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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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in der zweiten Hälfte des N>, Jahrhunderts auf seinem Territorium das Hexen¬
drennen im größten Stil. Richt nur Frauen ans den untersten Ständen
wurden verbrannt, es schützte nicht Stand, nicht Jugend, nicht Schönheit,
anch Männer wurden processirt, sogar Geistliche.') Lutherische Landes¬
herrn, Richter und Geistliche standen nicht nach. Wahrscheinlich ist nie
der Versuch gemacht worden, die Zahl der Schlachtopser zu bestimmen,
welche ihrem eigenen Aberglauben, und dem noch schmachvollern Aberglauben
ihrer Richter verfielen. Aber die Gesamtsumme vom 16. bis 18. Jahrhun¬
dert muß Hunderttausend betragen. Und diese häßliche Krankheit deutscher
Bildung hatte den gewöhnlichen Laus aller ansteckenden Seuchen. Die Wuth
der Verfolger hörte zuweilen auf, dann brach sie an einem andern Ort plötz¬
lich wieder hervor und wirkte in weitem Kreise ansteckend.

Wohlwollender betrachtete die neue Kirche nach den Vorbildern in der Bibel
die Besessenen. Luther und seine Nachfolger nahmen an, daß sie dnrch eine immer¬
hin zu vergehende Sünde, zuweilen durch ein kleines Versehen in die Gewalt des
Teufels gekommen seien und daß es Pflicht und Verdienst der Gläubigen sei,
dnrch Gebet und Beschwörung den Teufel auszutreiben. Nicht jeder Irrsinnige
oder Epileptische galt vom Teufel besessen, aber da man den Bösen überall ver¬
muthete, so hatte man die Befriedigung, ihn oft zu finden. Die wunderlichsten
und abgeschmacktesten Aeußerungen seiner Thätigkeit wurden mit gläubigem Eiser
beobachtet. Am häufigsten kamen schwachsinnige Weiber zu der Ansicht, daß
sie vom Teufel geplagt würden, und es muß eine gewöhnliche Folge dieser
Einbildung gewesen sein, daß sie in ihrem krankhaften Zustande kräftigen
Widerwillen gegen die Geistlichen und die frommen Ceremonien aussprachen,
mit denen sie beehrt wurden. Wie weit aber eine vorgefaßte Meinung das
Urtheil nicht nnr der Kranken, sondern anch der Gesunden verwirren und das
Zeugniß der eignen Augen und Ohren falschen kann, erkennen wir mit Er¬
staunen aus zahlreichen Berichten von Augenzeugen, welche in andern Dingen
vollen Glauben verdienen, und vor Besessenen das Unmöglichste gläubig beob¬
achteten. So wurde, um nur einen sehr abgeschmackten Fall zu erwähnen, zu
Luthers Zeit in Frankfurt an der Oder eine Magd, die schon früher schwach¬
sinnig gewesen war, in folgender Weise von dem Satan besessen: "Wenn
die gedachte Magd einem an den Nock, Bart u. s. w. griff, hat sie aller¬
wegen Geld, wie es in Frankfurt gäng und gebe war, erwischt und in die



Ein interessanter Bericht über ihn kurz nach seiner Zeit: ZwoHexenzcitung, die Erste
von dreyen Hezeu-Pfaffen und einem Organisten zu Elwang. Nürnberg l(!in. Die seltene
Flugschrift wird hier angeführt, weil sie am Schluß eine merkwürdige Notiz enthält! Der
Teufel wehrt einigen Heren, die zur Walpurgisnacht Frost machen wollen und nimmt ihnen
mit Gewalt ihren Apparat: ein Sieb, drei Katzenkopfe, drei todte Krebse und drei lebendige
Ratzen.''"-

in der zweiten Hälfte des N>, Jahrhunderts auf seinem Territorium das Hexen¬
drennen im größten Stil. Richt nur Frauen ans den untersten Ständen
wurden verbrannt, es schützte nicht Stand, nicht Jugend, nicht Schönheit,
anch Männer wurden processirt, sogar Geistliche.') Lutherische Landes¬
herrn, Richter und Geistliche standen nicht nach. Wahrscheinlich ist nie
der Versuch gemacht worden, die Zahl der Schlachtopser zu bestimmen,
welche ihrem eigenen Aberglauben, und dem noch schmachvollern Aberglauben
ihrer Richter verfielen. Aber die Gesamtsumme vom 16. bis 18. Jahrhun¬
dert muß Hunderttausend betragen. Und diese häßliche Krankheit deutscher
Bildung hatte den gewöhnlichen Laus aller ansteckenden Seuchen. Die Wuth
der Verfolger hörte zuweilen auf, dann brach sie an einem andern Ort plötz¬
lich wieder hervor und wirkte in weitem Kreise ansteckend.

Wohlwollender betrachtete die neue Kirche nach den Vorbildern in der Bibel
die Besessenen. Luther und seine Nachfolger nahmen an, daß sie dnrch eine immer¬
hin zu vergehende Sünde, zuweilen durch ein kleines Versehen in die Gewalt des
Teufels gekommen seien und daß es Pflicht und Verdienst der Gläubigen sei,
dnrch Gebet und Beschwörung den Teufel auszutreiben. Nicht jeder Irrsinnige
oder Epileptische galt vom Teufel besessen, aber da man den Bösen überall ver¬
muthete, so hatte man die Befriedigung, ihn oft zu finden. Die wunderlichsten
und abgeschmacktesten Aeußerungen seiner Thätigkeit wurden mit gläubigem Eiser
beobachtet. Am häufigsten kamen schwachsinnige Weiber zu der Ansicht, daß
sie vom Teufel geplagt würden, und es muß eine gewöhnliche Folge dieser
Einbildung gewesen sein, daß sie in ihrem krankhaften Zustande kräftigen
Widerwillen gegen die Geistlichen und die frommen Ceremonien aussprachen,
mit denen sie beehrt wurden. Wie weit aber eine vorgefaßte Meinung das
Urtheil nicht nnr der Kranken, sondern anch der Gesunden verwirren und das
Zeugniß der eignen Augen und Ohren falschen kann, erkennen wir mit Er¬
staunen aus zahlreichen Berichten von Augenzeugen, welche in andern Dingen
vollen Glauben verdienen, und vor Besessenen das Unmöglichste gläubig beob¬
achteten. So wurde, um nur einen sehr abgeschmackten Fall zu erwähnen, zu
Luthers Zeit in Frankfurt an der Oder eine Magd, die schon früher schwach¬
sinnig gewesen war, in folgender Weise von dem Satan besessen: „Wenn
die gedachte Magd einem an den Nock, Bart u. s. w. griff, hat sie aller¬
wegen Geld, wie es in Frankfurt gäng und gebe war, erwischt und in die



Ein interessanter Bericht über ihn kurz nach seiner Zeit: ZwoHexenzcitung, die Erste
von dreyen Hezeu-Pfaffen und einem Organisten zu Elwang. Nürnberg l(!in. Die seltene
Flugschrift wird hier angeführt, weil sie am Schluß eine merkwürdige Notiz enthält! Der
Teufel wehrt einigen Heren, die zur Walpurgisnacht Frost machen wollen und nimmt ihnen
mit Gewalt ihren Apparat: ein Sieb, drei Katzenkopfe, drei todte Krebse und drei lebendige
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[0378] in der zweiten Hälfte des N>, Jahrhunderts auf seinem Territorium das Hexen¬ drennen im größten Stil. Richt nur Frauen ans den untersten Ständen wurden verbrannt, es schützte nicht Stand, nicht Jugend, nicht Schönheit, anch Männer wurden processirt, sogar Geistliche.') Lutherische Landes¬ herrn, Richter und Geistliche standen nicht nach. Wahrscheinlich ist nie der Versuch gemacht worden, die Zahl der Schlachtopser zu bestimmen, welche ihrem eigenen Aberglauben, und dem noch schmachvollern Aberglauben ihrer Richter verfielen. Aber die Gesamtsumme vom 16. bis 18. Jahrhun¬ dert muß Hunderttausend betragen. Und diese häßliche Krankheit deutscher Bildung hatte den gewöhnlichen Laus aller ansteckenden Seuchen. Die Wuth der Verfolger hörte zuweilen auf, dann brach sie an einem andern Ort plötz¬ lich wieder hervor und wirkte in weitem Kreise ansteckend. Wohlwollender betrachtete die neue Kirche nach den Vorbildern in der Bibel die Besessenen. Luther und seine Nachfolger nahmen an, daß sie dnrch eine immer¬ hin zu vergehende Sünde, zuweilen durch ein kleines Versehen in die Gewalt des Teufels gekommen seien und daß es Pflicht und Verdienst der Gläubigen sei, dnrch Gebet und Beschwörung den Teufel auszutreiben. Nicht jeder Irrsinnige oder Epileptische galt vom Teufel besessen, aber da man den Bösen überall ver¬ muthete, so hatte man die Befriedigung, ihn oft zu finden. Die wunderlichsten und abgeschmacktesten Aeußerungen seiner Thätigkeit wurden mit gläubigem Eiser beobachtet. Am häufigsten kamen schwachsinnige Weiber zu der Ansicht, daß sie vom Teufel geplagt würden, und es muß eine gewöhnliche Folge dieser Einbildung gewesen sein, daß sie in ihrem krankhaften Zustande kräftigen Widerwillen gegen die Geistlichen und die frommen Ceremonien aussprachen, mit denen sie beehrt wurden. Wie weit aber eine vorgefaßte Meinung das Urtheil nicht nnr der Kranken, sondern anch der Gesunden verwirren und das Zeugniß der eignen Augen und Ohren falschen kann, erkennen wir mit Er¬ staunen aus zahlreichen Berichten von Augenzeugen, welche in andern Dingen vollen Glauben verdienen, und vor Besessenen das Unmöglichste gläubig beob¬ achteten. So wurde, um nur einen sehr abgeschmackten Fall zu erwähnen, zu Luthers Zeit in Frankfurt an der Oder eine Magd, die schon früher schwach¬ sinnig gewesen war, in folgender Weise von dem Satan besessen: „Wenn die gedachte Magd einem an den Nock, Bart u. s. w. griff, hat sie aller¬ wegen Geld, wie es in Frankfurt gäng und gebe war, erwischt und in die Ein interessanter Bericht über ihn kurz nach seiner Zeit: ZwoHexenzcitung, die Erste von dreyen Hezeu-Pfaffen und einem Organisten zu Elwang. Nürnberg l(!in. Die seltene Flugschrift wird hier angeführt, weil sie am Schluß eine merkwürdige Notiz enthält! Der Teufel wehrt einigen Heren, die zur Walpurgisnacht Frost machen wollen und nimmt ihnen mit Gewalt ihren Apparat: ein Sieb, drei Katzenkopfe, drei todte Krebse und drei lebendige Ratzen.''"-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/378>, abgerufen am 22.12.2024.