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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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zu geben. Pnez versprach ihm, als Oberst ihn dem Heere einzuverleiben und
sein Wort, das wußte auch der Bandit, brach er nie. Aus der Geißel der
Republik wurde er. einer ihrer ergebensten Diener.

Die nächsten Jahre verflossen ruhig. Der Wächter der Freiheit und Ord¬
nung lenkte die materielle Entwicklung auf gesicherte Bahn, die Finanzen
hoben sich, es faßte allmälig Vertrauen zu den bürgerlichen Einrichtungen
Wurzel. Der sprechendste Beweis davon war, daß man wagte, einen Bürger,
dessen Name nicht auf Schlachtfeldern bekannt geworden, wol aber durch Ge¬
lehrsamkeit, Umsicht und Biederkeit glänzte, zur höchsten Würde zu erheben.
Unter dem Einfluß vornehmlich der besitzenden und intelligenten Classe gewählt
nahm unter Enthusiasmus des Volks der Arzt Dr. Vargns Jan. 35 den
Präsidentenfih ein.

Es thut wohl, in jenem Volk, das, wenn auch nicht an Talenten, so
doch arm an großen Charakteren ist, neben dem wackeren General einen
Mann zu finden mit wahrhaft positivem Geiste, mit einfacher Bürgertugend;
zugleich auch gesättigt von den Ideen europäischer Civilisation, die jenen
Republiken so Noth thut. Gleich Paez stammt der Doctor Vargas ans un¬
bemittelter Familie; aber Umgebung und Lebensrichtung sind sehr verschieden.
Geboren 1787 in La Guaira, empfing er bei dem Mangel an Primärschulen
den ersten dürftigen Unterricht von seinem Vater, einem Ankömmling von den
canarischen Inseln, deren zahlreiche Einwanderer heute noch in Venezuela
wegen ihrer Arbeitsamkeit bekannt, und -- charakteristisch --deshalb im Volke
mißliebig sind; und vou seiner Mutter, eiuer Kreolin. Seine rege Lern-
begjcr verschaffte ihm als I I jährigen Knaben eine Freistelle im theologischen
Seminar zu Caracas. Nach dem ersten völlig dunkeln Jahrhundert, in welchem
die gvldarme Colonie von der goldgierigen Mutter ganz vergessen vegetirte.
war 1696 mit Gründung dieser Anstalt der erste matte Schimmer von Illu¬
stration in jene einsamen Berge gedrungen. Man lehrte etwas Latein, Pseudo-
Aristotelcs, kanonisches Recht, Grammatik, Rhetorik, Dialektik Z. Ja "it LI^s ?c.
Die Tochter war der Mutter Spanien ganz würdig. Dasselbe betrifft die
nach dringenden Gesuchen von Philipp V. I 72l endlich begründete Universität,
die verbunden mit dem Seminar dieselben Privilegien wie Salmnancci haben
sollte. Der Fortschritt war. daß eine Classe für Civilrecht und eine für Me¬
dicin errichtet wurde und die jungen Kreolen einen akademischen Grad sich
nicht erst von San Domingo oder Mexico oder S. Fu de Bogota zu holen
brauchten. --

Der junge Vargas. aufgewachsen in jenen einfachen mehr patriarchalischen
Verhältnissen und unverdorbenen Sitten der Colonie. von denen man heute
noch einzelne schöne Neste in Venezuela findet, sollte nach dein Wunsche der
Eltern Kleriker werden -- ein Stand, der zu jener Zeit ein höheres Ansehn


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zu geben. Pnez versprach ihm, als Oberst ihn dem Heere einzuverleiben und
sein Wort, das wußte auch der Bandit, brach er nie. Aus der Geißel der
Republik wurde er. einer ihrer ergebensten Diener.

Die nächsten Jahre verflossen ruhig. Der Wächter der Freiheit und Ord¬
nung lenkte die materielle Entwicklung auf gesicherte Bahn, die Finanzen
hoben sich, es faßte allmälig Vertrauen zu den bürgerlichen Einrichtungen
Wurzel. Der sprechendste Beweis davon war, daß man wagte, einen Bürger,
dessen Name nicht auf Schlachtfeldern bekannt geworden, wol aber durch Ge¬
lehrsamkeit, Umsicht und Biederkeit glänzte, zur höchsten Würde zu erheben.
Unter dem Einfluß vornehmlich der besitzenden und intelligenten Classe gewählt
nahm unter Enthusiasmus des Volks der Arzt Dr. Vargns Jan. 35 den
Präsidentenfih ein.

Es thut wohl, in jenem Volk, das, wenn auch nicht an Talenten, so
doch arm an großen Charakteren ist, neben dem wackeren General einen
Mann zu finden mit wahrhaft positivem Geiste, mit einfacher Bürgertugend;
zugleich auch gesättigt von den Ideen europäischer Civilisation, die jenen
Republiken so Noth thut. Gleich Paez stammt der Doctor Vargas ans un¬
bemittelter Familie; aber Umgebung und Lebensrichtung sind sehr verschieden.
Geboren 1787 in La Guaira, empfing er bei dem Mangel an Primärschulen
den ersten dürftigen Unterricht von seinem Vater, einem Ankömmling von den
canarischen Inseln, deren zahlreiche Einwanderer heute noch in Venezuela
wegen ihrer Arbeitsamkeit bekannt, und — charakteristisch —deshalb im Volke
mißliebig sind; und vou seiner Mutter, eiuer Kreolin. Seine rege Lern-
begjcr verschaffte ihm als I I jährigen Knaben eine Freistelle im theologischen
Seminar zu Caracas. Nach dem ersten völlig dunkeln Jahrhundert, in welchem
die gvldarme Colonie von der goldgierigen Mutter ganz vergessen vegetirte.
war 1696 mit Gründung dieser Anstalt der erste matte Schimmer von Illu¬
stration in jene einsamen Berge gedrungen. Man lehrte etwas Latein, Pseudo-
Aristotelcs, kanonisches Recht, Grammatik, Rhetorik, Dialektik Z. Ja «it LI^s ?c.
Die Tochter war der Mutter Spanien ganz würdig. Dasselbe betrifft die
nach dringenden Gesuchen von Philipp V. I 72l endlich begründete Universität,
die verbunden mit dem Seminar dieselben Privilegien wie Salmnancci haben
sollte. Der Fortschritt war. daß eine Classe für Civilrecht und eine für Me¬
dicin errichtet wurde und die jungen Kreolen einen akademischen Grad sich
nicht erst von San Domingo oder Mexico oder S. Fu de Bogota zu holen
brauchten. —

Der junge Vargas. aufgewachsen in jenen einfachen mehr patriarchalischen
Verhältnissen und unverdorbenen Sitten der Colonie. von denen man heute
noch einzelne schöne Neste in Venezuela findet, sollte nach dein Wunsche der
Eltern Kleriker werden — ein Stand, der zu jener Zeit ein höheres Ansehn


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[0403] zu geben. Pnez versprach ihm, als Oberst ihn dem Heere einzuverleiben und sein Wort, das wußte auch der Bandit, brach er nie. Aus der Geißel der Republik wurde er. einer ihrer ergebensten Diener. Die nächsten Jahre verflossen ruhig. Der Wächter der Freiheit und Ord¬ nung lenkte die materielle Entwicklung auf gesicherte Bahn, die Finanzen hoben sich, es faßte allmälig Vertrauen zu den bürgerlichen Einrichtungen Wurzel. Der sprechendste Beweis davon war, daß man wagte, einen Bürger, dessen Name nicht auf Schlachtfeldern bekannt geworden, wol aber durch Ge¬ lehrsamkeit, Umsicht und Biederkeit glänzte, zur höchsten Würde zu erheben. Unter dem Einfluß vornehmlich der besitzenden und intelligenten Classe gewählt nahm unter Enthusiasmus des Volks der Arzt Dr. Vargns Jan. 35 den Präsidentenfih ein. Es thut wohl, in jenem Volk, das, wenn auch nicht an Talenten, so doch arm an großen Charakteren ist, neben dem wackeren General einen Mann zu finden mit wahrhaft positivem Geiste, mit einfacher Bürgertugend; zugleich auch gesättigt von den Ideen europäischer Civilisation, die jenen Republiken so Noth thut. Gleich Paez stammt der Doctor Vargas ans un¬ bemittelter Familie; aber Umgebung und Lebensrichtung sind sehr verschieden. Geboren 1787 in La Guaira, empfing er bei dem Mangel an Primärschulen den ersten dürftigen Unterricht von seinem Vater, einem Ankömmling von den canarischen Inseln, deren zahlreiche Einwanderer heute noch in Venezuela wegen ihrer Arbeitsamkeit bekannt, und — charakteristisch —deshalb im Volke mißliebig sind; und vou seiner Mutter, eiuer Kreolin. Seine rege Lern- begjcr verschaffte ihm als I I jährigen Knaben eine Freistelle im theologischen Seminar zu Caracas. Nach dem ersten völlig dunkeln Jahrhundert, in welchem die gvldarme Colonie von der goldgierigen Mutter ganz vergessen vegetirte. war 1696 mit Gründung dieser Anstalt der erste matte Schimmer von Illu¬ stration in jene einsamen Berge gedrungen. Man lehrte etwas Latein, Pseudo- Aristotelcs, kanonisches Recht, Grammatik, Rhetorik, Dialektik Z. Ja «it LI^s ?c. Die Tochter war der Mutter Spanien ganz würdig. Dasselbe betrifft die nach dringenden Gesuchen von Philipp V. I 72l endlich begründete Universität, die verbunden mit dem Seminar dieselben Privilegien wie Salmnancci haben sollte. Der Fortschritt war. daß eine Classe für Civilrecht und eine für Me¬ dicin errichtet wurde und die jungen Kreolen einen akademischen Grad sich nicht erst von San Domingo oder Mexico oder S. Fu de Bogota zu holen brauchten. — Der junge Vargas. aufgewachsen in jenen einfachen mehr patriarchalischen Verhältnissen und unverdorbenen Sitten der Colonie. von denen man heute noch einzelne schöne Neste in Venezuela findet, sollte nach dein Wunsche der Eltern Kleriker werden — ein Stand, der zu jener Zeit ein höheres Ansehn 50*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/403>, abgerufen am 22.12.2024.