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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Gesellschaft, die grenzenlose Wuth und der Hochmuth, mit welcher sich dieselbe
über Deutschland ausspricht, obgleich grade ihre Brutalität gegen Preuhen
zum großen Theil an dem schlimmen Ausgang der Sache schuld war, lassen
ihn einen Blick in die Zukunft thun, der ihn mit Schauder erfüllt und sein
deutsches Herz empört sich gegen diese fremden Barbaren, Unter diesen Um¬
ständen denkt er (14, Dec, 1805) wieder um eine geheime Gesellschaft! er habe
bisher alles verachtet, was diesen Namen geführt, aber die Noth lehre beten.
Nur finde er keinen passenden Theiliiehmer, "Sie werden sich nicht wenig
wundern. das; ich nicht einmal auf Sie rechne. Niemand bewundert und liebt
Sie mehr als ich; in den Hauptbezichungen des menschlichen Lebens sehe ich
Sie hoch über mir, und wie große Dinge in Ihrem Sinn von Ihnen zu er¬
warten sind, weiß ich; auch mag Ihr Sinn wol eigentlich (ich ahnde es fast)
der rechte sein. Aber so viel weiß ich doch jetzt', es ist nicht ganz der mei¬
nige. Ich möchte nämlich nicht blind, aber doch ausschließend an der Auf¬
rechthaltung der alten Weltordnungen arbeiten, Sie wollen das Neue immer¬
fort in das Alte hineinwehen; Sie nehmen nach den Grundsätzen eines ge¬
wissen Fatalismus die Begebenheiten der Welt so, wie die Natur und das
Schicksal sie gibt, nicht ohne Freude oder Gram, aber immer der Beruhigung
und dem Troste näher; und jene erhabene Unparteilichkeit, mit der Sie hoch
über den Dingen thronen, und die Sie nach meiner innigsten Ueberzeugung
zum ersten Geschichtschreiber aller Zeiten und Völker macht, tragen Sie (für
meine Wünsche zu sehr) auf Ihre Privatverhältnisse über, und streifen zu¬
weilen am Indifferentismus hin," ..Zwei Principien constituiren die mora¬
lische und intelligible Welt. Das eine ist das des immerwährenden Fort¬
schritts, das andere das der nothwendigen Beschränkung dieses Fortschrittes.
Regierte jenes allein, so wäre nichts mehr fest und bleibend auf Erden und
die ganze gesellschaftliche Existenz ein Spiel der Winde und Wellen. Negierte
dieses allein, oder gewönne auch nur ein schädliches Uebergewicht, so würde
alles versteinern oder verfaulen. Die besten Zeiten der Welt sind immer die,
wo diese beiden entgegengesetzten Principien im glücklichsten Gleichgewicht
stehen. In solchen Zeiten muß denn auch jeder gebildete Mensch beide ge¬
meinschaftlich in sein Inneres und in seine Thätigkeit ausnehmen, und an
einer Hand entwickeln, was er kann, mit der andern hemmen und aufhalten,
was er soll. In wilden und stürmischen Zeiten aber, wo jenes Gleichgewicht
wider das Erhaltungsprincip gestört ist, muß der einzelne Mensch eine Par¬
tei ergreifen und einseitig werden, um nur der Unordnung, die außer ihm ist.
eine Art von Gegengewicht zu halten. Wenn Wahrheitsscheu, Verfolgung,
Stupidität den menschlichen Geist unterdrücken, so müssen die Besten ihrer
Zeit für die Cultur bis zum Märtyrerthum arbeiten. Wenn hingegen Zer-
störung alles Alten die herrschende, die überwiegende Tendenz wird, so müssen


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Gesellschaft, die grenzenlose Wuth und der Hochmuth, mit welcher sich dieselbe
über Deutschland ausspricht, obgleich grade ihre Brutalität gegen Preuhen
zum großen Theil an dem schlimmen Ausgang der Sache schuld war, lassen
ihn einen Blick in die Zukunft thun, der ihn mit Schauder erfüllt und sein
deutsches Herz empört sich gegen diese fremden Barbaren, Unter diesen Um¬
ständen denkt er (14, Dec, 1805) wieder um eine geheime Gesellschaft! er habe
bisher alles verachtet, was diesen Namen geführt, aber die Noth lehre beten.
Nur finde er keinen passenden Theiliiehmer, „Sie werden sich nicht wenig
wundern. das; ich nicht einmal auf Sie rechne. Niemand bewundert und liebt
Sie mehr als ich; in den Hauptbezichungen des menschlichen Lebens sehe ich
Sie hoch über mir, und wie große Dinge in Ihrem Sinn von Ihnen zu er¬
warten sind, weiß ich; auch mag Ihr Sinn wol eigentlich (ich ahnde es fast)
der rechte sein. Aber so viel weiß ich doch jetzt', es ist nicht ganz der mei¬
nige. Ich möchte nämlich nicht blind, aber doch ausschließend an der Auf¬
rechthaltung der alten Weltordnungen arbeiten, Sie wollen das Neue immer¬
fort in das Alte hineinwehen; Sie nehmen nach den Grundsätzen eines ge¬
wissen Fatalismus die Begebenheiten der Welt so, wie die Natur und das
Schicksal sie gibt, nicht ohne Freude oder Gram, aber immer der Beruhigung
und dem Troste näher; und jene erhabene Unparteilichkeit, mit der Sie hoch
über den Dingen thronen, und die Sie nach meiner innigsten Ueberzeugung
zum ersten Geschichtschreiber aller Zeiten und Völker macht, tragen Sie (für
meine Wünsche zu sehr) auf Ihre Privatverhältnisse über, und streifen zu¬
weilen am Indifferentismus hin," ..Zwei Principien constituiren die mora¬
lische und intelligible Welt. Das eine ist das des immerwährenden Fort¬
schritts, das andere das der nothwendigen Beschränkung dieses Fortschrittes.
Regierte jenes allein, so wäre nichts mehr fest und bleibend auf Erden und
die ganze gesellschaftliche Existenz ein Spiel der Winde und Wellen. Negierte
dieses allein, oder gewönne auch nur ein schädliches Uebergewicht, so würde
alles versteinern oder verfaulen. Die besten Zeiten der Welt sind immer die,
wo diese beiden entgegengesetzten Principien im glücklichsten Gleichgewicht
stehen. In solchen Zeiten muß denn auch jeder gebildete Mensch beide ge¬
meinschaftlich in sein Inneres und in seine Thätigkeit ausnehmen, und an
einer Hand entwickeln, was er kann, mit der andern hemmen und aufhalten,
was er soll. In wilden und stürmischen Zeiten aber, wo jenes Gleichgewicht
wider das Erhaltungsprincip gestört ist, muß der einzelne Mensch eine Par¬
tei ergreifen und einseitig werden, um nur der Unordnung, die außer ihm ist.
eine Art von Gegengewicht zu halten. Wenn Wahrheitsscheu, Verfolgung,
Stupidität den menschlichen Geist unterdrücken, so müssen die Besten ihrer
Zeit für die Cultur bis zum Märtyrerthum arbeiten. Wenn hingegen Zer-
störung alles Alten die herrschende, die überwiegende Tendenz wird, so müssen


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[0355] Gesellschaft, die grenzenlose Wuth und der Hochmuth, mit welcher sich dieselbe über Deutschland ausspricht, obgleich grade ihre Brutalität gegen Preuhen zum großen Theil an dem schlimmen Ausgang der Sache schuld war, lassen ihn einen Blick in die Zukunft thun, der ihn mit Schauder erfüllt und sein deutsches Herz empört sich gegen diese fremden Barbaren, Unter diesen Um¬ ständen denkt er (14, Dec, 1805) wieder um eine geheime Gesellschaft! er habe bisher alles verachtet, was diesen Namen geführt, aber die Noth lehre beten. Nur finde er keinen passenden Theiliiehmer, „Sie werden sich nicht wenig wundern. das; ich nicht einmal auf Sie rechne. Niemand bewundert und liebt Sie mehr als ich; in den Hauptbezichungen des menschlichen Lebens sehe ich Sie hoch über mir, und wie große Dinge in Ihrem Sinn von Ihnen zu er¬ warten sind, weiß ich; auch mag Ihr Sinn wol eigentlich (ich ahnde es fast) der rechte sein. Aber so viel weiß ich doch jetzt', es ist nicht ganz der mei¬ nige. Ich möchte nämlich nicht blind, aber doch ausschließend an der Auf¬ rechthaltung der alten Weltordnungen arbeiten, Sie wollen das Neue immer¬ fort in das Alte hineinwehen; Sie nehmen nach den Grundsätzen eines ge¬ wissen Fatalismus die Begebenheiten der Welt so, wie die Natur und das Schicksal sie gibt, nicht ohne Freude oder Gram, aber immer der Beruhigung und dem Troste näher; und jene erhabene Unparteilichkeit, mit der Sie hoch über den Dingen thronen, und die Sie nach meiner innigsten Ueberzeugung zum ersten Geschichtschreiber aller Zeiten und Völker macht, tragen Sie (für meine Wünsche zu sehr) auf Ihre Privatverhältnisse über, und streifen zu¬ weilen am Indifferentismus hin," ..Zwei Principien constituiren die mora¬ lische und intelligible Welt. Das eine ist das des immerwährenden Fort¬ schritts, das andere das der nothwendigen Beschränkung dieses Fortschrittes. Regierte jenes allein, so wäre nichts mehr fest und bleibend auf Erden und die ganze gesellschaftliche Existenz ein Spiel der Winde und Wellen. Negierte dieses allein, oder gewönne auch nur ein schädliches Uebergewicht, so würde alles versteinern oder verfaulen. Die besten Zeiten der Welt sind immer die, wo diese beiden entgegengesetzten Principien im glücklichsten Gleichgewicht stehen. In solchen Zeiten muß denn auch jeder gebildete Mensch beide ge¬ meinschaftlich in sein Inneres und in seine Thätigkeit ausnehmen, und an einer Hand entwickeln, was er kann, mit der andern hemmen und aufhalten, was er soll. In wilden und stürmischen Zeiten aber, wo jenes Gleichgewicht wider das Erhaltungsprincip gestört ist, muß der einzelne Mensch eine Par¬ tei ergreifen und einseitig werden, um nur der Unordnung, die außer ihm ist. eine Art von Gegengewicht zu halten. Wenn Wahrheitsscheu, Verfolgung, Stupidität den menschlichen Geist unterdrücken, so müssen die Besten ihrer Zeit für die Cultur bis zum Märtyrerthum arbeiten. Wenn hingegen Zer- störung alles Alten die herrschende, die überwiegende Tendenz wird, so müssen 44»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/355>, abgerufen am 22.12.2024.