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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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von 1803--1809, wo eine große Idee seine Seele mit edler Leidenschaft durch-
drang. Daß er trotz seiner Nervenschwache, trotz seiner Angst vor Gewittern
kein Weib war, sondern ein Mann, das zeigen am besten diese Briefe. Eine
nicht blos starke, sondern stetige Leidenschaft, eine Unerschütterlichkeit des Wil¬
lens, die vor keinen, Hinderniß zurückbebt, trotz der heftigen Aufregung eine
Ruhe der Gesinnung, die sich keinen Moment verleugnet und eine Schärfe,
und Klarheit des Blicks, die sich durch kein Blendwerk täuschen läßt: das
alles stellt ihn für jene Jahre, obgleich er einen viel ungünstigern Wirkungs¬
kreis hatte und zu der undankbaren Rolle des bloßen Rathgebers verurtheilt
war, als einen Ebenbürtigen in die Reihe der Männer, denen das Vater¬
land seine Erhebung verdankt.

Bereits der erste Bericht aus Wien 6. Juli 1805 gibt eine so unerbitt¬
liche Kritik der leitenden Personen, daß Müller darüber bedenklich geworden
zu sein scheint. Noch stärker werden die Ausdrücke am 12. August. Gentz
sagt von der östreichischen Regierung: "ein so verworfenes Ministerium hat
die Sonne noch nie beschienen. Alles Gefühl von Pflicht und Scham ist in
diesen thierischen Gemüthern erstickt; sie athmen nur für Niederträchtigkeit und
schwitzen nichts als Schande aus!" Auch gegen Müller hat er einige Beden¬
ken: "Bor einigen Tagen las ich das erste diesjährige Stück von Weidmanns
Journal, und lange hatte ich keine empörenbern Gefühle bei irgend einer
politischen Lectüre. Und diese Menschen nennen sich Ihre Freunde, sie spre¬
chen unaufhörlich von ihrem Johannes Müller, sie stellen sich an, als ob Sie
solch Unwesen billigen könnten. Könnten Sie denn nicht einmal Ihre Hand
gegen sie aufheben?" -- Müller antwortete um 5. Sept. Prinz Louis Fer¬
dinand, angeregt durch einen Brief von Gentz. hatte mit ihm besprochen, ob
es nicht möglich wäre, eine feste Bereinigung solcher Edlen, welche die Er¬
haltung der Freiheit Europas wünschen, und durch den Haß des Tyrannen
unverbrüchlich verbrüdert wären, hervorzubringen: "Sie wissen, was durch der¬
gleichen Maßregeln in der Welt oft Böses geschah, sollte nicht einmal die
mißbrauchte Waffe für die gute Sache aufgenommen werden .... Wenn
etwas Aehnliches Ihnen ausführbar scheint, zählen Sie ganz auf mich." Er
stand bereits mit den russischen Staatsmännern über zweierlei in Berhnndlung:
die Gründung einer gutgesinnten Zeitung, hauptsächlich zur Widerlegung des
Moniteur, und einer Akademie in Se. Petersburg "für künftige Minister und
sonst große Herren, um Rußlands wahre Würde, Sicherheit und Macht in
dein Schutz Mitteleuropas zu zeigen." Während Gentz die Verblendung des
russischen Bevollmächtigten Wintzingcrvde beklagt, gegen Preußen zu rücksichts¬
los gewesen zu sein, erklärt sich Müller für den Russen. Was Woltmann
betrifft -- mit dem er doch grade damals sehr intim verkehrte, schreibt er:
"Sie mißbilligen, nicht mit Unrecht, meine Nachsicht gegen elende Sophisten;


von 1803—1809, wo eine große Idee seine Seele mit edler Leidenschaft durch-
drang. Daß er trotz seiner Nervenschwache, trotz seiner Angst vor Gewittern
kein Weib war, sondern ein Mann, das zeigen am besten diese Briefe. Eine
nicht blos starke, sondern stetige Leidenschaft, eine Unerschütterlichkeit des Wil¬
lens, die vor keinen, Hinderniß zurückbebt, trotz der heftigen Aufregung eine
Ruhe der Gesinnung, die sich keinen Moment verleugnet und eine Schärfe,
und Klarheit des Blicks, die sich durch kein Blendwerk täuschen läßt: das
alles stellt ihn für jene Jahre, obgleich er einen viel ungünstigern Wirkungs¬
kreis hatte und zu der undankbaren Rolle des bloßen Rathgebers verurtheilt
war, als einen Ebenbürtigen in die Reihe der Männer, denen das Vater¬
land seine Erhebung verdankt.

Bereits der erste Bericht aus Wien 6. Juli 1805 gibt eine so unerbitt¬
liche Kritik der leitenden Personen, daß Müller darüber bedenklich geworden
zu sein scheint. Noch stärker werden die Ausdrücke am 12. August. Gentz
sagt von der östreichischen Regierung: „ein so verworfenes Ministerium hat
die Sonne noch nie beschienen. Alles Gefühl von Pflicht und Scham ist in
diesen thierischen Gemüthern erstickt; sie athmen nur für Niederträchtigkeit und
schwitzen nichts als Schande aus!" Auch gegen Müller hat er einige Beden¬
ken: „Bor einigen Tagen las ich das erste diesjährige Stück von Weidmanns
Journal, und lange hatte ich keine empörenbern Gefühle bei irgend einer
politischen Lectüre. Und diese Menschen nennen sich Ihre Freunde, sie spre¬
chen unaufhörlich von ihrem Johannes Müller, sie stellen sich an, als ob Sie
solch Unwesen billigen könnten. Könnten Sie denn nicht einmal Ihre Hand
gegen sie aufheben?" — Müller antwortete um 5. Sept. Prinz Louis Fer¬
dinand, angeregt durch einen Brief von Gentz. hatte mit ihm besprochen, ob
es nicht möglich wäre, eine feste Bereinigung solcher Edlen, welche die Er¬
haltung der Freiheit Europas wünschen, und durch den Haß des Tyrannen
unverbrüchlich verbrüdert wären, hervorzubringen: „Sie wissen, was durch der¬
gleichen Maßregeln in der Welt oft Böses geschah, sollte nicht einmal die
mißbrauchte Waffe für die gute Sache aufgenommen werden .... Wenn
etwas Aehnliches Ihnen ausführbar scheint, zählen Sie ganz auf mich." Er
stand bereits mit den russischen Staatsmännern über zweierlei in Berhnndlung:
die Gründung einer gutgesinnten Zeitung, hauptsächlich zur Widerlegung des
Moniteur, und einer Akademie in Se. Petersburg „für künftige Minister und
sonst große Herren, um Rußlands wahre Würde, Sicherheit und Macht in
dein Schutz Mitteleuropas zu zeigen." Während Gentz die Verblendung des
russischen Bevollmächtigten Wintzingcrvde beklagt, gegen Preußen zu rücksichts¬
los gewesen zu sein, erklärt sich Müller für den Russen. Was Woltmann
betrifft — mit dem er doch grade damals sehr intim verkehrte, schreibt er:
„Sie mißbilligen, nicht mit Unrecht, meine Nachsicht gegen elende Sophisten;


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[0352] von 1803—1809, wo eine große Idee seine Seele mit edler Leidenschaft durch- drang. Daß er trotz seiner Nervenschwache, trotz seiner Angst vor Gewittern kein Weib war, sondern ein Mann, das zeigen am besten diese Briefe. Eine nicht blos starke, sondern stetige Leidenschaft, eine Unerschütterlichkeit des Wil¬ lens, die vor keinen, Hinderniß zurückbebt, trotz der heftigen Aufregung eine Ruhe der Gesinnung, die sich keinen Moment verleugnet und eine Schärfe, und Klarheit des Blicks, die sich durch kein Blendwerk täuschen läßt: das alles stellt ihn für jene Jahre, obgleich er einen viel ungünstigern Wirkungs¬ kreis hatte und zu der undankbaren Rolle des bloßen Rathgebers verurtheilt war, als einen Ebenbürtigen in die Reihe der Männer, denen das Vater¬ land seine Erhebung verdankt. Bereits der erste Bericht aus Wien 6. Juli 1805 gibt eine so unerbitt¬ liche Kritik der leitenden Personen, daß Müller darüber bedenklich geworden zu sein scheint. Noch stärker werden die Ausdrücke am 12. August. Gentz sagt von der östreichischen Regierung: „ein so verworfenes Ministerium hat die Sonne noch nie beschienen. Alles Gefühl von Pflicht und Scham ist in diesen thierischen Gemüthern erstickt; sie athmen nur für Niederträchtigkeit und schwitzen nichts als Schande aus!" Auch gegen Müller hat er einige Beden¬ ken: „Bor einigen Tagen las ich das erste diesjährige Stück von Weidmanns Journal, und lange hatte ich keine empörenbern Gefühle bei irgend einer politischen Lectüre. Und diese Menschen nennen sich Ihre Freunde, sie spre¬ chen unaufhörlich von ihrem Johannes Müller, sie stellen sich an, als ob Sie solch Unwesen billigen könnten. Könnten Sie denn nicht einmal Ihre Hand gegen sie aufheben?" — Müller antwortete um 5. Sept. Prinz Louis Fer¬ dinand, angeregt durch einen Brief von Gentz. hatte mit ihm besprochen, ob es nicht möglich wäre, eine feste Bereinigung solcher Edlen, welche die Er¬ haltung der Freiheit Europas wünschen, und durch den Haß des Tyrannen unverbrüchlich verbrüdert wären, hervorzubringen: „Sie wissen, was durch der¬ gleichen Maßregeln in der Welt oft Böses geschah, sollte nicht einmal die mißbrauchte Waffe für die gute Sache aufgenommen werden .... Wenn etwas Aehnliches Ihnen ausführbar scheint, zählen Sie ganz auf mich." Er stand bereits mit den russischen Staatsmännern über zweierlei in Berhnndlung: die Gründung einer gutgesinnten Zeitung, hauptsächlich zur Widerlegung des Moniteur, und einer Akademie in Se. Petersburg „für künftige Minister und sonst große Herren, um Rußlands wahre Würde, Sicherheit und Macht in dein Schutz Mitteleuropas zu zeigen." Während Gentz die Verblendung des russischen Bevollmächtigten Wintzingcrvde beklagt, gegen Preußen zu rücksichts¬ los gewesen zu sein, erklärt sich Müller für den Russen. Was Woltmann betrifft — mit dem er doch grade damals sehr intim verkehrte, schreibt er: „Sie mißbilligen, nicht mit Unrecht, meine Nachsicht gegen elende Sophisten;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/352>, abgerufen am 22.12.2024.