Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.Gegen diese Gegner steht das Volk in seinen Vertretern, Wenn nun Gegen diese Gegner steht das Volk in seinen Vertretern, Wenn nun <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186723"/> <p xml:id="ID_721" next="#ID_722"> Gegen diese Gegner steht das Volk in seinen Vertretern, Wenn nun<lb/> dasselbe in andern Ländern fast ohne Gegenwehr dem Drucke nachgegeben - so<lb/> verachte man hier seine Widerstandskraft nicht! Denn nicht allein ist im vor¬<lb/> liegenden Fall die Macht der Gegner an sich eine schwächere als anderswo. —<lb/> die des Volkes dagegen besitzt eine Jntensivität, wie man sie sonst selten treffen<lb/> möchte. In Wmtemberg hat es keine blutigen Straßentnmpse gegeben; aber<lb/> in Würtemberg hat mehr denn einmal die öffentliche Meinung überraschend<lb/> gesiegt über die Ansichten dieses oder jenes Ministers, Auch hierfür liegt der<lb/> Grund in der Entwicklung des Staates, Ich konnte weit zurückgehen, um<lb/> nachzuweisen, wie bei allem Druck in anderen Dingen die würtenbergische<lb/> Landschaft die Verfassung des Landes und vor allein die Kirche des Landes<lb/> gewahrt mit einer Energie, die nicht selten sehr an Gewaltsamkeit gestreift<lb/> hat. Es wird genügen, wenn ich an Ereignisse aus diesem Jahrhundert<lb/> erinnere, aus denen erhellt, daß der Bruch mit der alten ständischen Verfassung ^<lb/> zwar geschehen ist; aber nicht wegen gänzlichen Außercvursgerathens und Ver-<lb/> gessenscins, sondern als freier Tausch. Die Verfassungsurkunde vom 25. Sep¬<lb/> tember 1819 hat das Volk nicht mit unbekannten Rechten überrascht, mit<lb/> denen dasselbe vor der Hand gar nicht gewußt hätte, was anfangen. Im<lb/> Gegentheil: diese Urkunde erschien damals in Würtemberg kaum als Ersatz für<lb/> die ständische Verfassung des alten Landes, welche der neue Souverän, König<lb/> Friedrich, am 30, December 1805 ausgehoben hatte, als „eine in die jetzige<lb/> Zeit nicht mehr passende Einrichtung". Das war ein Gewnltstreich und wurde<lb/> auch als Gewaltstreich behandelt. Denn als am 15. März 1815 König<lb/> Friedrich der von ihm neu einberufenen, von der altwürtembergischen Landes¬<lb/> versammlung übrigens wesentlich verschiedenen „ständischen Repräsentation"<lb/> den Entwurf einer Verfassungsurkunde eigenhändig übergab und deren Inhalt<lb/> sofort beschwor: da geschah es, daß die Versammlung einstimmig den Beschluß<lb/> faßte, diese Urkunde nicht als Grundgesetz des Landes anzuerkennen, sondern<lb/> lediglich aus Grundlage der altwürtembergischen Verfassung, die nur wider¬<lb/> rechtlich unterdrückt sei und gesetzlich noch bestehe, eine Unterhandlung zu ver¬<lb/> langen. (Mohl würd. Staatsrecht Bd. I. S. 31 ff.) Vier Jahre lang haben<lb/> sich die Verhandlungen hingezogen, trotzdem, daß König Friedrich selbst noch<lb/> it' 30. Oct. 1816) für Altwürtemberg d. l). das ehemalige Herzogthum die<lb/> rechtliche Giltigkeit der alten Verfassung anerkannte und nur hinsichtlich Neu^<lb/> würtembcrgs d. h. der neuerworbenen Landesthe,le jeden Anspruch an dieselbe<lb/> bestritt, er also ebendamit die Verfassungswidrigkeit seiner eignen That ein,<lb/> gestand und das Volk sich füglich als Sieger betrachten konnte, während tue<lb/> Landesvertreter, damit nicht zufrieden, die neuen Erwerbungen als Anwachs<lb/> auffaßten, der das Schicksal des Hauptlandcs zu theilen habe. Man hat<lb/> dieses beharrliche Festhalten'der Landesvertretung an ihrem „alten guten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Gegen diese Gegner steht das Volk in seinen Vertretern, Wenn nun
dasselbe in andern Ländern fast ohne Gegenwehr dem Drucke nachgegeben - so
verachte man hier seine Widerstandskraft nicht! Denn nicht allein ist im vor¬
liegenden Fall die Macht der Gegner an sich eine schwächere als anderswo. —
die des Volkes dagegen besitzt eine Jntensivität, wie man sie sonst selten treffen
möchte. In Wmtemberg hat es keine blutigen Straßentnmpse gegeben; aber
in Würtemberg hat mehr denn einmal die öffentliche Meinung überraschend
gesiegt über die Ansichten dieses oder jenes Ministers, Auch hierfür liegt der
Grund in der Entwicklung des Staates, Ich konnte weit zurückgehen, um
nachzuweisen, wie bei allem Druck in anderen Dingen die würtenbergische
Landschaft die Verfassung des Landes und vor allein die Kirche des Landes
gewahrt mit einer Energie, die nicht selten sehr an Gewaltsamkeit gestreift
hat. Es wird genügen, wenn ich an Ereignisse aus diesem Jahrhundert
erinnere, aus denen erhellt, daß der Bruch mit der alten ständischen Verfassung ^
zwar geschehen ist; aber nicht wegen gänzlichen Außercvursgerathens und Ver-
gessenscins, sondern als freier Tausch. Die Verfassungsurkunde vom 25. Sep¬
tember 1819 hat das Volk nicht mit unbekannten Rechten überrascht, mit
denen dasselbe vor der Hand gar nicht gewußt hätte, was anfangen. Im
Gegentheil: diese Urkunde erschien damals in Würtemberg kaum als Ersatz für
die ständische Verfassung des alten Landes, welche der neue Souverän, König
Friedrich, am 30, December 1805 ausgehoben hatte, als „eine in die jetzige
Zeit nicht mehr passende Einrichtung". Das war ein Gewnltstreich und wurde
auch als Gewaltstreich behandelt. Denn als am 15. März 1815 König
Friedrich der von ihm neu einberufenen, von der altwürtembergischen Landes¬
versammlung übrigens wesentlich verschiedenen „ständischen Repräsentation"
den Entwurf einer Verfassungsurkunde eigenhändig übergab und deren Inhalt
sofort beschwor: da geschah es, daß die Versammlung einstimmig den Beschluß
faßte, diese Urkunde nicht als Grundgesetz des Landes anzuerkennen, sondern
lediglich aus Grundlage der altwürtembergischen Verfassung, die nur wider¬
rechtlich unterdrückt sei und gesetzlich noch bestehe, eine Unterhandlung zu ver¬
langen. (Mohl würd. Staatsrecht Bd. I. S. 31 ff.) Vier Jahre lang haben
sich die Verhandlungen hingezogen, trotzdem, daß König Friedrich selbst noch
it' 30. Oct. 1816) für Altwürtemberg d. l). das ehemalige Herzogthum die
rechtliche Giltigkeit der alten Verfassung anerkannte und nur hinsichtlich Neu^
würtembcrgs d. h. der neuerworbenen Landesthe,le jeden Anspruch an dieselbe
bestritt, er also ebendamit die Verfassungswidrigkeit seiner eignen That ein,
gestand und das Volk sich füglich als Sieger betrachten konnte, während tue
Landesvertreter, damit nicht zufrieden, die neuen Erwerbungen als Anwachs
auffaßten, der das Schicksal des Hauptlandcs zu theilen habe. Man hat
dieses beharrliche Festhalten'der Landesvertretung an ihrem „alten guten
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