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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Spitze Bolivar. um so gereizter wurden, die ersteren den Kongreß und errichteten
bald zu Bogota "auf den Ruinen der erst verleugneten und dann öffentlich
gebrochenen Constitution den Koloß der Dictatur". Nach der Septembcr-
verschivörung zu Bogota gegen Bolivars Leben, die von Söhnen der ersten
Familien ausging; nach dessen Sieg 1829 bei Tarqui über die rebellischen
Peruaner, so wie über innere Feinde und Insurrectioneu -- eben als der
aus wahren und gezwungenen Freunden des Dictators zusammengefegte und
im Jan. 18:?" eröffnete Congrcfo admirable seinen umfassenden Plänen die
Krone nnfsetzen sollte, hatte sich schon im fernen Caracas das Schicksal Kolum¬
biens entschieden. Venezuela sagte sich durch Beschluß einer zweitägigen Volks¬
versammlung Ende Novbr. 2>> von Bolivar los. Als die Nachricht eintraf,
dankte er ab und starb bald darnach auf granadinischem Boden.

Jedes Volk will seinen Helden. Es liebt sich zu sonnen in dem Wider¬
schein seines Ruhms, zumal ein Volk, das nur zu gern sich selbst bespiegelt.
So haben auch die Venezolaner nach 12 Jahren gedeihlicher Entwicklung
im I. 42 in Vergessenheit alles Hasses und Grolls die Asche des Litertador
feierlich eingeholt und in der Kathedrale zu Caracas beigesetzt. Eine schöne
Marmorstatue in der Seitenkapelle verewigt sein Andenken. Früher viel ge¬
schmäht, wird er jetzt in Venezuela desto mehr gefeiert. Eine spätere Geschichte
wird über ihn richten, denn noch ist vieles unklar. Wenn man ihn jetzt mock,
in Reugranada wegen seiner monarchischen Pläne verunglimpft, so ist das
verkehrt. Sie waren damals das einzig Mögliche. Viel weiter muß man
zurückgreifen, um ein Urtheil zu gewinnen. Es fragt sich darum, ob Bolivar
von Anfang an aufrichtiger Republikaner war, wie es doch scheinen mußte.
Gut unterrichtete Männer in Caracas, die an jenen Ereignissen thätigen An¬
theil genommen, verneinen es. Aber die Scheu vor der öffentlichen Meinung
wie vor dem moralischen Einfluß angesehener Verwandten des Libertador läßt
nur in vertrautem Gespräch solch ketzerische Ansicht vernehmen.

Während sich Bolivar allmälig seinem engern Vaterlande entfremdete,
hatte sich in Venezuela neben andern tüchtigen Generälen seit 1821 Einer ent¬
schieden in den Vordergrund gestellt, an den länger als ein Vierteljahrhundert
die Geschicke dieses Landes geknüpft sind: Jos6 Antonio Pacz. Geboren 1790
auf dem Lande in der jeiugen Provinz Varinas von weißen Eltern gehörte er
als Llanero (Ebenenbewohner) jenem kühnen Geschlechte an, das. gestählt im
Kampfe bald mit Überschwemmungen, bald mit der Boa und dem Tiger,
an Entbehrungen gewöhnt, geübt in Schlauheit und List, gewandt und
unerschrocken in Gefahr, gastfrei gegen den Fremdling, aber mißtrauisch gegen
den Culturmenschen, glühend für ein freies, unabhängiges Leben, epigram¬
matisch kurz in seinen Worten, frisch und ursprünglich in seinen Liedern --
ein echtes Hirtenvolk, weit abstand von der Indolenz der ackerbauenden Berg-


Spitze Bolivar. um so gereizter wurden, die ersteren den Kongreß und errichteten
bald zu Bogota „auf den Ruinen der erst verleugneten und dann öffentlich
gebrochenen Constitution den Koloß der Dictatur". Nach der Septembcr-
verschivörung zu Bogota gegen Bolivars Leben, die von Söhnen der ersten
Familien ausging; nach dessen Sieg 1829 bei Tarqui über die rebellischen
Peruaner, so wie über innere Feinde und Insurrectioneu — eben als der
aus wahren und gezwungenen Freunden des Dictators zusammengefegte und
im Jan. 18:?« eröffnete Congrcfo admirable seinen umfassenden Plänen die
Krone nnfsetzen sollte, hatte sich schon im fernen Caracas das Schicksal Kolum¬
biens entschieden. Venezuela sagte sich durch Beschluß einer zweitägigen Volks¬
versammlung Ende Novbr. 2>> von Bolivar los. Als die Nachricht eintraf,
dankte er ab und starb bald darnach auf granadinischem Boden.

Jedes Volk will seinen Helden. Es liebt sich zu sonnen in dem Wider¬
schein seines Ruhms, zumal ein Volk, das nur zu gern sich selbst bespiegelt.
So haben auch die Venezolaner nach 12 Jahren gedeihlicher Entwicklung
im I. 42 in Vergessenheit alles Hasses und Grolls die Asche des Litertador
feierlich eingeholt und in der Kathedrale zu Caracas beigesetzt. Eine schöne
Marmorstatue in der Seitenkapelle verewigt sein Andenken. Früher viel ge¬
schmäht, wird er jetzt in Venezuela desto mehr gefeiert. Eine spätere Geschichte
wird über ihn richten, denn noch ist vieles unklar. Wenn man ihn jetzt mock,
in Reugranada wegen seiner monarchischen Pläne verunglimpft, so ist das
verkehrt. Sie waren damals das einzig Mögliche. Viel weiter muß man
zurückgreifen, um ein Urtheil zu gewinnen. Es fragt sich darum, ob Bolivar
von Anfang an aufrichtiger Republikaner war, wie es doch scheinen mußte.
Gut unterrichtete Männer in Caracas, die an jenen Ereignissen thätigen An¬
theil genommen, verneinen es. Aber die Scheu vor der öffentlichen Meinung
wie vor dem moralischen Einfluß angesehener Verwandten des Libertador läßt
nur in vertrautem Gespräch solch ketzerische Ansicht vernehmen.

Während sich Bolivar allmälig seinem engern Vaterlande entfremdete,
hatte sich in Venezuela neben andern tüchtigen Generälen seit 1821 Einer ent¬
schieden in den Vordergrund gestellt, an den länger als ein Vierteljahrhundert
die Geschicke dieses Landes geknüpft sind: Jos6 Antonio Pacz. Geboren 1790
auf dem Lande in der jeiugen Provinz Varinas von weißen Eltern gehörte er
als Llanero (Ebenenbewohner) jenem kühnen Geschlechte an, das. gestählt im
Kampfe bald mit Überschwemmungen, bald mit der Boa und dem Tiger,
an Entbehrungen gewöhnt, geübt in Schlauheit und List, gewandt und
unerschrocken in Gefahr, gastfrei gegen den Fremdling, aber mißtrauisch gegen
den Culturmenschen, glühend für ein freies, unabhängiges Leben, epigram¬
matisch kurz in seinen Worten, frisch und ursprünglich in seinen Liedern —
ein echtes Hirtenvolk, weit abstand von der Indolenz der ackerbauenden Berg-


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[0398] Spitze Bolivar. um so gereizter wurden, die ersteren den Kongreß und errichteten bald zu Bogota „auf den Ruinen der erst verleugneten und dann öffentlich gebrochenen Constitution den Koloß der Dictatur". Nach der Septembcr- verschivörung zu Bogota gegen Bolivars Leben, die von Söhnen der ersten Familien ausging; nach dessen Sieg 1829 bei Tarqui über die rebellischen Peruaner, so wie über innere Feinde und Insurrectioneu — eben als der aus wahren und gezwungenen Freunden des Dictators zusammengefegte und im Jan. 18:?« eröffnete Congrcfo admirable seinen umfassenden Plänen die Krone nnfsetzen sollte, hatte sich schon im fernen Caracas das Schicksal Kolum¬ biens entschieden. Venezuela sagte sich durch Beschluß einer zweitägigen Volks¬ versammlung Ende Novbr. 2>> von Bolivar los. Als die Nachricht eintraf, dankte er ab und starb bald darnach auf granadinischem Boden. Jedes Volk will seinen Helden. Es liebt sich zu sonnen in dem Wider¬ schein seines Ruhms, zumal ein Volk, das nur zu gern sich selbst bespiegelt. So haben auch die Venezolaner nach 12 Jahren gedeihlicher Entwicklung im I. 42 in Vergessenheit alles Hasses und Grolls die Asche des Litertador feierlich eingeholt und in der Kathedrale zu Caracas beigesetzt. Eine schöne Marmorstatue in der Seitenkapelle verewigt sein Andenken. Früher viel ge¬ schmäht, wird er jetzt in Venezuela desto mehr gefeiert. Eine spätere Geschichte wird über ihn richten, denn noch ist vieles unklar. Wenn man ihn jetzt mock, in Reugranada wegen seiner monarchischen Pläne verunglimpft, so ist das verkehrt. Sie waren damals das einzig Mögliche. Viel weiter muß man zurückgreifen, um ein Urtheil zu gewinnen. Es fragt sich darum, ob Bolivar von Anfang an aufrichtiger Republikaner war, wie es doch scheinen mußte. Gut unterrichtete Männer in Caracas, die an jenen Ereignissen thätigen An¬ theil genommen, verneinen es. Aber die Scheu vor der öffentlichen Meinung wie vor dem moralischen Einfluß angesehener Verwandten des Libertador läßt nur in vertrautem Gespräch solch ketzerische Ansicht vernehmen. Während sich Bolivar allmälig seinem engern Vaterlande entfremdete, hatte sich in Venezuela neben andern tüchtigen Generälen seit 1821 Einer ent¬ schieden in den Vordergrund gestellt, an den länger als ein Vierteljahrhundert die Geschicke dieses Landes geknüpft sind: Jos6 Antonio Pacz. Geboren 1790 auf dem Lande in der jeiugen Provinz Varinas von weißen Eltern gehörte er als Llanero (Ebenenbewohner) jenem kühnen Geschlechte an, das. gestählt im Kampfe bald mit Überschwemmungen, bald mit der Boa und dem Tiger, an Entbehrungen gewöhnt, geübt in Schlauheit und List, gewandt und unerschrocken in Gefahr, gastfrei gegen den Fremdling, aber mißtrauisch gegen den Culturmenschen, glühend für ein freies, unabhängiges Leben, epigram¬ matisch kurz in seinen Worten, frisch und ursprünglich in seinen Liedern — ein echtes Hirtenvolk, weit abstand von der Indolenz der ackerbauenden Berg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/398>, abgerufen am 22.12.2024.