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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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sein erworbenes oder zu erwerbendes Renommee nicht angenommen hätte. Statt
einer Zunahme würde sich also wahrscheinlich eine Abnahme der Processe her¬
ausstellen; und das schon deshalb, weil der Anwnltzwang die von der ver¬
lierenden Partei zu tragenden Kosten vermehren, also gewissermaßen auf leicht¬
sinniges Processiren eine Geldstrafe setzen würde. Natürlich mühten sür arme
Parteien, denen die Lorschüsse an den Anwalt unmöglich sind, Einrichtungen,
ähnlich wie die französischen Lurvaus (I'-tssiswuLL MlüviiürvL getroffen werden,
welche dafür sorgen, daß Armuth nicht zu einem unübersetzbaren Hinderniß
werde, giltige Rechtsansprüche zu verfolgen. Ebenso wenig halten wir die
Vcsorgniß für gerechtfertigt, daß durch Befreiung der Advocatur der Anwalt¬
stand herunterkommen würde, wie das in einigen deutschen Nachbarstaaten
allerdings geschehen ist. Sobald aber die preußischen Advocaten ganz die¬
selbe praktische Schule von fünf Jahren durchzumachen gehalten sind, wie heute
die preußischen Richter, ist dasür kaum ein triftiger Grund anzuführen. Das
Einkommen mancher Anwälte würde sich freilich bedeutend mindern, aber da¬
mit noch nicht die Ehrenhaftigkeit des Standes, sür welche durch einen Ehren¬
rath und die Erleichterung des Ueberganges zum Richteramt bei denjenigen,
welchen die besondern Eigenschaften eines guten Urwalds abgehen, vor allem
aber durch die Öffentlichkeit des Verfahrens vor den Augen und Ohren des
controlirenden Publicums hinreichend gesorgt werden kann.

Mit diesen Andeutungen über den wahrscheinlichen nächsten Verlauf der
preußischen Justizrcsormen wollen wir dieselben, so weit sie die Gerichts¬
verfassung und den Civilproceß betreffen, verlassen und zu einem nicht minder
wichtigen und wahrscheinlich allgemeiner interessanten Theil derselben über¬
gehen, dem Criminalproceß.




Deutsche Träume.
Deutsche Träume. Roman von Ludwig SteuiX A Bd. Braunschweig,
Vieweg. --
Die Selbstbekenntnisse Schillers. Äortrag, gehalten in der Rose zu Jena,
am 4. Mürz 1857. Von Prof. Kuno Fischer. Frankfurt a. M.,
Hermann. --

Seit dem Werk der Frau von Staöl über Deutschland gelten wir dem
Ausland als ein reich begabtes, ja im Durchschnitt geniales Volt, welches aber
den Fehler habe, das Traumleben mit der Wirklichkeit zu vermischen. Jeder
Deutsche, bevor er sich gehörig legitimirt hat, steht im Verdacht, ein Träumer,


sein erworbenes oder zu erwerbendes Renommee nicht angenommen hätte. Statt
einer Zunahme würde sich also wahrscheinlich eine Abnahme der Processe her¬
ausstellen; und das schon deshalb, weil der Anwnltzwang die von der ver¬
lierenden Partei zu tragenden Kosten vermehren, also gewissermaßen auf leicht¬
sinniges Processiren eine Geldstrafe setzen würde. Natürlich mühten sür arme
Parteien, denen die Lorschüsse an den Anwalt unmöglich sind, Einrichtungen,
ähnlich wie die französischen Lurvaus (I'-tssiswuLL MlüviiürvL getroffen werden,
welche dafür sorgen, daß Armuth nicht zu einem unübersetzbaren Hinderniß
werde, giltige Rechtsansprüche zu verfolgen. Ebenso wenig halten wir die
Vcsorgniß für gerechtfertigt, daß durch Befreiung der Advocatur der Anwalt¬
stand herunterkommen würde, wie das in einigen deutschen Nachbarstaaten
allerdings geschehen ist. Sobald aber die preußischen Advocaten ganz die¬
selbe praktische Schule von fünf Jahren durchzumachen gehalten sind, wie heute
die preußischen Richter, ist dasür kaum ein triftiger Grund anzuführen. Das
Einkommen mancher Anwälte würde sich freilich bedeutend mindern, aber da¬
mit noch nicht die Ehrenhaftigkeit des Standes, sür welche durch einen Ehren¬
rath und die Erleichterung des Ueberganges zum Richteramt bei denjenigen,
welchen die besondern Eigenschaften eines guten Urwalds abgehen, vor allem
aber durch die Öffentlichkeit des Verfahrens vor den Augen und Ohren des
controlirenden Publicums hinreichend gesorgt werden kann.

Mit diesen Andeutungen über den wahrscheinlichen nächsten Verlauf der
preußischen Justizrcsormen wollen wir dieselben, so weit sie die Gerichts¬
verfassung und den Civilproceß betreffen, verlassen und zu einem nicht minder
wichtigen und wahrscheinlich allgemeiner interessanten Theil derselben über¬
gehen, dem Criminalproceß.




Deutsche Träume.
Deutsche Träume. Roman von Ludwig SteuiX A Bd. Braunschweig,
Vieweg. —
Die Selbstbekenntnisse Schillers. Äortrag, gehalten in der Rose zu Jena,
am 4. Mürz 1857. Von Prof. Kuno Fischer. Frankfurt a. M.,
Hermann. —

Seit dem Werk der Frau von Staöl über Deutschland gelten wir dem
Ausland als ein reich begabtes, ja im Durchschnitt geniales Volt, welches aber
den Fehler habe, das Traumleben mit der Wirklichkeit zu vermischen. Jeder
Deutsche, bevor er sich gehörig legitimirt hat, steht im Verdacht, ein Träumer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/298>, abgerufen am 22.12.2024.