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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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muß. Die Bestimmung der Straft, welche in Warnung, Verweis, Amtssus¬
pension von drei Monaten bis einem Jahr, während welcher Zeit das Gehalt
ganz oder bis auf einen nothdürftigen Theil fortfällt, und in Dienstentlassung
mit Verlust von Titel und Pensivnsansprüchen bestehen kann, erfolgt in Plenar¬
sitzungen, an denen mindestens sieben Mitglieder einschließlich des Präsidenten
Theil genommen haben müssen. Appellation ist innerhalb vier Wochen zulässig.
Alle diese Bestimmungen wären sehr unverfänglich, wenn nicht die Gründe,
aus denen ein Disciplinarverfahren eingeleitet werden kann, so außerordentlich
vag und unbestimmt gefaßt wären. Es unterliegt nämlich jeder Richter den
Vorschriften dieses Gesetzes (ez i), der

1. Die Pflichten verletzt, die ihm sein Amt auferlegt!

2. sich durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der Achtung, des
Ansehens und Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt.

Welches Verhalten aber unter diese Bestimmung nicht zu sassen wäre,
wenn man es nur darunter fassen will, ist vielleicht schwerer anzugeben als
das Gegentheil. Ein Richter, welcher mehr als irgend ein Beamter seine
ganze Persönlichkeit mit Bewußtsein, nicht blind, wie der Soldat es muß,
einer hoher" Macht opfert, darf so nicht gestellt werden. Das Gesetz mag
ihm klar und bestimmt vorschreiben, was es von ihm fordert, was es ihm
verbietet. Für das, was darüber hinausliegt, kann er nur seinem Gewissen
und der Stimme eines Ehrenraths von Standesgenossen verantwortlich gemacht
werden, wenn seine Stellung gegen den Mißbrauch discretionärer Gewalt ge¬
schützt sein soll; und das muß sie, nicht um der Personen, sondern um der
Sache willen.

Die andre offne Frage in der preußischen Justizverfassung ist die Befreiung
der Advvcatur. In andern Ländern ist dieAdvocntur die Vorstufe des Richter-
aints und zählt 4, ja 8 und in> mal so viel Mitglieder als dieses. In Preu¬
ßen betrachtet ein Appellationsgcrichtsrath es häufig als eine Gunst, wenn
ihm eine Advocatenftelle übertragen wird und hat guten Grund dazu, denn
es gibt kaum den vierten Theil so viel Anwälte als Richter und ihr Ein¬
kommen beträgt durchschnittlich so viel Tausende als das des Richters Hunderte.
Dieses unnatürliche Verhältniß findet seine Erklärung theilweise in der Geschichte
des preußischen Processes. Die monströse Form, welche der gemeine deutsche
Proceß mit der Zeit angenommen hatte, gab die Proceßführung unbedingt
in die Hände der Advocaten, welche allein in dem labyrinthischen Bau zu
Hause waren, und leicht eiuen Schlupfwinkel oder eine Hinterthür auffanden,
um die Entscheidung der gerechtesten und klarsten Sache Jahrzehnte lang zu
verzögern. Den rastlosen Geist des großen Königs widerte dieser schleppende
Justizgang an. Er entwarf selbst 1746 einen Plan, nach dem jeder Proceß in
einem Jahre beendigt werden sollte, denselben, welcher 1748 als Proceßordnung


muß. Die Bestimmung der Straft, welche in Warnung, Verweis, Amtssus¬
pension von drei Monaten bis einem Jahr, während welcher Zeit das Gehalt
ganz oder bis auf einen nothdürftigen Theil fortfällt, und in Dienstentlassung
mit Verlust von Titel und Pensivnsansprüchen bestehen kann, erfolgt in Plenar¬
sitzungen, an denen mindestens sieben Mitglieder einschließlich des Präsidenten
Theil genommen haben müssen. Appellation ist innerhalb vier Wochen zulässig.
Alle diese Bestimmungen wären sehr unverfänglich, wenn nicht die Gründe,
aus denen ein Disciplinarverfahren eingeleitet werden kann, so außerordentlich
vag und unbestimmt gefaßt wären. Es unterliegt nämlich jeder Richter den
Vorschriften dieses Gesetzes (ez i), der

1. Die Pflichten verletzt, die ihm sein Amt auferlegt!

2. sich durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der Achtung, des
Ansehens und Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt.

Welches Verhalten aber unter diese Bestimmung nicht zu sassen wäre,
wenn man es nur darunter fassen will, ist vielleicht schwerer anzugeben als
das Gegentheil. Ein Richter, welcher mehr als irgend ein Beamter seine
ganze Persönlichkeit mit Bewußtsein, nicht blind, wie der Soldat es muß,
einer hoher» Macht opfert, darf so nicht gestellt werden. Das Gesetz mag
ihm klar und bestimmt vorschreiben, was es von ihm fordert, was es ihm
verbietet. Für das, was darüber hinausliegt, kann er nur seinem Gewissen
und der Stimme eines Ehrenraths von Standesgenossen verantwortlich gemacht
werden, wenn seine Stellung gegen den Mißbrauch discretionärer Gewalt ge¬
schützt sein soll; und das muß sie, nicht um der Personen, sondern um der
Sache willen.

Die andre offne Frage in der preußischen Justizverfassung ist die Befreiung
der Advvcatur. In andern Ländern ist dieAdvocntur die Vorstufe des Richter-
aints und zählt 4, ja 8 und in> mal so viel Mitglieder als dieses. In Preu¬
ßen betrachtet ein Appellationsgcrichtsrath es häufig als eine Gunst, wenn
ihm eine Advocatenftelle übertragen wird und hat guten Grund dazu, denn
es gibt kaum den vierten Theil so viel Anwälte als Richter und ihr Ein¬
kommen beträgt durchschnittlich so viel Tausende als das des Richters Hunderte.
Dieses unnatürliche Verhältniß findet seine Erklärung theilweise in der Geschichte
des preußischen Processes. Die monströse Form, welche der gemeine deutsche
Proceß mit der Zeit angenommen hatte, gab die Proceßführung unbedingt
in die Hände der Advocaten, welche allein in dem labyrinthischen Bau zu
Hause waren, und leicht eiuen Schlupfwinkel oder eine Hinterthür auffanden,
um die Entscheidung der gerechtesten und klarsten Sache Jahrzehnte lang zu
verzögern. Den rastlosen Geist des großen Königs widerte dieser schleppende
Justizgang an. Er entwarf selbst 1746 einen Plan, nach dem jeder Proceß in
einem Jahre beendigt werden sollte, denselben, welcher 1748 als Proceßordnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/296>, abgerufen am 22.12.2024.