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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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richtigen Mittel ergriffei? werden mit fester Hand, ohne jede Schwankung,
Aber seine Phantasie ist mächtiger als sein Plan, zu jung und zu be¬
weglich, um der Macht eines unberechneten und verführerischen Augenblicks
zu widerstehen. Der ganze Plan scheitert an einem Moment, der seine
Phantasie überwältigt und es bleibt ihm nichts übrig als für das Ideal
einer geschichtlichen Welt zu sterben, die er idyllisch träumt.

Der Schlüssel zu dem Räthsel jener drei Stücke liegt nicht so tief ver¬
steckt, daß man ihn nicht schon vielfältig aufgefunden hätte, aber das
schmälert das Verdienst Kuno Fischers keineswegs: er hat dem allgemeinen
Gefühl einen schönen, geistvollen und correcten Ausdruck gegeben. Nicht das
Gleiche können wir von seinem Persuch rühmen, in drei lyrischen Gedichten:
Resignation, die Götter Griechenlands und die Künstler den Uebergang von
dieser subjectiven Empfindungen zu einer objectiven nachzuweisen. Der Inhalt
der Resignation soll folgender sein: "Genießen läßt sich nur die Gegenwart.
Wer auf diesen Genuß Verzicht leistet, dem bleibt nichts übrig als die Zukunft,
als die Hoffnung, daß die Zeiten erfüllen werden, was wir Großes gewollt und
begonnen haben: dem bleibt also nichts übrig als der Glaube an die
Geschichte." Darauf ist einfach zu erwiedern, daß sich von diesem angeb¬
lichen Inhalt in dem Gedicht kein Wort vorfindet. Wenn uns Kuno Fischer
fragt, wie die letzte Zeile: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht in
das Gedicht hineinkommt, so können wir ihm nur antworten, indem wir
seine eigene Methode vom Dramatischen ins Lyrische übertragen: dieser letzte
Gedanke schwebte Schiller ungefähr in der Weise vor, wie ihm der Charakter
Fiescos und Posas vorschwebte, allein er wußte ihn nicht auszudrücken und
so wurde denn jener erst gewallte Schlußsatz, der zu dem gegenwärtigen In¬
halt des Gedichts in keiner Weise stimmt, da eingefügt, wo es eigentlich
mit den Worten Posas heißen sollte: "O Gott das Leben ist doch schön!"
oder etwas der Art.

Die Götter Griechenlands sind richtig erklärt, aber da Kuno Fischer bei
dieser Gelegenheit auf anderweitige falsche Auslegungen aufmerksam macht, so
muß hinzugefügt werden, daß dies Gedicht im Grund von allen neuern
Auslegern vollkommen richtig und zuweilen besser erklärt ist als von Kuno
Fischer, denn daß er um der "Konsequenz willen die Phantasiewelt der
Götter Griechenlands ein "heroisches Idyll" nennt, ist doch wol nur eine
Spielerei.

Die Götter Griechenlands schließen mit der Sentenz: "was unsterblich im
Gesang soll leben, muß im Leben untergehn!" d. h. mit dem ausgesprochenen
Contrast der Poesie gegen das Leben. In den Künstlern dagegen erscheint
die Kunst als die Erzieherin des Menschengeschlechts, die jeden Fortschritt der
Gesittung bedingt, begünstigt und vollendet. "Nur ein Jahr." sagt Kuno Fischer.


richtigen Mittel ergriffei? werden mit fester Hand, ohne jede Schwankung,
Aber seine Phantasie ist mächtiger als sein Plan, zu jung und zu be¬
weglich, um der Macht eines unberechneten und verführerischen Augenblicks
zu widerstehen. Der ganze Plan scheitert an einem Moment, der seine
Phantasie überwältigt und es bleibt ihm nichts übrig als für das Ideal
einer geschichtlichen Welt zu sterben, die er idyllisch träumt.

Der Schlüssel zu dem Räthsel jener drei Stücke liegt nicht so tief ver¬
steckt, daß man ihn nicht schon vielfältig aufgefunden hätte, aber das
schmälert das Verdienst Kuno Fischers keineswegs: er hat dem allgemeinen
Gefühl einen schönen, geistvollen und correcten Ausdruck gegeben. Nicht das
Gleiche können wir von seinem Persuch rühmen, in drei lyrischen Gedichten:
Resignation, die Götter Griechenlands und die Künstler den Uebergang von
dieser subjectiven Empfindungen zu einer objectiven nachzuweisen. Der Inhalt
der Resignation soll folgender sein: „Genießen läßt sich nur die Gegenwart.
Wer auf diesen Genuß Verzicht leistet, dem bleibt nichts übrig als die Zukunft,
als die Hoffnung, daß die Zeiten erfüllen werden, was wir Großes gewollt und
begonnen haben: dem bleibt also nichts übrig als der Glaube an die
Geschichte." Darauf ist einfach zu erwiedern, daß sich von diesem angeb¬
lichen Inhalt in dem Gedicht kein Wort vorfindet. Wenn uns Kuno Fischer
fragt, wie die letzte Zeile: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht in
das Gedicht hineinkommt, so können wir ihm nur antworten, indem wir
seine eigene Methode vom Dramatischen ins Lyrische übertragen: dieser letzte
Gedanke schwebte Schiller ungefähr in der Weise vor, wie ihm der Charakter
Fiescos und Posas vorschwebte, allein er wußte ihn nicht auszudrücken und
so wurde denn jener erst gewallte Schlußsatz, der zu dem gegenwärtigen In¬
halt des Gedichts in keiner Weise stimmt, da eingefügt, wo es eigentlich
mit den Worten Posas heißen sollte: „O Gott das Leben ist doch schön!"
oder etwas der Art.

Die Götter Griechenlands sind richtig erklärt, aber da Kuno Fischer bei
dieser Gelegenheit auf anderweitige falsche Auslegungen aufmerksam macht, so
muß hinzugefügt werden, daß dies Gedicht im Grund von allen neuern
Auslegern vollkommen richtig und zuweilen besser erklärt ist als von Kuno
Fischer, denn daß er um der «Konsequenz willen die Phantasiewelt der
Götter Griechenlands ein „heroisches Idyll" nennt, ist doch wol nur eine
Spielerei.

Die Götter Griechenlands schließen mit der Sentenz: „was unsterblich im
Gesang soll leben, muß im Leben untergehn!" d. h. mit dem ausgesprochenen
Contrast der Poesie gegen das Leben. In den Künstlern dagegen erscheint
die Kunst als die Erzieherin des Menschengeschlechts, die jeden Fortschritt der
Gesittung bedingt, begünstigt und vollendet. „Nur ein Jahr." sagt Kuno Fischer.


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[0301] richtigen Mittel ergriffei? werden mit fester Hand, ohne jede Schwankung, Aber seine Phantasie ist mächtiger als sein Plan, zu jung und zu be¬ weglich, um der Macht eines unberechneten und verführerischen Augenblicks zu widerstehen. Der ganze Plan scheitert an einem Moment, der seine Phantasie überwältigt und es bleibt ihm nichts übrig als für das Ideal einer geschichtlichen Welt zu sterben, die er idyllisch träumt. Der Schlüssel zu dem Räthsel jener drei Stücke liegt nicht so tief ver¬ steckt, daß man ihn nicht schon vielfältig aufgefunden hätte, aber das schmälert das Verdienst Kuno Fischers keineswegs: er hat dem allgemeinen Gefühl einen schönen, geistvollen und correcten Ausdruck gegeben. Nicht das Gleiche können wir von seinem Persuch rühmen, in drei lyrischen Gedichten: Resignation, die Götter Griechenlands und die Künstler den Uebergang von dieser subjectiven Empfindungen zu einer objectiven nachzuweisen. Der Inhalt der Resignation soll folgender sein: „Genießen läßt sich nur die Gegenwart. Wer auf diesen Genuß Verzicht leistet, dem bleibt nichts übrig als die Zukunft, als die Hoffnung, daß die Zeiten erfüllen werden, was wir Großes gewollt und begonnen haben: dem bleibt also nichts übrig als der Glaube an die Geschichte." Darauf ist einfach zu erwiedern, daß sich von diesem angeb¬ lichen Inhalt in dem Gedicht kein Wort vorfindet. Wenn uns Kuno Fischer fragt, wie die letzte Zeile: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht in das Gedicht hineinkommt, so können wir ihm nur antworten, indem wir seine eigene Methode vom Dramatischen ins Lyrische übertragen: dieser letzte Gedanke schwebte Schiller ungefähr in der Weise vor, wie ihm der Charakter Fiescos und Posas vorschwebte, allein er wußte ihn nicht auszudrücken und so wurde denn jener erst gewallte Schlußsatz, der zu dem gegenwärtigen In¬ halt des Gedichts in keiner Weise stimmt, da eingefügt, wo es eigentlich mit den Worten Posas heißen sollte: „O Gott das Leben ist doch schön!" oder etwas der Art. Die Götter Griechenlands sind richtig erklärt, aber da Kuno Fischer bei dieser Gelegenheit auf anderweitige falsche Auslegungen aufmerksam macht, so muß hinzugefügt werden, daß dies Gedicht im Grund von allen neuern Auslegern vollkommen richtig und zuweilen besser erklärt ist als von Kuno Fischer, denn daß er um der «Konsequenz willen die Phantasiewelt der Götter Griechenlands ein „heroisches Idyll" nennt, ist doch wol nur eine Spielerei. Die Götter Griechenlands schließen mit der Sentenz: „was unsterblich im Gesang soll leben, muß im Leben untergehn!" d. h. mit dem ausgesprochenen Contrast der Poesie gegen das Leben. In den Künstlern dagegen erscheint die Kunst als die Erzieherin des Menschengeschlechts, die jeden Fortschritt der Gesittung bedingt, begünstigt und vollendet. „Nur ein Jahr." sagt Kuno Fischer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/301>, abgerufen am 22.12.2024.