch nicht an beschei¬
denen Hindeutungen auf Liebesverhältnisse, wie: schöner Sabinus, Hcrmcros
liebt dich; Cäsius Fidelis liebt Macon aus Nuceria; Aupa liebt den Arabie-
nus; Jssa liebt ihren Mann Primus; auch wol mit einem herzlichen Wunsch:
Cvminias Melde aus Atella liebt Chrestus von Herzen, möge beiden Venus
von Pompeji gnädig sein, mögen sie stets einträchtig leben; oder von einem
Stoßseufzer begleitet: Pucsiva. dich lieben viele; dich hat einzig (ein undeut¬
licher Name) geliebt. Neben einem zärtlichen Gruß: Lebewohl, meine Süße,
liebe mich, liest man einen Ausbruch heftiger Leidenschaft: Ich habe sie! Ich
habe sie! Hier hält sich Nomula mit dem Schurken auf! Ein glücklicher Lieb¬
haber schrieb den (Properz nachgeahmten) Vers an: Eine Blonde hat mich
gelehrt, die Braunen zu hassen; ein guter Freund schrieb darunter: du magst
sie hassen, aber du läßt sie doch nicht in Ruhe, und wie zur Beglaubigung:
dies hat Venus von Pompeji geschrieben. Solche Zusätze von Vorübergehen¬
den sind meistens sehr spaßhaft, wie wenn unter das Stoßgebet: Agatho fleht
die Venus an, ein anderer schreibt: ich flehe, daß er den Hals bricht. Em
unglücklicher Liebhaber hat seine Klagen an die Wand geschrieben, die jetzt
nur noch zum Theil lesbar sind, er schließt mit den Worten: eher wirst du


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186834"/>
              <p xml:id="ID_956" prev="#ID_955"> eines Lächelns erwehren, wenn er den Stoßseufzer liest: Ich habe den Schnu¬<lb/>
pfen! oder wie ein treuherziger Pompejaner einem verstorbenen Freunde noch<lb/>
brieflich seine Theilnahme anzeigt: Pyrrhus grüßt seinen Kollegen C. Hejus.<lb/>
Es thut mir leid, daß du, wie ich höre, gestorben bist, daher lebe wohl.<lb/>
Eigenthümlich ist die Briefform auch angewandt, um jemandem Vorwürfe zu<lb/>
machen: Virgula an seinen Tartius. Du bist häßlich. Nichts ist häusiger<lb/>
als Verwünschungen in den mannigfachsten Wendungen, wie das freundschaft¬<lb/>
liche: Saulus an Cornelius. Hänge dich! oder leidenschaftlich: Bark« hol<lb/>
dich der Teufel, Asscllin hol dich der Teufel, oder mit grimmigem Hohn: 'es<lb/>
wünsche dir, daß deine Geschwüre wieder aufbrechen und sich noch schlimmer<lb/>
entzünden, als sie schon entzündet sind. Ueberhaupt sind Schmähungen aller<lb/>
Art. die bald in der Form von Vorwürfen an die betreffende Person gerichtet<lb/>
werden, bald berichtend und dcnuncirend auftreten, ungemein häufig, und<lb/>
geben, indem sie uns mitten in den Stadtklatsch versetzen, von dem persön¬<lb/>
lichen Verkehr, von Sitte und Unsitte ein nicht minder lebendiges und in<lb/>
mancher Hinsicht treffenderes Bild als z. B. Martials pointirte Epigramme.<lb/>
Eine glimpfliche Bemerkung ist noch: Anomalus und Voracunnus sind Faul-<lb/>
lenzer; viel anzüglicher der Ausruf: Oppius Dieb, Dieblein! Dahin gehört<lb/>
auch die Geschichte: Venoria hat den Maximus während der ganzen Wein¬<lb/>
lese an der Nase geführt und dann sitzen lassen."</p><lb/>
              <p xml:id="ID_957" next="#ID_958"> &#x201E;Ganz besonders aber spielen die geschlechtlichen Ausschweifungen eine<lb/>
große Rolle und die abscheulichsten Schimpfreden und Schändlichkeiten werden<lb/>
ohne Umschweif ausgesprochen. Daneben fehlt es denn auch nicht an beschei¬<lb/>
denen Hindeutungen auf Liebesverhältnisse, wie: schöner Sabinus, Hcrmcros<lb/>
liebt dich; Cäsius Fidelis liebt Macon aus Nuceria; Aupa liebt den Arabie-<lb/>
nus; Jssa liebt ihren Mann Primus; auch wol mit einem herzlichen Wunsch:<lb/>
Cvminias Melde aus Atella liebt Chrestus von Herzen, möge beiden Venus<lb/>
von Pompeji gnädig sein, mögen sie stets einträchtig leben; oder von einem<lb/>
Stoßseufzer begleitet: Pucsiva. dich lieben viele; dich hat einzig (ein undeut¬<lb/>
licher Name) geliebt. Neben einem zärtlichen Gruß: Lebewohl, meine Süße,<lb/>
liebe mich, liest man einen Ausbruch heftiger Leidenschaft: Ich habe sie! Ich<lb/>
habe sie! Hier hält sich Nomula mit dem Schurken auf! Ein glücklicher Lieb¬<lb/>
haber schrieb den (Properz nachgeahmten) Vers an: Eine Blonde hat mich<lb/>
gelehrt, die Braunen zu hassen; ein guter Freund schrieb darunter: du magst<lb/>
sie hassen, aber du läßt sie doch nicht in Ruhe, und wie zur Beglaubigung:<lb/>
dies hat Venus von Pompeji geschrieben. Solche Zusätze von Vorübergehen¬<lb/>
den sind meistens sehr spaßhaft, wie wenn unter das Stoßgebet: Agatho fleht<lb/>
die Venus an, ein anderer schreibt: ich flehe, daß er den Hals bricht. Em<lb/>
unglücklicher Liebhaber hat seine Klagen an die Wand geschrieben, die jetzt<lb/>
nur noch zum Theil lesbar sind, er schließt mit den Worten: eher wirst du</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] eines Lächelns erwehren, wenn er den Stoßseufzer liest: Ich habe den Schnu¬ pfen! oder wie ein treuherziger Pompejaner einem verstorbenen Freunde noch brieflich seine Theilnahme anzeigt: Pyrrhus grüßt seinen Kollegen C. Hejus. Es thut mir leid, daß du, wie ich höre, gestorben bist, daher lebe wohl. Eigenthümlich ist die Briefform auch angewandt, um jemandem Vorwürfe zu machen: Virgula an seinen Tartius. Du bist häßlich. Nichts ist häusiger als Verwünschungen in den mannigfachsten Wendungen, wie das freundschaft¬ liche: Saulus an Cornelius. Hänge dich! oder leidenschaftlich: Bark« hol dich der Teufel, Asscllin hol dich der Teufel, oder mit grimmigem Hohn: 'es wünsche dir, daß deine Geschwüre wieder aufbrechen und sich noch schlimmer entzünden, als sie schon entzündet sind. Ueberhaupt sind Schmähungen aller Art. die bald in der Form von Vorwürfen an die betreffende Person gerichtet werden, bald berichtend und dcnuncirend auftreten, ungemein häufig, und geben, indem sie uns mitten in den Stadtklatsch versetzen, von dem persön¬ lichen Verkehr, von Sitte und Unsitte ein nicht minder lebendiges und in mancher Hinsicht treffenderes Bild als z. B. Martials pointirte Epigramme. Eine glimpfliche Bemerkung ist noch: Anomalus und Voracunnus sind Faul- lenzer; viel anzüglicher der Ausruf: Oppius Dieb, Dieblein! Dahin gehört auch die Geschichte: Venoria hat den Maximus während der ganzen Wein¬ lese an der Nase geführt und dann sitzen lassen." „Ganz besonders aber spielen die geschlechtlichen Ausschweifungen eine große Rolle und die abscheulichsten Schimpfreden und Schändlichkeiten werden ohne Umschweif ausgesprochen. Daneben fehlt es denn auch nicht an beschei¬ denen Hindeutungen auf Liebesverhältnisse, wie: schöner Sabinus, Hcrmcros liebt dich; Cäsius Fidelis liebt Macon aus Nuceria; Aupa liebt den Arabie- nus; Jssa liebt ihren Mann Primus; auch wol mit einem herzlichen Wunsch: Cvminias Melde aus Atella liebt Chrestus von Herzen, möge beiden Venus von Pompeji gnädig sein, mögen sie stets einträchtig leben; oder von einem Stoßseufzer begleitet: Pucsiva. dich lieben viele; dich hat einzig (ein undeut¬ licher Name) geliebt. Neben einem zärtlichen Gruß: Lebewohl, meine Süße, liebe mich, liest man einen Ausbruch heftiger Leidenschaft: Ich habe sie! Ich habe sie! Hier hält sich Nomula mit dem Schurken auf! Ein glücklicher Lieb¬ haber schrieb den (Properz nachgeahmten) Vers an: Eine Blonde hat mich gelehrt, die Braunen zu hassen; ein guter Freund schrieb darunter: du magst sie hassen, aber du läßt sie doch nicht in Ruhe, und wie zur Beglaubigung: dies hat Venus von Pompeji geschrieben. Solche Zusätze von Vorübergehen¬ den sind meistens sehr spaßhaft, wie wenn unter das Stoßgebet: Agatho fleht die Venus an, ein anderer schreibt: ich flehe, daß er den Hals bricht. Em unglücklicher Liebhaber hat seine Klagen an die Wand geschrieben, die jetzt nur noch zum Theil lesbar sind, er schließt mit den Worten: eher wirst du

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/421>, abgerufen am 22.12.2024.