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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Konstitution als unbrauchbar bei Seite zu schieben und vorsichtig, aber conse-
quent seine Pläne zr, verfolgen. Indeß je mehr man sie durchschaute, desto
entschiedener schaarte man sich um das Banner der Verfassung, Aber so stark
auch diese "liberale" Partei, mit dem Vicepräsidenten Kolumbiens Santander
an der Spitze, war; so warme Patrioten und begabte Männer sie zählte: dein
überragenden Geiste Bolivars mußte sie doch unterliegen und unter seinen,
Terrorismus bluten. Die Reiben der granadinischen Liberalen wurden 1828
und 29 durch Tod. Einkerkerung und Verbannung gelichtet, und ein vom Dic¬
tator auf den Jan. 30 berufener Nationalcongreß, El Adinirable von ihm
benannt, sollte diesen endlich zum lebenslänglichen Präsidenten Kolumbiens
ernennen, mit der Vollmacht -- dies war das offenkundige Geheimniß des
Ministerraths und zweifelsohne auch Bolivars als Nachfolger einen Mon¬
archen, eventuell aus dem Hause Bourbon, zu bestimmen. Indeß die Nemesis
verkehrte den "Admirable" in das Gegentheil seiner Absicht.

Unterdeß nämlich war Bolivars engeres Battrlcmd naturgemäß seine"
eignen Weg gegangen. Schon lange hatten sich in dem fernen Caracas die
Sympathien für ihn abgekühlt; nur seine persönliche Anwesenheit >827 ver¬
mochte auf kurze Zeit sie wieder zu beleben. Enthusiastisch wurde er am
>o. Jan. empfangen: er war ja der Landsmann, der Mitbürger, welchem
fünf Staaten die Unabhängigkeit verdankten. Aber bald legte sich das Feuer:
nicht als ob man in ihm den Feind der freisinnigen Constitution erkannt
hätte -- denn diese hatte auch in Caracas seit >82<> kein Ansehn mehr --,
sondern weil man überhaupt keine columbische Constitution, einen Föderativ-,
keinen Centrnlstaat gebrauchen konnte. Die durchgreifenden und willkürlichen
Reformen aber, welche Bolivar in Caracas vornahm, schienen nur auf Ein¬
führung des bolivianischen Coder und schließlich, wie die nächste Umgebung
des Libcrtador durchblicken ließ, auf ein noch monströseres Reich hinzuführen,
ein Reich der Andes, das Kolumbien, Peru und Bolivia unter Einem GescK-
buch und Präsidenten umfassen sollte. Mochte dem sein, wie ihm wolle: That¬
sache ist, daß der kurz vorher so gefeierte Held, als er am 7. Juni Morgens
seine Vaterstadt verließ, um sie nie wieder zu sehen, von niemand als seiner
Dienerschaft und einigen Militärs begleitet wurde. -- Noch einmal indeß ließ
sich Venezuela herbei, zu der Gran Convention von Ocmur im März 28 zur
Reform der allenthalben mit Füßen getretenen Verfassung Abgeordnete zu
senden. Es war die letzte, das ganze Columbien vertretende National¬
versammlung, zusammengesetzt vornehmlich aus zwei extremen Parteien: den
glühenden Anhängern Bolivars, die unter dem symbolischen Namen eines
kräftigen Regiments den bolivianischen Code.r verfochten, und den ebenso ent-
schiednen Republikanern. Da letztere in der Majorität waren, verließen nach
heftigen Kämpfen, welche durch die bedrohende Nähe des Heeres, an der


Konstitution als unbrauchbar bei Seite zu schieben und vorsichtig, aber conse-
quent seine Pläne zr, verfolgen. Indeß je mehr man sie durchschaute, desto
entschiedener schaarte man sich um das Banner der Verfassung, Aber so stark
auch diese „liberale" Partei, mit dem Vicepräsidenten Kolumbiens Santander
an der Spitze, war; so warme Patrioten und begabte Männer sie zählte: dein
überragenden Geiste Bolivars mußte sie doch unterliegen und unter seinen,
Terrorismus bluten. Die Reiben der granadinischen Liberalen wurden 1828
und 29 durch Tod. Einkerkerung und Verbannung gelichtet, und ein vom Dic¬
tator auf den Jan. 30 berufener Nationalcongreß, El Adinirable von ihm
benannt, sollte diesen endlich zum lebenslänglichen Präsidenten Kolumbiens
ernennen, mit der Vollmacht — dies war das offenkundige Geheimniß des
Ministerraths und zweifelsohne auch Bolivars als Nachfolger einen Mon¬
archen, eventuell aus dem Hause Bourbon, zu bestimmen. Indeß die Nemesis
verkehrte den „Admirable" in das Gegentheil seiner Absicht.

Unterdeß nämlich war Bolivars engeres Battrlcmd naturgemäß seine»
eignen Weg gegangen. Schon lange hatten sich in dem fernen Caracas die
Sympathien für ihn abgekühlt; nur seine persönliche Anwesenheit >827 ver¬
mochte auf kurze Zeit sie wieder zu beleben. Enthusiastisch wurde er am
>o. Jan. empfangen: er war ja der Landsmann, der Mitbürger, welchem
fünf Staaten die Unabhängigkeit verdankten. Aber bald legte sich das Feuer:
nicht als ob man in ihm den Feind der freisinnigen Constitution erkannt
hätte — denn diese hatte auch in Caracas seit >82<> kein Ansehn mehr —,
sondern weil man überhaupt keine columbische Constitution, einen Föderativ-,
keinen Centrnlstaat gebrauchen konnte. Die durchgreifenden und willkürlichen
Reformen aber, welche Bolivar in Caracas vornahm, schienen nur auf Ein¬
führung des bolivianischen Coder und schließlich, wie die nächste Umgebung
des Libcrtador durchblicken ließ, auf ein noch monströseres Reich hinzuführen,
ein Reich der Andes, das Kolumbien, Peru und Bolivia unter Einem GescK-
buch und Präsidenten umfassen sollte. Mochte dem sein, wie ihm wolle: That¬
sache ist, daß der kurz vorher so gefeierte Held, als er am 7. Juni Morgens
seine Vaterstadt verließ, um sie nie wieder zu sehen, von niemand als seiner
Dienerschaft und einigen Militärs begleitet wurde. — Noch einmal indeß ließ
sich Venezuela herbei, zu der Gran Convention von Ocmur im März 28 zur
Reform der allenthalben mit Füßen getretenen Verfassung Abgeordnete zu
senden. Es war die letzte, das ganze Columbien vertretende National¬
versammlung, zusammengesetzt vornehmlich aus zwei extremen Parteien: den
glühenden Anhängern Bolivars, die unter dem symbolischen Namen eines
kräftigen Regiments den bolivianischen Code.r verfochten, und den ebenso ent-
schiednen Republikanern. Da letztere in der Majorität waren, verließen nach
heftigen Kämpfen, welche durch die bedrohende Nähe des Heeres, an der


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[0397] Konstitution als unbrauchbar bei Seite zu schieben und vorsichtig, aber conse- quent seine Pläne zr, verfolgen. Indeß je mehr man sie durchschaute, desto entschiedener schaarte man sich um das Banner der Verfassung, Aber so stark auch diese „liberale" Partei, mit dem Vicepräsidenten Kolumbiens Santander an der Spitze, war; so warme Patrioten und begabte Männer sie zählte: dein überragenden Geiste Bolivars mußte sie doch unterliegen und unter seinen, Terrorismus bluten. Die Reiben der granadinischen Liberalen wurden 1828 und 29 durch Tod. Einkerkerung und Verbannung gelichtet, und ein vom Dic¬ tator auf den Jan. 30 berufener Nationalcongreß, El Adinirable von ihm benannt, sollte diesen endlich zum lebenslänglichen Präsidenten Kolumbiens ernennen, mit der Vollmacht — dies war das offenkundige Geheimniß des Ministerraths und zweifelsohne auch Bolivars als Nachfolger einen Mon¬ archen, eventuell aus dem Hause Bourbon, zu bestimmen. Indeß die Nemesis verkehrte den „Admirable" in das Gegentheil seiner Absicht. Unterdeß nämlich war Bolivars engeres Battrlcmd naturgemäß seine» eignen Weg gegangen. Schon lange hatten sich in dem fernen Caracas die Sympathien für ihn abgekühlt; nur seine persönliche Anwesenheit >827 ver¬ mochte auf kurze Zeit sie wieder zu beleben. Enthusiastisch wurde er am >o. Jan. empfangen: er war ja der Landsmann, der Mitbürger, welchem fünf Staaten die Unabhängigkeit verdankten. Aber bald legte sich das Feuer: nicht als ob man in ihm den Feind der freisinnigen Constitution erkannt hätte — denn diese hatte auch in Caracas seit >82<> kein Ansehn mehr —, sondern weil man überhaupt keine columbische Constitution, einen Föderativ-, keinen Centrnlstaat gebrauchen konnte. Die durchgreifenden und willkürlichen Reformen aber, welche Bolivar in Caracas vornahm, schienen nur auf Ein¬ führung des bolivianischen Coder und schließlich, wie die nächste Umgebung des Libcrtador durchblicken ließ, auf ein noch monströseres Reich hinzuführen, ein Reich der Andes, das Kolumbien, Peru und Bolivia unter Einem GescK- buch und Präsidenten umfassen sollte. Mochte dem sein, wie ihm wolle: That¬ sache ist, daß der kurz vorher so gefeierte Held, als er am 7. Juni Morgens seine Vaterstadt verließ, um sie nie wieder zu sehen, von niemand als seiner Dienerschaft und einigen Militärs begleitet wurde. — Noch einmal indeß ließ sich Venezuela herbei, zu der Gran Convention von Ocmur im März 28 zur Reform der allenthalben mit Füßen getretenen Verfassung Abgeordnete zu senden. Es war die letzte, das ganze Columbien vertretende National¬ versammlung, zusammengesetzt vornehmlich aus zwei extremen Parteien: den glühenden Anhängern Bolivars, die unter dem symbolischen Namen eines kräftigen Regiments den bolivianischen Code.r verfochten, und den ebenso ent- schiednen Republikanern. Da letztere in der Majorität waren, verließen nach heftigen Kämpfen, welche durch die bedrohende Nähe des Heeres, an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/397>, abgerufen am 22.12.2024.