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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Hand bekommen, mit diesem Gelde ist sie flugs in den Mund gefahren,
hat dasselbe gekaut und endlich verschlungen. Solch erwischtes Geld hat
man ihr mit Gewalt aus den Händen brechen müssen. Ebenso hat sie überall
Nadeln gefunden. Zuweilen hat sie Leuten, die um sie standen, solches Tcu-
selsgcld, das sie von Wänden, Tischen. Bänken, aus Steinen. Erde und
Mauern gegriffen, hingereicht. Es war gute Münze, Groschen und Pfennige,
auch einige schlechte rothe drunter." Diese unerhörte Begebenheit erzählte in
einer Flugschrift Dr. Andreas Ebert als Geistlicher, und sein Bericht wird
von Theodor Dürrkragcn. dem Richter des Stadtrathes bestätigt. Luther
wurde, wie bei hundert andern kritischen Fragen, auch hier um seine Mei¬
nung gefragt. Er wunderte sich sehr, begehrte zu wissen, ob es auch
gutes Geld sei, und gab endlich den Nath, die Magd fleißig zur Kirche zu
führen und bei Gott für sie zu bitten. Diese Cur hatte einige Schwierig¬
keit, der Teufel in dem Mädchen insultirte den Geistlichen während der Pre¬
digt und strafte ihn Lügen. Vergebens hatte auch ein katholischer Priester ver¬
sucht, den Teufel in ihr zu beschworen, mit ihm trieb der Teufel nnr Gespött
und verachtete seinen ganzen Exorcismus. Doch die Kraft des evangelischen
Gebets zwang endlich den Satan zu weichen. Das Mädchen wurde frisch und
gesund, wußte nach ihrer Genesung von gar nichts, und fuhr fort als Dienst-
magd ein nützliches Mitglied der christlichen Gemeinde zu sein.")

So war es bei den deutschen Protestanten, unter denen allerdings die
Reformirten die Lehre vom Teufel nüchterner und verständiger auffaßten,
als die Lutheraner. So wurde es auch bei den Katholiken. Nichts ist be¬
zeichnender für die Gewalt, welche Luthers Persönlichkeit' ausübte, als der
Einfluß, den sein Wesen über seine erbitterten Gegner gewann. Er ist
in der That der Reformator ebenso gut der Katholiken als der Protestanten.
Zwar die katholischen Dogmen widerstanden seinem Andrange, und zwischen
den neuen Glaubensschanzcn, die er aufgeworfen hatte, und der geschlossenen
Festung der alten Kirche wüthete durch Jahrhunderte ein grimmiger Krieg.
Aber seine Methode zu denken, sei'ne Sprache und vor allem das Charakte¬
ristische seines gemüthlichen Lebens formte die deutsche katholische Kirche eben¬
so originell und ebenso einseitig nach seinem Bilde, wie die protestantische.
Der rohe Formalismus ihrer Ablaßkrämerei und ihrer frommen Bruderschaften
verschwand uicht ganz, aber er machte einer neuen Richtung ans das Inner¬
liche des Gemüths Platz. Ernste Studien, schärferes Denken, gewandte Dia¬
lektik, und was mehr werth war, eine^größere sittliche Vertiefung werden noth-



") Der Titel der Flugschrift ist: Wundere Zeitung, von einem Gcldlcuffcl, eine seltzcnne,
unglaubliche, doch wahrhaftige geschieht. Zu Frankfurt an der Oder deschchen, und "rkundt-
lich außgangen. 15!Z8.
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Hand bekommen, mit diesem Gelde ist sie flugs in den Mund gefahren,
hat dasselbe gekaut und endlich verschlungen. Solch erwischtes Geld hat
man ihr mit Gewalt aus den Händen brechen müssen. Ebenso hat sie überall
Nadeln gefunden. Zuweilen hat sie Leuten, die um sie standen, solches Tcu-
selsgcld, das sie von Wänden, Tischen. Bänken, aus Steinen. Erde und
Mauern gegriffen, hingereicht. Es war gute Münze, Groschen und Pfennige,
auch einige schlechte rothe drunter." Diese unerhörte Begebenheit erzählte in
einer Flugschrift Dr. Andreas Ebert als Geistlicher, und sein Bericht wird
von Theodor Dürrkragcn. dem Richter des Stadtrathes bestätigt. Luther
wurde, wie bei hundert andern kritischen Fragen, auch hier um seine Mei¬
nung gefragt. Er wunderte sich sehr, begehrte zu wissen, ob es auch
gutes Geld sei, und gab endlich den Nath, die Magd fleißig zur Kirche zu
führen und bei Gott für sie zu bitten. Diese Cur hatte einige Schwierig¬
keit, der Teufel in dem Mädchen insultirte den Geistlichen während der Pre¬
digt und strafte ihn Lügen. Vergebens hatte auch ein katholischer Priester ver¬
sucht, den Teufel in ihr zu beschworen, mit ihm trieb der Teufel nnr Gespött
und verachtete seinen ganzen Exorcismus. Doch die Kraft des evangelischen
Gebets zwang endlich den Satan zu weichen. Das Mädchen wurde frisch und
gesund, wußte nach ihrer Genesung von gar nichts, und fuhr fort als Dienst-
magd ein nützliches Mitglied der christlichen Gemeinde zu sein.")

So war es bei den deutschen Protestanten, unter denen allerdings die
Reformirten die Lehre vom Teufel nüchterner und verständiger auffaßten,
als die Lutheraner. So wurde es auch bei den Katholiken. Nichts ist be¬
zeichnender für die Gewalt, welche Luthers Persönlichkeit' ausübte, als der
Einfluß, den sein Wesen über seine erbitterten Gegner gewann. Er ist
in der That der Reformator ebenso gut der Katholiken als der Protestanten.
Zwar die katholischen Dogmen widerstanden seinem Andrange, und zwischen
den neuen Glaubensschanzcn, die er aufgeworfen hatte, und der geschlossenen
Festung der alten Kirche wüthete durch Jahrhunderte ein grimmiger Krieg.
Aber seine Methode zu denken, sei'ne Sprache und vor allem das Charakte¬
ristische seines gemüthlichen Lebens formte die deutsche katholische Kirche eben¬
so originell und ebenso einseitig nach seinem Bilde, wie die protestantische.
Der rohe Formalismus ihrer Ablaßkrämerei und ihrer frommen Bruderschaften
verschwand uicht ganz, aber er machte einer neuen Richtung ans das Inner¬
liche des Gemüths Platz. Ernste Studien, schärferes Denken, gewandte Dia¬
lektik, und was mehr werth war, eine^größere sittliche Vertiefung werden noth-



") Der Titel der Flugschrift ist: Wundere Zeitung, von einem Gcldlcuffcl, eine seltzcnne,
unglaubliche, doch wahrhaftige geschieht. Zu Frankfurt an der Oder deschchen, und »rkundt-
lich außgangen. 15!Z8.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/379>, abgerufen am 22.12.2024.