Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.und man hat später nicht selten Gentz als einen politischen Romantiker be¬ und man hat später nicht selten Gentz als einen politischen Romantiker be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186762"/> <p xml:id="ID_798" prev="#ID_797" next="#ID_799"> und man hat später nicht selten Gentz als einen politischen Romantiker be¬<lb/> zeichnet. Das war er aber keineswegs. Die Romantik hat ihn nur ganz<lb/> oberflächlich berührt, er war zu sehr an folgerichtiges Denken gewöhnt. Daß<lb/> die Zersplitterung Deutschlands nicht blos für seine politische, sondern auch<lb/> für seine sittliche Entwicklung ein Unglück war, wird heute niemand bestreiten;<lb/> ebenso wenig, daß diese Zersplitterung mit der Reformation zusammenhängt.<lb/> Aber daß die Reformation nicht blos eine religiöse, sondern eine nationale,<lb/> eine specifisch deutsche Bewegung war, zeigt derErsvlg-, nur das protestantische<lb/> Deutschland ist Träger der deutschen Cultur geblieben. Nicht die Reformation,<lb/> sondern der Widerstand Karls 5, und Ferdinands 2,, nicht der Protestantis¬<lb/> mus, sondern der Jesuitismus ist an Deutschlands Zersplitterung, an Deutsch¬<lb/> lands Elend Schuld, — Müller ging in seiner Autwort von einem andern<lb/> Gesichtspunkt aus. Bei seiner Abneigung gegen alle absolute Macht wies<lb/> er auf die Vorzüge der individuellen Entwicklung hin. Er gibt zu, daß bei<lb/> der vielversprechenden Blüte des 15. Jahrhunderts die Controversen von<lb/> vielem Schönen und Guten abgelenkt haben. „Ich verehre in allen Formen<lb/> den stärkenden Trost, die Aufmunterung zu löblichen Thaten, und bin darum<lb/> auch besonders für die katholische Kirche und Hierarchie, nur halte ich die<lb/> Bibel und eine ihr angeschlossene Glaubensform darum nicht für verwerflich;<lb/> sie begeistert, wenn mau sie hört, genugsam, und es ist für die katholische<lb/> Kirche selbst gut, daß eine Opposition sei, sonst möchte ein Papst in Collusion<lb/> mit Bonaparte alles tilgen, was die Zier und Lust der Menschheit ist. Keiner<lb/> von beiden darf universal sein. Was die Protestanten betrifft, so glaube ich,<lb/> sie werden von ihrer seichten Deisterei aus Langeweile zurückkommen; die<lb/> neuste Philosophie mag noch so toll sein, sie hat etwas Mystisches, Platonisches,<lb/> das doch wieder empfänglich macht, auf die Harfe des verlassenen Sion zu<lb/> lauschen," — Müller hatte es mit der Antwort lange anstehn lassen. In<lb/> dem Lande, wo Montesquieu verboten war, hatte man nach seiner Abreise<lb/> auch seine Schriften untersagt; selbst die noch künftig zu schreibenden. „Ge¬<lb/> wisse Leute verdrehen, mißdeuten alles . . . Darum scheue ich mich, meine<lb/> Freunde durch Korrespondenz zu compromittiren." Indeß geht er 10, April 1805<lb/> mit der Sprache ziemlich unumwunden heraus. „Denn jetzt, jetzt kommt das<lb/> Ultimatum; nun soll über Europa entschieden werden. Die ganze Sache der<lb/> Humanität ist auf dem Spiel." „Zum Glück hat denen, welche in Deutsch¬<lb/> land auf die öffentliche Meinung operiren möchten, Bonaparte trefflich vor¬<lb/> gearbeitet, indem 'er durch seinen Obscurantism und seine despotischen<lb/> Sprüche keinen Zweifel darüber gelassen, was die literarischen Welt von ihm<lb/> zu erwarten hat. Jenes zu Paris verabredete Journal Germanique hat er<lb/> im Keim erstickt, weil die Deutsche» es doch nie lassen können, eine revolu¬<lb/> tionäre Denkungsart in ihre Schriften zu bringen" n. s. w. „Dienen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
und man hat später nicht selten Gentz als einen politischen Romantiker be¬
zeichnet. Das war er aber keineswegs. Die Romantik hat ihn nur ganz
oberflächlich berührt, er war zu sehr an folgerichtiges Denken gewöhnt. Daß
die Zersplitterung Deutschlands nicht blos für seine politische, sondern auch
für seine sittliche Entwicklung ein Unglück war, wird heute niemand bestreiten;
ebenso wenig, daß diese Zersplitterung mit der Reformation zusammenhängt.
Aber daß die Reformation nicht blos eine religiöse, sondern eine nationale,
eine specifisch deutsche Bewegung war, zeigt derErsvlg-, nur das protestantische
Deutschland ist Träger der deutschen Cultur geblieben. Nicht die Reformation,
sondern der Widerstand Karls 5, und Ferdinands 2,, nicht der Protestantis¬
mus, sondern der Jesuitismus ist an Deutschlands Zersplitterung, an Deutsch¬
lands Elend Schuld, — Müller ging in seiner Autwort von einem andern
Gesichtspunkt aus. Bei seiner Abneigung gegen alle absolute Macht wies
er auf die Vorzüge der individuellen Entwicklung hin. Er gibt zu, daß bei
der vielversprechenden Blüte des 15. Jahrhunderts die Controversen von
vielem Schönen und Guten abgelenkt haben. „Ich verehre in allen Formen
den stärkenden Trost, die Aufmunterung zu löblichen Thaten, und bin darum
auch besonders für die katholische Kirche und Hierarchie, nur halte ich die
Bibel und eine ihr angeschlossene Glaubensform darum nicht für verwerflich;
sie begeistert, wenn mau sie hört, genugsam, und es ist für die katholische
Kirche selbst gut, daß eine Opposition sei, sonst möchte ein Papst in Collusion
mit Bonaparte alles tilgen, was die Zier und Lust der Menschheit ist. Keiner
von beiden darf universal sein. Was die Protestanten betrifft, so glaube ich,
sie werden von ihrer seichten Deisterei aus Langeweile zurückkommen; die
neuste Philosophie mag noch so toll sein, sie hat etwas Mystisches, Platonisches,
das doch wieder empfänglich macht, auf die Harfe des verlassenen Sion zu
lauschen," — Müller hatte es mit der Antwort lange anstehn lassen. In
dem Lande, wo Montesquieu verboten war, hatte man nach seiner Abreise
auch seine Schriften untersagt; selbst die noch künftig zu schreibenden. „Ge¬
wisse Leute verdrehen, mißdeuten alles . . . Darum scheue ich mich, meine
Freunde durch Korrespondenz zu compromittiren." Indeß geht er 10, April 1805
mit der Sprache ziemlich unumwunden heraus. „Denn jetzt, jetzt kommt das
Ultimatum; nun soll über Europa entschieden werden. Die ganze Sache der
Humanität ist auf dem Spiel." „Zum Glück hat denen, welche in Deutsch¬
land auf die öffentliche Meinung operiren möchten, Bonaparte trefflich vor¬
gearbeitet, indem 'er durch seinen Obscurantism und seine despotischen
Sprüche keinen Zweifel darüber gelassen, was die literarischen Welt von ihm
zu erwarten hat. Jenes zu Paris verabredete Journal Germanique hat er
im Keim erstickt, weil die Deutsche» es doch nie lassen können, eine revolu¬
tionäre Denkungsart in ihre Schriften zu bringen" n. s. w. „Dienen
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