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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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seinen Zeitgenossen. Das Geschlecht, welches gläubig seiner Rede lauschte,
wurde durch ihn angesteckt. Teuselserscheinungen wurden ganz gewöhnlich,
die Geistlichen wie die Laien hatten vom Satan zu leiden. Der Schwärmer
erblickte ihn im Kampfe mit dem Schutzengel, selbst den Argen begegnete, daß
sie ihn da sahen, wo er ihnen am unbequemsten war. Die erhaltenen Be¬
richte sind zahlreich, es thut nicht Noth, sie hier aufzuzählen. So weit wir
daraus vom Aussehen des Teufels erfahren, erschien er zuweilen in der alten
volksmäßigen Tracht, oder in den furchtbaren Gestalten, wie sie durch die Erfin¬
dungen der Holzschneider geläufig worden waren, nicht selten aber schon moder-
insirt, in bürgerlicher Tracht, so z. B. einem exaltirten Hutmacher zu Spandau
ums Ende des Jahrhunderts (1594) als finstrer Mann in einem Wolfspelz.
Die Anfechtungen des Spandauers machten -- nebenbei bemerkt -- großes
Aufsehen und veranlaßten kurfürstliche Decrete, in denen zur Buße gemahnt
und vor der Hoffart gewarnt wurde. Der Kampf zwischen Engeln und
Teufeln ging in diesem Falle vorzüglich gegen die Kleiderpracht und die
großen Halskrausen.

Zu- diesen Familienerinnerungen kam bei dem Mann Luther die be¬
sondere Physiognomie, welche seine Lehre in der Opposition gegen die
Mißbräuche der katholischen Kirche erhielt. Die alte Kirche hatte dem
Gläubigen verhältnißmäßig leicht gemacht, dem Teufel zu entrinnen.
Durch Ablaß, durch gute Werke, durch den Mechanismus regelmäßiger Ge¬
bete und geistlicher Exercitien, wie sie namentlich in den Brüderschaften geübt
wurden, durch eine oberflächlich zusammenaddirte Summe von frommen Aeußer-
lichkeiten konnte der Christ jederzeit, im schlimmsten Fall noch zur letzten Stunde,
dem Teufel entrinnen, selbst wenn er sich tief mit ihm eingelassen. Daher ist
bei Verträgen, welche der Teufel mit den Menschen vor der Reformation abge¬
schlossen hat, der Teufel fast immer der Geprellte. Solchem geschäftsmäßigen
und unsittlichen Verhältniß zum Himmelreich trat Luther mit der tiefsten
Empörung gegenüber. Seine Lehre war, daß der Mensch von Haus aus
hurtig und verworfen, also eine Beute des Teufels sei, und daß nur die
unendliche Gnade Gottes dem frommen Gläubigen die Rettung gewähre.
Um diese Rettung aber zu finden, sei eine beständige innere Buße moll/wen-
dig. Es ist klar, daß durch solche leidenschaftliche Oppositionslehre der Teufel
in eine angenehmere Stellung zum Menschengeschlecht kommen mußte. Jetzt
hat er vollends Beruf, sich ni alles zu mischen, überall geschäftig zu sein,
mit ganz anderm Erfolge seine Verträge mit einzelnen Sündern zu macheu.
Da in dem neuen Glauben von der Buße allein die Rettung aus' den Hän¬
den des Teufels abhing, verfiel der unbußfertige Sünder jetzt ohne Rettung der
Hölle. So kommt es, daß seit dem 10. Jahrhundert, im Gegensatz zu frü¬
herer Zeit, die Sünder, welche einen Pact mit der Hölle geschlossen haben, in


seinen Zeitgenossen. Das Geschlecht, welches gläubig seiner Rede lauschte,
wurde durch ihn angesteckt. Teuselserscheinungen wurden ganz gewöhnlich,
die Geistlichen wie die Laien hatten vom Satan zu leiden. Der Schwärmer
erblickte ihn im Kampfe mit dem Schutzengel, selbst den Argen begegnete, daß
sie ihn da sahen, wo er ihnen am unbequemsten war. Die erhaltenen Be¬
richte sind zahlreich, es thut nicht Noth, sie hier aufzuzählen. So weit wir
daraus vom Aussehen des Teufels erfahren, erschien er zuweilen in der alten
volksmäßigen Tracht, oder in den furchtbaren Gestalten, wie sie durch die Erfin¬
dungen der Holzschneider geläufig worden waren, nicht selten aber schon moder-
insirt, in bürgerlicher Tracht, so z. B. einem exaltirten Hutmacher zu Spandau
ums Ende des Jahrhunderts (1594) als finstrer Mann in einem Wolfspelz.
Die Anfechtungen des Spandauers machten — nebenbei bemerkt — großes
Aufsehen und veranlaßten kurfürstliche Decrete, in denen zur Buße gemahnt
und vor der Hoffart gewarnt wurde. Der Kampf zwischen Engeln und
Teufeln ging in diesem Falle vorzüglich gegen die Kleiderpracht und die
großen Halskrausen.

Zu- diesen Familienerinnerungen kam bei dem Mann Luther die be¬
sondere Physiognomie, welche seine Lehre in der Opposition gegen die
Mißbräuche der katholischen Kirche erhielt. Die alte Kirche hatte dem
Gläubigen verhältnißmäßig leicht gemacht, dem Teufel zu entrinnen.
Durch Ablaß, durch gute Werke, durch den Mechanismus regelmäßiger Ge¬
bete und geistlicher Exercitien, wie sie namentlich in den Brüderschaften geübt
wurden, durch eine oberflächlich zusammenaddirte Summe von frommen Aeußer-
lichkeiten konnte der Christ jederzeit, im schlimmsten Fall noch zur letzten Stunde,
dem Teufel entrinnen, selbst wenn er sich tief mit ihm eingelassen. Daher ist
bei Verträgen, welche der Teufel mit den Menschen vor der Reformation abge¬
schlossen hat, der Teufel fast immer der Geprellte. Solchem geschäftsmäßigen
und unsittlichen Verhältniß zum Himmelreich trat Luther mit der tiefsten
Empörung gegenüber. Seine Lehre war, daß der Mensch von Haus aus
hurtig und verworfen, also eine Beute des Teufels sei, und daß nur die
unendliche Gnade Gottes dem frommen Gläubigen die Rettung gewähre.
Um diese Rettung aber zu finden, sei eine beständige innere Buße moll/wen-
dig. Es ist klar, daß durch solche leidenschaftliche Oppositionslehre der Teufel
in eine angenehmere Stellung zum Menschengeschlecht kommen mußte. Jetzt
hat er vollends Beruf, sich ni alles zu mischen, überall geschäftig zu sein,
mit ganz anderm Erfolge seine Verträge mit einzelnen Sündern zu macheu.
Da in dem neuen Glauben von der Buße allein die Rettung aus' den Hän¬
den des Teufels abhing, verfiel der unbußfertige Sünder jetzt ohne Rettung der
Hölle. So kommt es, daß seit dem 10. Jahrhundert, im Gegensatz zu frü¬
herer Zeit, die Sünder, welche einen Pact mit der Hölle geschlossen haben, in


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[0376] seinen Zeitgenossen. Das Geschlecht, welches gläubig seiner Rede lauschte, wurde durch ihn angesteckt. Teuselserscheinungen wurden ganz gewöhnlich, die Geistlichen wie die Laien hatten vom Satan zu leiden. Der Schwärmer erblickte ihn im Kampfe mit dem Schutzengel, selbst den Argen begegnete, daß sie ihn da sahen, wo er ihnen am unbequemsten war. Die erhaltenen Be¬ richte sind zahlreich, es thut nicht Noth, sie hier aufzuzählen. So weit wir daraus vom Aussehen des Teufels erfahren, erschien er zuweilen in der alten volksmäßigen Tracht, oder in den furchtbaren Gestalten, wie sie durch die Erfin¬ dungen der Holzschneider geläufig worden waren, nicht selten aber schon moder- insirt, in bürgerlicher Tracht, so z. B. einem exaltirten Hutmacher zu Spandau ums Ende des Jahrhunderts (1594) als finstrer Mann in einem Wolfspelz. Die Anfechtungen des Spandauers machten — nebenbei bemerkt — großes Aufsehen und veranlaßten kurfürstliche Decrete, in denen zur Buße gemahnt und vor der Hoffart gewarnt wurde. Der Kampf zwischen Engeln und Teufeln ging in diesem Falle vorzüglich gegen die Kleiderpracht und die großen Halskrausen. Zu- diesen Familienerinnerungen kam bei dem Mann Luther die be¬ sondere Physiognomie, welche seine Lehre in der Opposition gegen die Mißbräuche der katholischen Kirche erhielt. Die alte Kirche hatte dem Gläubigen verhältnißmäßig leicht gemacht, dem Teufel zu entrinnen. Durch Ablaß, durch gute Werke, durch den Mechanismus regelmäßiger Ge¬ bete und geistlicher Exercitien, wie sie namentlich in den Brüderschaften geübt wurden, durch eine oberflächlich zusammenaddirte Summe von frommen Aeußer- lichkeiten konnte der Christ jederzeit, im schlimmsten Fall noch zur letzten Stunde, dem Teufel entrinnen, selbst wenn er sich tief mit ihm eingelassen. Daher ist bei Verträgen, welche der Teufel mit den Menschen vor der Reformation abge¬ schlossen hat, der Teufel fast immer der Geprellte. Solchem geschäftsmäßigen und unsittlichen Verhältniß zum Himmelreich trat Luther mit der tiefsten Empörung gegenüber. Seine Lehre war, daß der Mensch von Haus aus hurtig und verworfen, also eine Beute des Teufels sei, und daß nur die unendliche Gnade Gottes dem frommen Gläubigen die Rettung gewähre. Um diese Rettung aber zu finden, sei eine beständige innere Buße moll/wen- dig. Es ist klar, daß durch solche leidenschaftliche Oppositionslehre der Teufel in eine angenehmere Stellung zum Menschengeschlecht kommen mußte. Jetzt hat er vollends Beruf, sich ni alles zu mischen, überall geschäftig zu sein, mit ganz anderm Erfolge seine Verträge mit einzelnen Sündern zu macheu. Da in dem neuen Glauben von der Buße allein die Rettung aus' den Hän¬ den des Teufels abhing, verfiel der unbußfertige Sünder jetzt ohne Rettung der Hölle. So kommt es, daß seit dem 10. Jahrhundert, im Gegensatz zu frü¬ herer Zeit, die Sünder, welche einen Pact mit der Hölle geschlossen haben, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/376>, abgerufen am 22.12.2024.