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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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fürsten das Herz, was selbst Klugheit gebot, daß bei jener Nähe des Herrn,
und so eines Herrn, sein Verhältniß kaum !ein Dienst zu nennen war, daß
an Höfen, deren Größe den Fürsten fern hält, bösen Künsten viel möglich
ist. was.ein offener Mann kaun? ahnt. Dann schien aber auch möglich, wie
die Sachen damals waren, an einem der ersten, weitestwirkenden Höfe durch
das Glück eines Gedanken dem Kurfürsten und auch deu schon wankenden
Sachen des alten Vaterlandes wesentlicher zu dienen, als in vieljähriger
Gegenwart ohne größern Einfluß, Der Kurfürst, in ganz ähnlicher Bewegung,
schrieb Müllern so. daß sein edler väterlicher Sinn die Unentschlossenheit nur
verlängern mußte (12. Dec. 1792), An dem nämlichen Tage, wo Müller
vor sieben Jahren das Schicksal für Mainz entschieden wurde, endigte zuletzt
seine größere Verlegenheit ein anderes Schreiben, durch welches der Kurfürst
ihn dem Kaiser überließ (12, Febr. 179Z). Guten oder bösen Erfolg mag
der Mensch durch die Erfahrung erkennen; was geschehen sein würde, wenn
er sich anders entschlossen hätte, das kann er nicht wissen.

Diese Erzählung der Selbstbiographie macht einen kleinen Commentar
nöthig. Ueber seinen Besuch in Mainz hat er sich in einem Brief an seinen
Bruder 9. Nov. 1792 ausführlich ausgesprochen. Er gesteht zu, daß er sich
gegen Custine und seine alten mainzcr Freunde sehr vorsichtig ausgesprochen,
aber die Vorsicht scheint doch nicht in der nöthigen Ausdehnung betrieben
worden zu sein, denn Georg Forster sagte gleich darauf in einer Rede, in
welcher er die zögernden Mainzer zur Annahme der französischen Verfassung
zu bestimmen suchte: "Ich habe Euch treu und redlich meine Gesinnungen
gesagt, und ich freue mich hinzusetzen zu können, daß el" Mann, den die
Mainzer Bürgerschaft immer hoch geachtet hat, ein Staatsbeamter, der nnter
dem letzten Kurfürsten so viel Gutes gethan und so viel Böses verhindert,
als sich unter einem Kurfürsten thun und verhindern läßt, im Herzen ein
Freund der Freiheit und Gleichheit -- daß Johannes Müller über diese Grund¬
sätze vollkommen einstimmig ist, und Euch, Mitbürger, durch meinen Mund,
als sein Abschiedövermächtniß zurufen läßt -- ohne Bedenken mitzuwirken und
ohne Zaudern der Freiheit und Gleichheit zu schwören," Müller reclamirte
dagegen, aber nur schwach und die Bitterkeit, mit der er sich gegen seinen
Bruder 7, Dec. 1792 über Forster ausspricht, verräth kein gutes Gewissen.
So war nun der Verfasser der Schweizergeschichte und des Fürstenbundes im
Dienst desjenigen Hofes, den er bisher am leidenschaftlichsten bekämpft hatte.


I. S.


fürsten das Herz, was selbst Klugheit gebot, daß bei jener Nähe des Herrn,
und so eines Herrn, sein Verhältniß kaum !ein Dienst zu nennen war, daß
an Höfen, deren Größe den Fürsten fern hält, bösen Künsten viel möglich
ist. was.ein offener Mann kaun? ahnt. Dann schien aber auch möglich, wie
die Sachen damals waren, an einem der ersten, weitestwirkenden Höfe durch
das Glück eines Gedanken dem Kurfürsten und auch deu schon wankenden
Sachen des alten Vaterlandes wesentlicher zu dienen, als in vieljähriger
Gegenwart ohne größern Einfluß, Der Kurfürst, in ganz ähnlicher Bewegung,
schrieb Müllern so. daß sein edler väterlicher Sinn die Unentschlossenheit nur
verlängern mußte (12. Dec. 1792), An dem nämlichen Tage, wo Müller
vor sieben Jahren das Schicksal für Mainz entschieden wurde, endigte zuletzt
seine größere Verlegenheit ein anderes Schreiben, durch welches der Kurfürst
ihn dem Kaiser überließ (12, Febr. 179Z). Guten oder bösen Erfolg mag
der Mensch durch die Erfahrung erkennen; was geschehen sein würde, wenn
er sich anders entschlossen hätte, das kann er nicht wissen.

Diese Erzählung der Selbstbiographie macht einen kleinen Commentar
nöthig. Ueber seinen Besuch in Mainz hat er sich in einem Brief an seinen
Bruder 9. Nov. 1792 ausführlich ausgesprochen. Er gesteht zu, daß er sich
gegen Custine und seine alten mainzcr Freunde sehr vorsichtig ausgesprochen,
aber die Vorsicht scheint doch nicht in der nöthigen Ausdehnung betrieben
worden zu sein, denn Georg Forster sagte gleich darauf in einer Rede, in
welcher er die zögernden Mainzer zur Annahme der französischen Verfassung
zu bestimmen suchte: „Ich habe Euch treu und redlich meine Gesinnungen
gesagt, und ich freue mich hinzusetzen zu können, daß el» Mann, den die
Mainzer Bürgerschaft immer hoch geachtet hat, ein Staatsbeamter, der nnter
dem letzten Kurfürsten so viel Gutes gethan und so viel Böses verhindert,
als sich unter einem Kurfürsten thun und verhindern läßt, im Herzen ein
Freund der Freiheit und Gleichheit — daß Johannes Müller über diese Grund¬
sätze vollkommen einstimmig ist, und Euch, Mitbürger, durch meinen Mund,
als sein Abschiedövermächtniß zurufen läßt — ohne Bedenken mitzuwirken und
ohne Zaudern der Freiheit und Gleichheit zu schwören," Müller reclamirte
dagegen, aber nur schwach und die Bitterkeit, mit der er sich gegen seinen
Bruder 7, Dec. 1792 über Forster ausspricht, verräth kein gutes Gewissen.
So war nun der Verfasser der Schweizergeschichte und des Fürstenbundes im
Dienst desjenigen Hofes, den er bisher am leidenschaftlichsten bekämpft hatte.


I. S.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/245>, abgerufen am 22.12.2024.