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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Kritik wird deshalb billig handeln, wenn sie culturgeschichtlichcn Werken eine schonende
und vorzugsweise wohlwollende Berücksichtigung zu Theil werden läßt. Solche Theil¬
nahme sei auch dem folgenden Buche gern gegönnt:

Geschichte des deutschen Se ud en tenebras von der Gründung der
deutschen Universitäten bis zu den deutschen Freiheitskriegen. Ein historischer Versuch
von Oskar Dolch. Leipzig, Brockhaus 1858. -- Das Werk enthält auf 800 Seiten
eiize wohlgeordnete Zusammenstellung von Notizen und interessanten Einzelheiten, zum
Theil aus schwer zugänglichen Quellen, und ist im Ganzen betrachtet eine fleißige
Sammlung in sehr lesbarer Zusammenstellung. Vorzugsweise Sitten und Wunder¬
lichkeiten des alten Studentenlebens sind beachtet. Sein Anspruch auf wissenschaftliche
Bedeutung wird dadurch beschränkt, daß der Verfasser die älteste Geschichte der Uni¬
versitäten, besonders die verschiedenen Systeme, in denen dieselben nach italienischem
und französischem Muster gegründet wurden, nur wenig besprochen hat. Wenn das
schöne Werk von Zarecke dem Verfasser noch nicht zugänglich war, so war doch in
älteren z. B. in Raumer schon Vieles zu finden, was einer sorgfältigen Benutzung werth
gewesen wäre. Ebendeshalb sind die Mittheilungen über den Organismus der
deutschen Universitäten, über Nationen und Bursen nicht genügend, und selbst aus den
populären Schriften deS 10. und 17. Jahrhunderts wünscht man zahlreiche Nach¬
träge, wol auch Berichtigungen. Doch gibt das verarbeitete Material immerhin
dem Leser ein lebhaftes Bild vou dem wunderlichen Treibe" auf deu alten Universi¬
täten und wir empfinden lebhaft mit dem Verfasser, wenn er in seinem Vorwort
anführt, wie schwer es sei, ein Werk ans so wenig verarbeiteten und zuweilen
schwer zugänglichen Stoss zu machen.

Das Bild, welches er von dem alten Studententhum gibt, gehört nicht zu den
.holden aus der deutsche" Vergangenheit. Allerdings gilt von dem alten Studenten-
leben, was schon Robert Mohl erinnert; seine guten Seiten entziehen sich unserer
Beobachtung, der stille Fleiß, das opferfreudige Leben für die Wissenschaft, das emsige
Ringen mit den größten Entbehrungen, Kämpfe, durch welche Tausende deutscher Jünglinge
selbst in der schlechtesten Zeit während dem 30jährigen Kriege zu tüchtigen Männern ge¬
macht wurden. All dieses Löbliche vermögen wir nur aus dem spätern Leben solcher
Männer zu abstrahiren. Dagegen drängt sich das Wilde, Rohe, Frevelhafte ans den
Univeli'itätsacten,' wie aus den zahlreichen Klagen alter Sittenschildcrcr massenhaft in
den Vordergrund. Aber wie vorsichtig man mich abwägen möge, es überwiegt Elend
und Schlechtigkeit in diesen Kreisen deutschen Lebens so sehr, daß die Lobredner alter
Zeit vielleicht das schwerste Spiel haben würden, wenn sie das Einst und Jetzt der
H deutschen Universitäten vergleichen wollten.




Penmtwottlicber Redacteur: 1). Marly Busch -- Verleg vo" F. L, Herbig
in Leipzig.
Druck v"n C. E. Elbert i" Leipzig.

Kritik wird deshalb billig handeln, wenn sie culturgeschichtlichcn Werken eine schonende
und vorzugsweise wohlwollende Berücksichtigung zu Theil werden läßt. Solche Theil¬
nahme sei auch dem folgenden Buche gern gegönnt:

Geschichte des deutschen Se ud en tenebras von der Gründung der
deutschen Universitäten bis zu den deutschen Freiheitskriegen. Ein historischer Versuch
von Oskar Dolch. Leipzig, Brockhaus 1858. — Das Werk enthält auf 800 Seiten
eiize wohlgeordnete Zusammenstellung von Notizen und interessanten Einzelheiten, zum
Theil aus schwer zugänglichen Quellen, und ist im Ganzen betrachtet eine fleißige
Sammlung in sehr lesbarer Zusammenstellung. Vorzugsweise Sitten und Wunder¬
lichkeiten des alten Studentenlebens sind beachtet. Sein Anspruch auf wissenschaftliche
Bedeutung wird dadurch beschränkt, daß der Verfasser die älteste Geschichte der Uni¬
versitäten, besonders die verschiedenen Systeme, in denen dieselben nach italienischem
und französischem Muster gegründet wurden, nur wenig besprochen hat. Wenn das
schöne Werk von Zarecke dem Verfasser noch nicht zugänglich war, so war doch in
älteren z. B. in Raumer schon Vieles zu finden, was einer sorgfältigen Benutzung werth
gewesen wäre. Ebendeshalb sind die Mittheilungen über den Organismus der
deutschen Universitäten, über Nationen und Bursen nicht genügend, und selbst aus den
populären Schriften deS 10. und 17. Jahrhunderts wünscht man zahlreiche Nach¬
träge, wol auch Berichtigungen. Doch gibt das verarbeitete Material immerhin
dem Leser ein lebhaftes Bild vou dem wunderlichen Treibe« auf deu alten Universi¬
täten und wir empfinden lebhaft mit dem Verfasser, wenn er in seinem Vorwort
anführt, wie schwer es sei, ein Werk ans so wenig verarbeiteten und zuweilen
schwer zugänglichen Stoss zu machen.

Das Bild, welches er von dem alten Studententhum gibt, gehört nicht zu den
.holden aus der deutsche» Vergangenheit. Allerdings gilt von dem alten Studenten-
leben, was schon Robert Mohl erinnert; seine guten Seiten entziehen sich unserer
Beobachtung, der stille Fleiß, das opferfreudige Leben für die Wissenschaft, das emsige
Ringen mit den größten Entbehrungen, Kämpfe, durch welche Tausende deutscher Jünglinge
selbst in der schlechtesten Zeit während dem 30jährigen Kriege zu tüchtigen Männern ge¬
macht wurden. All dieses Löbliche vermögen wir nur aus dem spätern Leben solcher
Männer zu abstrahiren. Dagegen drängt sich das Wilde, Rohe, Frevelhafte ans den
Univeli'itätsacten,' wie aus den zahlreichen Klagen alter Sittenschildcrcr massenhaft in
den Vordergrund. Aber wie vorsichtig man mich abwägen möge, es überwiegt Elend
und Schlechtigkeit in diesen Kreisen deutschen Lebens so sehr, daß die Lobredner alter
Zeit vielleicht das schwerste Spiel haben würden, wenn sie das Einst und Jetzt der
H deutschen Universitäten vergleichen wollten.




Penmtwottlicber Redacteur: 1). Marly Busch — Verleg vo» F. L, Herbig
in Leipzig.
Druck v»n C. E. Elbert i» Leipzig.
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[0248] Kritik wird deshalb billig handeln, wenn sie culturgeschichtlichcn Werken eine schonende und vorzugsweise wohlwollende Berücksichtigung zu Theil werden läßt. Solche Theil¬ nahme sei auch dem folgenden Buche gern gegönnt: Geschichte des deutschen Se ud en tenebras von der Gründung der deutschen Universitäten bis zu den deutschen Freiheitskriegen. Ein historischer Versuch von Oskar Dolch. Leipzig, Brockhaus 1858. — Das Werk enthält auf 800 Seiten eiize wohlgeordnete Zusammenstellung von Notizen und interessanten Einzelheiten, zum Theil aus schwer zugänglichen Quellen, und ist im Ganzen betrachtet eine fleißige Sammlung in sehr lesbarer Zusammenstellung. Vorzugsweise Sitten und Wunder¬ lichkeiten des alten Studentenlebens sind beachtet. Sein Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung wird dadurch beschränkt, daß der Verfasser die älteste Geschichte der Uni¬ versitäten, besonders die verschiedenen Systeme, in denen dieselben nach italienischem und französischem Muster gegründet wurden, nur wenig besprochen hat. Wenn das schöne Werk von Zarecke dem Verfasser noch nicht zugänglich war, so war doch in älteren z. B. in Raumer schon Vieles zu finden, was einer sorgfältigen Benutzung werth gewesen wäre. Ebendeshalb sind die Mittheilungen über den Organismus der deutschen Universitäten, über Nationen und Bursen nicht genügend, und selbst aus den populären Schriften deS 10. und 17. Jahrhunderts wünscht man zahlreiche Nach¬ träge, wol auch Berichtigungen. Doch gibt das verarbeitete Material immerhin dem Leser ein lebhaftes Bild vou dem wunderlichen Treibe« auf deu alten Universi¬ täten und wir empfinden lebhaft mit dem Verfasser, wenn er in seinem Vorwort anführt, wie schwer es sei, ein Werk ans so wenig verarbeiteten und zuweilen schwer zugänglichen Stoss zu machen. Das Bild, welches er von dem alten Studententhum gibt, gehört nicht zu den .holden aus der deutsche» Vergangenheit. Allerdings gilt von dem alten Studenten- leben, was schon Robert Mohl erinnert; seine guten Seiten entziehen sich unserer Beobachtung, der stille Fleiß, das opferfreudige Leben für die Wissenschaft, das emsige Ringen mit den größten Entbehrungen, Kämpfe, durch welche Tausende deutscher Jünglinge selbst in der schlechtesten Zeit während dem 30jährigen Kriege zu tüchtigen Männern ge¬ macht wurden. All dieses Löbliche vermögen wir nur aus dem spätern Leben solcher Männer zu abstrahiren. Dagegen drängt sich das Wilde, Rohe, Frevelhafte ans den Univeli'itätsacten,' wie aus den zahlreichen Klagen alter Sittenschildcrcr massenhaft in den Vordergrund. Aber wie vorsichtig man mich abwägen möge, es überwiegt Elend und Schlechtigkeit in diesen Kreisen deutschen Lebens so sehr, daß die Lobredner alter Zeit vielleicht das schwerste Spiel haben würden, wenn sie das Einst und Jetzt der H deutschen Universitäten vergleichen wollten. Penmtwottlicber Redacteur: 1). Marly Busch — Verleg vo» F. L, Herbig in Leipzig. Druck v»n C. E. Elbert i» Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/248>, abgerufen am 22.12.2024.