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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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halten, wenn wie zu Ende des 15. Jahrhunderts die durchschnittliche künstle¬
rische Bildung schon einen ungleich höheren Grad erreicht but als er in
Deutschland gegenwärtig noch zu finden ist.

Die ersten Keime der neuen Richtung kommen unstreitig in dem genialen
Peter Heß. später in Ludwig Richter, ja selbst in Lessing, obgleich die beiden
letzteren mit einem Fuß noch in der Romantik stecken, zu Tage, weitere An¬
regung ward in Frankreich durch das Auftreten Delaroche's gegeben, gerade
so wie in der Literatur durch Walter Scott, Boz, Macciulay, Thierry und
selbst Thiers.

Es ist eine der vielen Schrullen der deutschen Kunstkritik, daß sie das starke
germanistische Element, was in der durch Delaroche angebahnten individuali-
sirenden Methode der Historienmalerei liegt, nicht erkannt hat, und doch ist
dasselbe so stark, das, der Meister bekanntlich bei den viel mehr zum Genera-
lisiren und zur Manier hinneigenden Franzosen schon bereits wieder als ein
überwundener Standpunkt gilt. Die Werke von Delaroches Schüler Gallait,
der das Streben des Meisters mit starker Hinneigung zum Naturalismus fort¬
setzt, hatten ebenfalls bedeutenden Einfluß, aber doch konnten weder die einen
noch die andern die deutsche Kunst umgestalten, bis die durch das Jahr t848
herbeigeführte Umwandlung die Gemüther neuerer frischerer Formen bedürftig
machte, und nacheinander ohne irgend welchen Partcizusammenhang eine
Menge ähnlicher Talente in Deutschland auf, früher in Berlin Menzel,
Schrader, Richter, in Düsseldorf Lenze, Kraus, Köting, Tidemand. in Mün¬
chen Piloty, Hvrschelt, Franz Adam, Knille u. s. w., die alle früher in der Stille sich
gebildet halten, jetzt aber die öffentliche -Aufmerksamkeit und Sympathie zum
Theil in ungewöhnlichem Maße aus sich zogen, so daß alles ihnen sich zuwendete,
daß buchstäblich die ganze jüngere Generation dieser Fahne so ausnahmslos
zuschwor, daß z. B, selbst in München, dem langjährigen Sitze des Classicis-
mus, unter zwanzig hoffnimgerweckende" Talenten unter dreißig Jahren nicht
eins ist, welches noch der classischen Richtung angehörte, daß Kaulbach, Schwind,
Schraudolph so gut wie keine Schüler haben, und selbst die wenigen, die noth-
gedrungen die Richtung noch pflegen, sobald sie der Akademie und ihrem
Zwang entrinnen, gewöhnlich auch die hoffnungslose Partei verlassen, daß
fast alle Künstler, die erst in neuerer Zeit sich Ruf erworben, im Fache der
Figurenmalerei Realisten sind, ja daß wenn wir "och Beispiele von äußern Er¬
folgen anführen sollen, bei der letzte" pariser Ausstellung von den drei großen
goldenen Medaillen, die auf Deutschland sielen, ihr zwei gehörten, die Kraus
und der Bildhauer Rietschel, der der Rauch'sehen realistischen Schule angehört,
erhielten, während von den Elassicisten blos Cornelius eine solche zuerkannt
wurde.

Thatsächlich wird daher der Streit zwischen den beide" Richtungen sehr


halten, wenn wie zu Ende des 15. Jahrhunderts die durchschnittliche künstle¬
rische Bildung schon einen ungleich höheren Grad erreicht but als er in
Deutschland gegenwärtig noch zu finden ist.

Die ersten Keime der neuen Richtung kommen unstreitig in dem genialen
Peter Heß. später in Ludwig Richter, ja selbst in Lessing, obgleich die beiden
letzteren mit einem Fuß noch in der Romantik stecken, zu Tage, weitere An¬
regung ward in Frankreich durch das Auftreten Delaroche's gegeben, gerade
so wie in der Literatur durch Walter Scott, Boz, Macciulay, Thierry und
selbst Thiers.

Es ist eine der vielen Schrullen der deutschen Kunstkritik, daß sie das starke
germanistische Element, was in der durch Delaroche angebahnten individuali-
sirenden Methode der Historienmalerei liegt, nicht erkannt hat, und doch ist
dasselbe so stark, das, der Meister bekanntlich bei den viel mehr zum Genera-
lisiren und zur Manier hinneigenden Franzosen schon bereits wieder als ein
überwundener Standpunkt gilt. Die Werke von Delaroches Schüler Gallait,
der das Streben des Meisters mit starker Hinneigung zum Naturalismus fort¬
setzt, hatten ebenfalls bedeutenden Einfluß, aber doch konnten weder die einen
noch die andern die deutsche Kunst umgestalten, bis die durch das Jahr t848
herbeigeführte Umwandlung die Gemüther neuerer frischerer Formen bedürftig
machte, und nacheinander ohne irgend welchen Partcizusammenhang eine
Menge ähnlicher Talente in Deutschland auf, früher in Berlin Menzel,
Schrader, Richter, in Düsseldorf Lenze, Kraus, Köting, Tidemand. in Mün¬
chen Piloty, Hvrschelt, Franz Adam, Knille u. s. w., die alle früher in der Stille sich
gebildet halten, jetzt aber die öffentliche -Aufmerksamkeit und Sympathie zum
Theil in ungewöhnlichem Maße aus sich zogen, so daß alles ihnen sich zuwendete,
daß buchstäblich die ganze jüngere Generation dieser Fahne so ausnahmslos
zuschwor, daß z. B, selbst in München, dem langjährigen Sitze des Classicis-
mus, unter zwanzig hoffnimgerweckende» Talenten unter dreißig Jahren nicht
eins ist, welches noch der classischen Richtung angehörte, daß Kaulbach, Schwind,
Schraudolph so gut wie keine Schüler haben, und selbst die wenigen, die noth-
gedrungen die Richtung noch pflegen, sobald sie der Akademie und ihrem
Zwang entrinnen, gewöhnlich auch die hoffnungslose Partei verlassen, daß
fast alle Künstler, die erst in neuerer Zeit sich Ruf erworben, im Fache der
Figurenmalerei Realisten sind, ja daß wenn wir »och Beispiele von äußern Er¬
folgen anführen sollen, bei der letzte» pariser Ausstellung von den drei großen
goldenen Medaillen, die auf Deutschland sielen, ihr zwei gehörten, die Kraus
und der Bildhauer Rietschel, der der Rauch'sehen realistischen Schule angehört,
erhielten, während von den Elassicisten blos Cornelius eine solche zuerkannt
wurde.

Thatsächlich wird daher der Streit zwischen den beide» Richtungen sehr


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[0032] halten, wenn wie zu Ende des 15. Jahrhunderts die durchschnittliche künstle¬ rische Bildung schon einen ungleich höheren Grad erreicht but als er in Deutschland gegenwärtig noch zu finden ist. Die ersten Keime der neuen Richtung kommen unstreitig in dem genialen Peter Heß. später in Ludwig Richter, ja selbst in Lessing, obgleich die beiden letzteren mit einem Fuß noch in der Romantik stecken, zu Tage, weitere An¬ regung ward in Frankreich durch das Auftreten Delaroche's gegeben, gerade so wie in der Literatur durch Walter Scott, Boz, Macciulay, Thierry und selbst Thiers. Es ist eine der vielen Schrullen der deutschen Kunstkritik, daß sie das starke germanistische Element, was in der durch Delaroche angebahnten individuali- sirenden Methode der Historienmalerei liegt, nicht erkannt hat, und doch ist dasselbe so stark, das, der Meister bekanntlich bei den viel mehr zum Genera- lisiren und zur Manier hinneigenden Franzosen schon bereits wieder als ein überwundener Standpunkt gilt. Die Werke von Delaroches Schüler Gallait, der das Streben des Meisters mit starker Hinneigung zum Naturalismus fort¬ setzt, hatten ebenfalls bedeutenden Einfluß, aber doch konnten weder die einen noch die andern die deutsche Kunst umgestalten, bis die durch das Jahr t848 herbeigeführte Umwandlung die Gemüther neuerer frischerer Formen bedürftig machte, und nacheinander ohne irgend welchen Partcizusammenhang eine Menge ähnlicher Talente in Deutschland auf, früher in Berlin Menzel, Schrader, Richter, in Düsseldorf Lenze, Kraus, Köting, Tidemand. in Mün¬ chen Piloty, Hvrschelt, Franz Adam, Knille u. s. w., die alle früher in der Stille sich gebildet halten, jetzt aber die öffentliche -Aufmerksamkeit und Sympathie zum Theil in ungewöhnlichem Maße aus sich zogen, so daß alles ihnen sich zuwendete, daß buchstäblich die ganze jüngere Generation dieser Fahne so ausnahmslos zuschwor, daß z. B, selbst in München, dem langjährigen Sitze des Classicis- mus, unter zwanzig hoffnimgerweckende» Talenten unter dreißig Jahren nicht eins ist, welches noch der classischen Richtung angehörte, daß Kaulbach, Schwind, Schraudolph so gut wie keine Schüler haben, und selbst die wenigen, die noth- gedrungen die Richtung noch pflegen, sobald sie der Akademie und ihrem Zwang entrinnen, gewöhnlich auch die hoffnungslose Partei verlassen, daß fast alle Künstler, die erst in neuerer Zeit sich Ruf erworben, im Fache der Figurenmalerei Realisten sind, ja daß wenn wir »och Beispiele von äußern Er¬ folgen anführen sollen, bei der letzte» pariser Ausstellung von den drei großen goldenen Medaillen, die auf Deutschland sielen, ihr zwei gehörten, die Kraus und der Bildhauer Rietschel, der der Rauch'sehen realistischen Schule angehört, erhielten, während von den Elassicisten blos Cornelius eine solche zuerkannt wurde. Thatsächlich wird daher der Streit zwischen den beide» Richtungen sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/32>, abgerufen am 21.12.2024.