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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Herders Nachlaß, der Fr. v. Staöl mir ungemein werther Umgang, Benjamin
Konstant, Goethe, der nur immer lieber wird, und viele andere treffliche
Männer und Damen machten mir diese Zeit zu einem kurzen Augenblick."
Bon da begab sich Müller nach Berlin. "Was war es," schreibt er seinem
Bruder 12. März 1804, "das bei dein ersten Eintritt aus preußischen Boden
mich neu belebte, mir die Jugendzeit, wo Friedrich mein Held war, zurückrief,
und wie vaterländisch mir heimelte! So hier, da ich mir zu Hause schien
wie ein aus der Fremde heimgekommener Sohn. Es schien mir ohne Rai-
sonnement so, daß Preußens Sachen die meinigen seien und die des Glaubens
meiner Bäter, und die der immer geliebten, hier freien und ehrenvollen Lide^
ratur. Ich fühlte mich wie neu belebt, hier ohne Scheu reformirt und Ge¬
lehrter sein zu dürfen. Hierzu kam die Tendenz des Königs, Berlin zu einer
Freistätte und einem Mittelpunkt deutscher Art und Kunst und aller vernünf¬
tigen Freiheit zu machen. Auch sah ich von letzterer nicht die mindeste übele
Folge, horte keine Klagen, sah leine mißvergnügten revolntionsschwangern
Gesichter, sah Liebe für das Haus "ut niemand an Preußens Erhaltung ver
zweifelnd." Müller war erst wenig Wochen in Berlin, als man ihm den
Antrag machte, als geheimer Kriegsrath und Mitglied der Akademie in preu¬
ßische Dienste zu treten. Z000 Thlr. Gehalt, ein volles Inhrgehalt als Ent¬
schädigung des Umzugs u. s. w. "Was, Bruder, hättest du gethan? Soll ich
denn mein Lebe" thatenlos verschlafen. im Lande, wo Montesquieu
verboten ist? wo ich meine Bücher nicht herausgeben darf? wo überall mich
Spione umgeben? ..." Indeß war er doch zweifelhaft und überließ die
Durchführung der Angelegenheit der preußischen Gesandtschaft in Wien. Mehr
und mehr entzückte ihn das prächtige Berlin. "Hier hörte ich in den ersten
Tagen mein Gemälde Friederichs in einer Gesellschaft recitiren; andere redeten
mit mir von Sempach und Laupen, Neflerivnen wurden geprüft, welche ich
selbst vergessen hatte; eine schöne Ausgabe der Schweizergeschichte projectirt;
von einer Sammlung SeriMr. ror. Svrinimiem-. der Plan entworfen: Dinge,
die mir so neu sind, wie aus dein Monde; das sind ja lauter vou jener
Censur verbotene, angefeindete Sachen. Zu aller Thätigkeit sind schöne Aus¬
sichten. Alle Wochen sind einige Kränzchen vortrefflicher Männer, wo immer
viel zu lernen ist .... Dann ein Casino, wo alte Journale, Zeitungen
und recht gute Gesellschaft. Unter den Ministern die schönste Cultur und Ar¬
tigkeit. Es ist ein Gefühl des Guten und Schönen, wie gewiß an wenig
Orten." -- Inzwischen war durch die preußische Gesandtschaft in Wien seine
gnädige Entlassung vermittelt. Er mußte noch einmal nach Wien, hatte beim
Kaiser 18. Mai 1804 eine Audienz und eilte von da durch Baiern nach Schaff¬
hausen, um seinen Bruder zu besuchen. "Offenbar war in Wien für mich keine


Grenzboten U. ivM, 4V

Herders Nachlaß, der Fr. v. Staöl mir ungemein werther Umgang, Benjamin
Konstant, Goethe, der nur immer lieber wird, und viele andere treffliche
Männer und Damen machten mir diese Zeit zu einem kurzen Augenblick."
Bon da begab sich Müller nach Berlin. „Was war es," schreibt er seinem
Bruder 12. März 1804, „das bei dein ersten Eintritt aus preußischen Boden
mich neu belebte, mir die Jugendzeit, wo Friedrich mein Held war, zurückrief,
und wie vaterländisch mir heimelte! So hier, da ich mir zu Hause schien
wie ein aus der Fremde heimgekommener Sohn. Es schien mir ohne Rai-
sonnement so, daß Preußens Sachen die meinigen seien und die des Glaubens
meiner Bäter, und die der immer geliebten, hier freien und ehrenvollen Lide^
ratur. Ich fühlte mich wie neu belebt, hier ohne Scheu reformirt und Ge¬
lehrter sein zu dürfen. Hierzu kam die Tendenz des Königs, Berlin zu einer
Freistätte und einem Mittelpunkt deutscher Art und Kunst und aller vernünf¬
tigen Freiheit zu machen. Auch sah ich von letzterer nicht die mindeste übele
Folge, horte keine Klagen, sah leine mißvergnügten revolntionsschwangern
Gesichter, sah Liebe für das Haus »ut niemand an Preußens Erhaltung ver
zweifelnd." Müller war erst wenig Wochen in Berlin, als man ihm den
Antrag machte, als geheimer Kriegsrath und Mitglied der Akademie in preu¬
ßische Dienste zu treten. Z000 Thlr. Gehalt, ein volles Inhrgehalt als Ent¬
schädigung des Umzugs u. s. w. „Was, Bruder, hättest du gethan? Soll ich
denn mein Lebe» thatenlos verschlafen. im Lande, wo Montesquieu
verboten ist? wo ich meine Bücher nicht herausgeben darf? wo überall mich
Spione umgeben? ..." Indeß war er doch zweifelhaft und überließ die
Durchführung der Angelegenheit der preußischen Gesandtschaft in Wien. Mehr
und mehr entzückte ihn das prächtige Berlin. „Hier hörte ich in den ersten
Tagen mein Gemälde Friederichs in einer Gesellschaft recitiren; andere redeten
mit mir von Sempach und Laupen, Neflerivnen wurden geprüft, welche ich
selbst vergessen hatte; eine schöne Ausgabe der Schweizergeschichte projectirt;
von einer Sammlung SeriMr. ror. Svrinimiem-. der Plan entworfen: Dinge,
die mir so neu sind, wie aus dein Monde; das sind ja lauter vou jener
Censur verbotene, angefeindete Sachen. Zu aller Thätigkeit sind schöne Aus¬
sichten. Alle Wochen sind einige Kränzchen vortrefflicher Männer, wo immer
viel zu lernen ist .... Dann ein Casino, wo alte Journale, Zeitungen
und recht gute Gesellschaft. Unter den Ministern die schönste Cultur und Ar¬
tigkeit. Es ist ein Gefühl des Guten und Schönen, wie gewiß an wenig
Orten." — Inzwischen war durch die preußische Gesandtschaft in Wien seine
gnädige Entlassung vermittelt. Er mußte noch einmal nach Wien, hatte beim
Kaiser 18. Mai 1804 eine Audienz und eilte von da durch Baiern nach Schaff¬
hausen, um seinen Bruder zu besuchen. „Offenbar war in Wien für mich keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/321>, abgerufen am 22.12.2024.