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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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verpesteten Lande in eine Lust gekommen sind, worin Sie frei athmen können!
Nun hoffen wir olle, Sie sollen sich und der Muse und vor vilen der Ge-
schichtsmnse leben. Ließen mich meine hohen Jahre nur noch die Früchte
erleben."

AIS die vorzüglichste Aufgabe seines berliner Aufenthalts saßte Müller
die Geschichte Friedrichs auf. Schon am 4. Sept. 1804 schreibt er an Dohm,
den er wegen der Quellen zu Rathe zieht: "Es soll nach meiner Idee ein Stück
der antiken Kunst, aber mit der Lebendigkeit gearbeitet sein, welche in ihm
war. so geschrieben, wie er stritt und herrschte, in jener seiner erhabenen Ein¬
fachheit und Kraft, nicht weniger zum Denkmal als zum aufrufenden Muster,
0vu amol'lz (ich könnte nicht anders>, aber gerecht und ernst, wie seine Größe
es verträgt." Am 24 Jan. >805> hielt er in der öffentlichen Sitzung der
Akademie eine Vorlesung über die Geschichte Friedrichs. Nachdem er zunächst
in seiner Art über die griechischen Biographien gesprochen, fährt er fort.
"Spätere Zeiten hat Schmeichelei oder Haß entstellt; die Unerfahrenheit im
Zusammenhang der Geschäfte, die Heuchelei philosophischer Strenge, oder
orthodoxe Parteisucht, und in entnervenden Zeitaltern der Unglaube an
größere Naturen, und bei der Unfähigkeit sich gleich groß zu erheben, die
niedrige Bemühung sie herunterzusehen: alle diese Ursachen haben bei¬
getragen, daß für die Haupteigenschaften solcher Biographien. Einfalt und
Gerechtigkeit, der Sinn verloren ging." Er verwahrt sich gegen die Sitte,
große Männer untereinander zu vergleichen. "Der große Mann ist kein
anderer als Er selbst, wie er in seiner Zeit und Lage zu sein hat." "Bei
aller scheinbaren Divergenz der äußerlichen Handlungen liegt in der Seele
eines jeden an Kraft und Weisheit großen Mannes ein Hauptlcbensplnn.
eine vorherrschende Idee, welche als Schlüssel all seines Thuns aufgefaßt
werden muß. um in die Darstellung seines Lebens die Einheit zu bringen,
ohne die zwar eine Chronik, nicht aber eine Geschichte sich denken läßt."
Die Idee weicht wesentlich von dein ab, was Müller sonst unter der Aufgabe
des Historikers begriff. Es scheint, daß der Verkehr mit Woltmann, der
sich von diesem Punkt aus die Kunst der Geschichtschreibung construirte. auf
ihn eingewirkt hat. Als den Kern für die Geschichte Friedrichs stellt er die
Untersuchung dar "wie seine ganze Regierung dahin zweckte, einen Staat zu
bilden, der so lange sein Geist in ihm bliebe, eine außerordentliche Vater¬
landsliebe und auch unter fremden Völkern den besten Menschen vertrauens¬
volle Theilnahme einflößte." "Diese neue politische Schöpfung trug wesentlich
bei. daß. als durch die Folge der Zeiten in der allergrößten Erschütterung
des Gemeinwesens von Europa ein altberühmtes Gleichgewicht unter dem
Ruin vieler fallenden Staaten begraben wurde, die Kraft und Würde des


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verpesteten Lande in eine Lust gekommen sind, worin Sie frei athmen können!
Nun hoffen wir olle, Sie sollen sich und der Muse und vor vilen der Ge-
schichtsmnse leben. Ließen mich meine hohen Jahre nur noch die Früchte
erleben."

AIS die vorzüglichste Aufgabe seines berliner Aufenthalts saßte Müller
die Geschichte Friedrichs auf. Schon am 4. Sept. 1804 schreibt er an Dohm,
den er wegen der Quellen zu Rathe zieht: „Es soll nach meiner Idee ein Stück
der antiken Kunst, aber mit der Lebendigkeit gearbeitet sein, welche in ihm
war. so geschrieben, wie er stritt und herrschte, in jener seiner erhabenen Ein¬
fachheit und Kraft, nicht weniger zum Denkmal als zum aufrufenden Muster,
0vu amol'lz (ich könnte nicht anders>, aber gerecht und ernst, wie seine Größe
es verträgt." Am 24 Jan. >805> hielt er in der öffentlichen Sitzung der
Akademie eine Vorlesung über die Geschichte Friedrichs. Nachdem er zunächst
in seiner Art über die griechischen Biographien gesprochen, fährt er fort.
„Spätere Zeiten hat Schmeichelei oder Haß entstellt; die Unerfahrenheit im
Zusammenhang der Geschäfte, die Heuchelei philosophischer Strenge, oder
orthodoxe Parteisucht, und in entnervenden Zeitaltern der Unglaube an
größere Naturen, und bei der Unfähigkeit sich gleich groß zu erheben, die
niedrige Bemühung sie herunterzusehen: alle diese Ursachen haben bei¬
getragen, daß für die Haupteigenschaften solcher Biographien. Einfalt und
Gerechtigkeit, der Sinn verloren ging." Er verwahrt sich gegen die Sitte,
große Männer untereinander zu vergleichen. „Der große Mann ist kein
anderer als Er selbst, wie er in seiner Zeit und Lage zu sein hat." „Bei
aller scheinbaren Divergenz der äußerlichen Handlungen liegt in der Seele
eines jeden an Kraft und Weisheit großen Mannes ein Hauptlcbensplnn.
eine vorherrschende Idee, welche als Schlüssel all seines Thuns aufgefaßt
werden muß. um in die Darstellung seines Lebens die Einheit zu bringen,
ohne die zwar eine Chronik, nicht aber eine Geschichte sich denken läßt."
Die Idee weicht wesentlich von dein ab, was Müller sonst unter der Aufgabe
des Historikers begriff. Es scheint, daß der Verkehr mit Woltmann, der
sich von diesem Punkt aus die Kunst der Geschichtschreibung construirte. auf
ihn eingewirkt hat. Als den Kern für die Geschichte Friedrichs stellt er die
Untersuchung dar „wie seine ganze Regierung dahin zweckte, einen Staat zu
bilden, der so lange sein Geist in ihm bliebe, eine außerordentliche Vater¬
landsliebe und auch unter fremden Völkern den besten Menschen vertrauens¬
volle Theilnahme einflößte." „Diese neue politische Schöpfung trug wesentlich
bei. daß. als durch die Folge der Zeiten in der allergrößten Erschütterung
des Gemeinwesens von Europa ein altberühmtes Gleichgewicht unter dem
Ruin vieler fallenden Staaten begraben wurde, die Kraft und Würde des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/323>, abgerufen am 22.12.2024.