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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Eines zu sein, mit aller Kraft Eines zu suchen." Und was ist dies Eine? --
Der Eckstein der Verfassung, der Kaiser. "Der Kaiser, unser Pater und Herr,
rede! Wir hören. Er ordne an! wir sind da; wir sind sein! In seiner weiten
reichen Monarchie hat kein rechtschaffner Unterthan einen Tropfen Blut, einen
Heller Eigenthum, der nicht für die gemeine Sache, der nicht Sein sei." In
demselben Jahr wird auch aus einem angeblichen Manuscript des Sulla,
das man in einem Tornister gefunden, die Nothwendigkeit eingeschärft, alles
Räsonniren zu unterdrücken, sobald der Krieg erklärt sei. "Unparteiisch sein
zu wollen, nachdem der Staat Partei genommen, schien nicht nur tollkühner
Stolz, sondern Verrätherei; alle Ideen der Einzelnen verwandelten sich in den
Gemeingeist, welchen unsere Herrschaft emporgebracht hat." "So evident und
so nothwendig ist dieser Grundsatz, daß selbst in dem Vaterland des Partei¬
geistes und Leichtsinns, in Gallien, in irgend einer Stadt wo bessere Ordnung ist,
von Staatssachen niemand anderswo, als bei der Behörde rede", und unver¬
bürgte Neuigkeiten nur an der dazu bestimmten Stelle angeben darf." "De-
cretirt versuchsweise, daß wer wider den Krieg oder für den Feind redet, an
Ehre, Leib und Gut, und mit Unfähigkeit aller Beförderung bestraft werden
soll." Für militärische Angelegenheiten verlangt Sulla natürlich die Dictatur:
"Rechenschaft werde ich darüber geben, aber nach dem Triumph!" "Oder sollte
das Politisiren im Winkel, sollte das Räsonniren an Orten, wo man agiren
muß. ein so edles Glück sein, den man Rom aufopfern dürste? Nicht so
unsere Voreltern" u. s. w. Ebenso römisch wird noch bei einigen folgenden
Gelegenheiten die Sache erledigt. -- Sein Haß gegen die Revolution ver¬
bindet sich mit dem Haß gegen die idealistische Phrase; schon die Worte: Aus¬
klärung. Vernunft. Freiheit mag er nicht hören. Als Bonstetten mit einer
Abhandlung über die Freiheit beschäftigt ist, schreibt er ihm "Ich bin
immer mehr für die Historie, wie alles gekommen sei; sie zeigt, wie
alles ist,') sie leitet aus Verbesserungen: die Theorien vagiren herum,
trügen, verführen, prücipitiren." "Sobald wir für eine ungewisse Zukunft
die Bedürfnisse des Augenblicks vergessen, träumen wir in das Schattenreich.
Das ist eben eine Kunst der Franzosen zu machen, daß die Greuel als
vorübergehende Kleinigkeiten dem Hirngespinst entfernter Glückseligkeit geopfert
werden. Ich danke den Alten und der Geschichte, daß dergleichen Gaukelei
mich nicht täuscht. Sie wollen, daß wir den Blick ins Empureum richten, in
dessen sie unsere Taschen bestehlen. Nicht anders thaten in den mittlern
Zeiten die Pfaffen.."

Diese Abneigung gegen alle begriffliche Construction in der Wissenschaft



*) "Das ist überhaupt der Effect des Quellenstudiums, wenn es sehr in die Details geht,
daß alles begreiflich, eines aus dem andern folgte,"

Eines zu sein, mit aller Kraft Eines zu suchen." Und was ist dies Eine? —
Der Eckstein der Verfassung, der Kaiser. „Der Kaiser, unser Pater und Herr,
rede! Wir hören. Er ordne an! wir sind da; wir sind sein! In seiner weiten
reichen Monarchie hat kein rechtschaffner Unterthan einen Tropfen Blut, einen
Heller Eigenthum, der nicht für die gemeine Sache, der nicht Sein sei." In
demselben Jahr wird auch aus einem angeblichen Manuscript des Sulla,
das man in einem Tornister gefunden, die Nothwendigkeit eingeschärft, alles
Räsonniren zu unterdrücken, sobald der Krieg erklärt sei. „Unparteiisch sein
zu wollen, nachdem der Staat Partei genommen, schien nicht nur tollkühner
Stolz, sondern Verrätherei; alle Ideen der Einzelnen verwandelten sich in den
Gemeingeist, welchen unsere Herrschaft emporgebracht hat." „So evident und
so nothwendig ist dieser Grundsatz, daß selbst in dem Vaterland des Partei¬
geistes und Leichtsinns, in Gallien, in irgend einer Stadt wo bessere Ordnung ist,
von Staatssachen niemand anderswo, als bei der Behörde rede», und unver¬
bürgte Neuigkeiten nur an der dazu bestimmten Stelle angeben darf." „De-
cretirt versuchsweise, daß wer wider den Krieg oder für den Feind redet, an
Ehre, Leib und Gut, und mit Unfähigkeit aller Beförderung bestraft werden
soll." Für militärische Angelegenheiten verlangt Sulla natürlich die Dictatur:
„Rechenschaft werde ich darüber geben, aber nach dem Triumph!" „Oder sollte
das Politisiren im Winkel, sollte das Räsonniren an Orten, wo man agiren
muß. ein so edles Glück sein, den man Rom aufopfern dürste? Nicht so
unsere Voreltern" u. s. w. Ebenso römisch wird noch bei einigen folgenden
Gelegenheiten die Sache erledigt. — Sein Haß gegen die Revolution ver¬
bindet sich mit dem Haß gegen die idealistische Phrase; schon die Worte: Aus¬
klärung. Vernunft. Freiheit mag er nicht hören. Als Bonstetten mit einer
Abhandlung über die Freiheit beschäftigt ist, schreibt er ihm „Ich bin
immer mehr für die Historie, wie alles gekommen sei; sie zeigt, wie
alles ist,') sie leitet aus Verbesserungen: die Theorien vagiren herum,
trügen, verführen, prücipitiren." „Sobald wir für eine ungewisse Zukunft
die Bedürfnisse des Augenblicks vergessen, träumen wir in das Schattenreich.
Das ist eben eine Kunst der Franzosen zu machen, daß die Greuel als
vorübergehende Kleinigkeiten dem Hirngespinst entfernter Glückseligkeit geopfert
werden. Ich danke den Alten und der Geschichte, daß dergleichen Gaukelei
mich nicht täuscht. Sie wollen, daß wir den Blick ins Empureum richten, in
dessen sie unsere Taschen bestehlen. Nicht anders thaten in den mittlern
Zeiten die Pfaffen.."

Diese Abneigung gegen alle begriffliche Construction in der Wissenschaft



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daß alles begreiflich, eines aus dem andern folgte,"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/314>, abgerufen am 22.12.2024.