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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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eines Regenerndvr, und thatsächlicher Hersteller einer lebenslänglichen Dictatur
verheißt ist, für immer unschädlich machen sollte. Dessen gewiß suchte er nur
seine und seiner Familie persönliche Freiheit unter den Schutz Frankreichs zu
stellen. Indeß, nach den neuesten Berichten, ist dies ihm doch nicht gelungen.
Nicht zufrieden mit den Millionen geraubter und in der englischen Bank an¬
gelegter Gelder hatte Monagas bei Zeiten auch eine volle Geldkiste beim Ge¬
sandten untergebracht, und als dieser zur Bewachung derselben die in Caracas
lebenden Franzosen aufforderte, haben sich mehre von ihnen empört über eine
solche "Frankreich entehrende" Zumuthung, öffentlich gegen ihren eignen Ver¬
treter erklärt. Und da die provisorische Negierung witterte, daß den Gesand¬
te" nach der halben Million gelüsten mochte und ein Heirathscontract zwischen
ihm und Monagas Familie heimlich im Werte wäre, so hat sie auf Aus¬
lieferung des Flüchtlings wie des Geldes gedrungen, und Monagas dürfte
nun wol seiner Verurteilung zu mehrjähriger Verbannung -- denn härter
wird die Strafe nicht -- entgegcnsehn. Diese Verhaftung ist zugleich ein
Doppelschlag, für die Tochter, wie für den Gesandten. Der einen entgeht
dadurch wahrscheinlich der Ehemann, dem andern jedenfalls die halbe Million.

Am 4, März brach die Revolution in den westlichen Provinzen aus.
Ohne Blut zu kosten, entwaffnete sie leicht und schnell allen Widerstand, und
schon der 15. März war der Tag der Befreiung für das Land. Am 18. rückte
General Castro an der Spitze von 5000 Mann nebst mehren Notablen des
Volks in Caracas ein und wurde unter lauten Acclamationen zum provisorischen
Präsidenten ernannt. Die Stadt war sieben Abende nacheinander illuminirt.
Tagesblätter von dort, die uns zu Handen, gewähren nach langen Jahren
der tiefsten Niedergeschlagenheit endlich wieder den belebenden Anblick eines
freudig erregten Volks, das kaum weiß, wie ihm geschieht, so ist es des
Jubels voll.

Um dies annähernd zu begreifen, gilt es einen Blick ans die Vergangen¬
heit zu werfen.

Es war in Caracas, wo im Jahre 1810 der erste Ruf der Unabhängig¬
keit vom spanischen Mutterlande sich erhob; -- dieselbe Stadt, wo 27 Jahre
vorher aus vornehmer Familie der Mann geboren war, welcher, mit europäi¬
scher Bildung vertraut, bestimmt war, aus einem großen Theile des weiten
Südamerika, von der Ost- bis zur Westküste, vom Norden bis an die Grenzen
Chiles die Spanier zu verdrängen und fünf Staaten von mächtiger Ausdehnung
politische Unabhängigkeit, ja theilweise Namen und Gesetze (Bolivia und Peru)
zu geben: Simon Bolivar. Seine Nicsenschöpfnng Columbien umfaßte die
jetzigen drei Staaten Neugranada, Venezuela und Ecuador, ein Ländergebiet
von etwa 90,000 ^M. (die spanische Meile, Legua,deutscher Meile),
wovon gegen 35,000 ^M. auf Venezuela kommen. Die Geschicke dieses


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eines Regenerndvr, und thatsächlicher Hersteller einer lebenslänglichen Dictatur
verheißt ist, für immer unschädlich machen sollte. Dessen gewiß suchte er nur
seine und seiner Familie persönliche Freiheit unter den Schutz Frankreichs zu
stellen. Indeß, nach den neuesten Berichten, ist dies ihm doch nicht gelungen.
Nicht zufrieden mit den Millionen geraubter und in der englischen Bank an¬
gelegter Gelder hatte Monagas bei Zeiten auch eine volle Geldkiste beim Ge¬
sandten untergebracht, und als dieser zur Bewachung derselben die in Caracas
lebenden Franzosen aufforderte, haben sich mehre von ihnen empört über eine
solche „Frankreich entehrende" Zumuthung, öffentlich gegen ihren eignen Ver¬
treter erklärt. Und da die provisorische Negierung witterte, daß den Gesand¬
te» nach der halben Million gelüsten mochte und ein Heirathscontract zwischen
ihm und Monagas Familie heimlich im Werte wäre, so hat sie auf Aus¬
lieferung des Flüchtlings wie des Geldes gedrungen, und Monagas dürfte
nun wol seiner Verurteilung zu mehrjähriger Verbannung — denn härter
wird die Strafe nicht — entgegcnsehn. Diese Verhaftung ist zugleich ein
Doppelschlag, für die Tochter, wie für den Gesandten. Der einen entgeht
dadurch wahrscheinlich der Ehemann, dem andern jedenfalls die halbe Million.

Am 4, März brach die Revolution in den westlichen Provinzen aus.
Ohne Blut zu kosten, entwaffnete sie leicht und schnell allen Widerstand, und
schon der 15. März war der Tag der Befreiung für das Land. Am 18. rückte
General Castro an der Spitze von 5000 Mann nebst mehren Notablen des
Volks in Caracas ein und wurde unter lauten Acclamationen zum provisorischen
Präsidenten ernannt. Die Stadt war sieben Abende nacheinander illuminirt.
Tagesblätter von dort, die uns zu Handen, gewähren nach langen Jahren
der tiefsten Niedergeschlagenheit endlich wieder den belebenden Anblick eines
freudig erregten Volks, das kaum weiß, wie ihm geschieht, so ist es des
Jubels voll.

Um dies annähernd zu begreifen, gilt es einen Blick ans die Vergangen¬
heit zu werfen.

Es war in Caracas, wo im Jahre 1810 der erste Ruf der Unabhängig¬
keit vom spanischen Mutterlande sich erhob; — dieselbe Stadt, wo 27 Jahre
vorher aus vornehmer Familie der Mann geboren war, welcher, mit europäi¬
scher Bildung vertraut, bestimmt war, aus einem großen Theile des weiten
Südamerika, von der Ost- bis zur Westküste, vom Norden bis an die Grenzen
Chiles die Spanier zu verdrängen und fünf Staaten von mächtiger Ausdehnung
politische Unabhängigkeit, ja theilweise Namen und Gesetze (Bolivia und Peru)
zu geben: Simon Bolivar. Seine Nicsenschöpfnng Columbien umfaßte die
jetzigen drei Staaten Neugranada, Venezuela und Ecuador, ein Ländergebiet
von etwa 90,000 ^M. (die spanische Meile, Legua,deutscher Meile),
wovon gegen 35,000 ^M. auf Venezuela kommen. Die Geschicke dieses


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[0395] eines Regenerndvr, und thatsächlicher Hersteller einer lebenslänglichen Dictatur verheißt ist, für immer unschädlich machen sollte. Dessen gewiß suchte er nur seine und seiner Familie persönliche Freiheit unter den Schutz Frankreichs zu stellen. Indeß, nach den neuesten Berichten, ist dies ihm doch nicht gelungen. Nicht zufrieden mit den Millionen geraubter und in der englischen Bank an¬ gelegter Gelder hatte Monagas bei Zeiten auch eine volle Geldkiste beim Ge¬ sandten untergebracht, und als dieser zur Bewachung derselben die in Caracas lebenden Franzosen aufforderte, haben sich mehre von ihnen empört über eine solche „Frankreich entehrende" Zumuthung, öffentlich gegen ihren eignen Ver¬ treter erklärt. Und da die provisorische Negierung witterte, daß den Gesand¬ te» nach der halben Million gelüsten mochte und ein Heirathscontract zwischen ihm und Monagas Familie heimlich im Werte wäre, so hat sie auf Aus¬ lieferung des Flüchtlings wie des Geldes gedrungen, und Monagas dürfte nun wol seiner Verurteilung zu mehrjähriger Verbannung — denn härter wird die Strafe nicht — entgegcnsehn. Diese Verhaftung ist zugleich ein Doppelschlag, für die Tochter, wie für den Gesandten. Der einen entgeht dadurch wahrscheinlich der Ehemann, dem andern jedenfalls die halbe Million. Am 4, März brach die Revolution in den westlichen Provinzen aus. Ohne Blut zu kosten, entwaffnete sie leicht und schnell allen Widerstand, und schon der 15. März war der Tag der Befreiung für das Land. Am 18. rückte General Castro an der Spitze von 5000 Mann nebst mehren Notablen des Volks in Caracas ein und wurde unter lauten Acclamationen zum provisorischen Präsidenten ernannt. Die Stadt war sieben Abende nacheinander illuminirt. Tagesblätter von dort, die uns zu Handen, gewähren nach langen Jahren der tiefsten Niedergeschlagenheit endlich wieder den belebenden Anblick eines freudig erregten Volks, das kaum weiß, wie ihm geschieht, so ist es des Jubels voll. Um dies annähernd zu begreifen, gilt es einen Blick ans die Vergangen¬ heit zu werfen. Es war in Caracas, wo im Jahre 1810 der erste Ruf der Unabhängig¬ keit vom spanischen Mutterlande sich erhob; — dieselbe Stadt, wo 27 Jahre vorher aus vornehmer Familie der Mann geboren war, welcher, mit europäi¬ scher Bildung vertraut, bestimmt war, aus einem großen Theile des weiten Südamerika, von der Ost- bis zur Westküste, vom Norden bis an die Grenzen Chiles die Spanier zu verdrängen und fünf Staaten von mächtiger Ausdehnung politische Unabhängigkeit, ja theilweise Namen und Gesetze (Bolivia und Peru) zu geben: Simon Bolivar. Seine Nicsenschöpfnng Columbien umfaßte die jetzigen drei Staaten Neugranada, Venezuela und Ecuador, ein Ländergebiet von etwa 90,000 ^M. (die spanische Meile, Legua,deutscher Meile), wovon gegen 35,000 ^M. auf Venezuela kommen. Die Geschicke dieses 49*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/395>, abgerufen am 22.12.2024.