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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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wohnliche Niveau, der Reichthum der Erfindung ist nickt groß. Was uns
hier ausschließlich beschäftigt, ist die scharf ausgeprägte Tendenz.

Man pflegt zu behaupten, die Demokratie sei ausgestorben. Versteht man
darunter eine politische Partei, die weitergehende Ziele verfolgt als wir, aber
bestimmt angeschaute und erreichbare Ziele, etwa die Partei Waldeck in der
ehemaligen preußischen Nationalversammlung, so würden wir das Aussterben
dieser Partei, auch wenn wir sie oft bekämpft haben, im Interesse der öffent¬
lichen Staatsentwicklung nur bedauern. Grade weil die entgegengesetzte Seite
so stark vertreten ist, wird ein Gegengewicht erfordert, um den Compromiß,
die Seele alles politischen Fortschritts, möglich zu machen. Erst wenn dre
Demokratie in diesem Sinn in dem preußischen Landtag ihre Vertretung fin¬
det, wird dieser der vollständige Ausdruck des preußischen Volks sein.

Versteht man dagegen unter Demokratie, und das geschieht gewöhnlich,
die Neigung, auf bloße Einfälle des Gemüths die Politik zu gründen. Fra¬
gen, welche die angestrengteste Aufmerksamkeit des Verstandes erfordern, durch
Geschrei, durch Toaste, oder durch em Bonmot zu entscheiden, so wäre es in
der That hohe Zeit, daß man dieses Geschlecht der deutschen Träumer, oder
besser gesagt der deutschen Kinder, endlich beseitigte. Dies ist die Demokratie,
welche Gutzkow in den Rittern vom Geist, welche Steub in den deutschen
Träumen verherrlicht, oder beschönigt -- beides kommt poetisch betrachtet auf
dasselbe heraus. Es ist vielleicht die seltsamste Erscheinung, daß Steub die
kindische Verkehrtheit feiner Helden ganz richtig durchschaut, die Ironie sogar
ziemlich stark hervortreten läßt, und sie doch als Helden, nicht als Don Qui-
xotes behandelt. Der Eindruck dieser doppelten Stimmung ist so wunderlich,
daß man fast annehmen möchte, der Verfasser habe ein altes unter einer ganz
andern Ansicht geschriebenes Manuscript nach seiner neu gewonnenen Ueber¬
zeugung durchgearbeitet, ohne daß es ihm doch gelungen wäre, eine einheit¬
liche Farbe herzustellen.

Vier Knaben spielen im Gartenhaus einer kleinen Stadt mit Korkschrffen,
die sie als eine Flotte behandeln, nach entfernten Gegenden entsenden; der
eine ist König, der andere Admiral u. s. w., wie man es eben als Knabe zu
machen pflegt.

Nach einigen Jahren finden sich diese vier als Jünglinge wieder zusam¬
men, der eine ist Referendarius, der andere ein reicher Junker, der drittesein
Bedienter, der vierte angehender Yankee. Sie veranstalten in jener kleinen
Stadt mit Hilfe einiger einfältigen Spießbürger eine politische Demonstration,
wo sie mehr wohlgemeinte als inhaltreiche Reden halten; die Polizei jenes
Orts nimmt sich ganz gegen das Eostüm der vierziger Jahre der Sache an.
der Referendarius wird wegen seiner Rede er erster Instanz zu fünf Jahren
Gefängniß verurtheilt, der Junker, der sich wahrscheinlich noch als echter


wohnliche Niveau, der Reichthum der Erfindung ist nickt groß. Was uns
hier ausschließlich beschäftigt, ist die scharf ausgeprägte Tendenz.

Man pflegt zu behaupten, die Demokratie sei ausgestorben. Versteht man
darunter eine politische Partei, die weitergehende Ziele verfolgt als wir, aber
bestimmt angeschaute und erreichbare Ziele, etwa die Partei Waldeck in der
ehemaligen preußischen Nationalversammlung, so würden wir das Aussterben
dieser Partei, auch wenn wir sie oft bekämpft haben, im Interesse der öffent¬
lichen Staatsentwicklung nur bedauern. Grade weil die entgegengesetzte Seite
so stark vertreten ist, wird ein Gegengewicht erfordert, um den Compromiß,
die Seele alles politischen Fortschritts, möglich zu machen. Erst wenn dre
Demokratie in diesem Sinn in dem preußischen Landtag ihre Vertretung fin¬
det, wird dieser der vollständige Ausdruck des preußischen Volks sein.

Versteht man dagegen unter Demokratie, und das geschieht gewöhnlich,
die Neigung, auf bloße Einfälle des Gemüths die Politik zu gründen. Fra¬
gen, welche die angestrengteste Aufmerksamkeit des Verstandes erfordern, durch
Geschrei, durch Toaste, oder durch em Bonmot zu entscheiden, so wäre es in
der That hohe Zeit, daß man dieses Geschlecht der deutschen Träumer, oder
besser gesagt der deutschen Kinder, endlich beseitigte. Dies ist die Demokratie,
welche Gutzkow in den Rittern vom Geist, welche Steub in den deutschen
Träumen verherrlicht, oder beschönigt — beides kommt poetisch betrachtet auf
dasselbe heraus. Es ist vielleicht die seltsamste Erscheinung, daß Steub die
kindische Verkehrtheit feiner Helden ganz richtig durchschaut, die Ironie sogar
ziemlich stark hervortreten läßt, und sie doch als Helden, nicht als Don Qui-
xotes behandelt. Der Eindruck dieser doppelten Stimmung ist so wunderlich,
daß man fast annehmen möchte, der Verfasser habe ein altes unter einer ganz
andern Ansicht geschriebenes Manuscript nach seiner neu gewonnenen Ueber¬
zeugung durchgearbeitet, ohne daß es ihm doch gelungen wäre, eine einheit¬
liche Farbe herzustellen.

Vier Knaben spielen im Gartenhaus einer kleinen Stadt mit Korkschrffen,
die sie als eine Flotte behandeln, nach entfernten Gegenden entsenden; der
eine ist König, der andere Admiral u. s. w., wie man es eben als Knabe zu
machen pflegt.

Nach einigen Jahren finden sich diese vier als Jünglinge wieder zusam¬
men, der eine ist Referendarius, der andere ein reicher Junker, der drittesein
Bedienter, der vierte angehender Yankee. Sie veranstalten in jener kleinen
Stadt mit Hilfe einiger einfältigen Spießbürger eine politische Demonstration,
wo sie mehr wohlgemeinte als inhaltreiche Reden halten; die Polizei jenes
Orts nimmt sich ganz gegen das Eostüm der vierziger Jahre der Sache an.
der Referendarius wird wegen seiner Rede er erster Instanz zu fünf Jahren
Gefängniß verurtheilt, der Junker, der sich wahrscheinlich noch als echter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/306>, abgerufen am 22.12.2024.