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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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was hat es nicht gekostet, "in die Welt von den Cäsaren zu befreien. Als
dem Norden der Papst nicht mehr gefiel, so entzog er sich ihm. Wenn die
Päpste die Meinungen durch Aberglauben und Barbarei haben fesseln wollen,
so haben sie wider sich selbst gearbeitet, als sie die Freiheit empvrbrachten,
die Mutter aller Geistesentwicklung, In hundert Staaten allen freien Männern
und allen ihren Fürsten auf ewig die Augen zuzuhalten, so ein Plan mag
entworfen, aber nicht ausgeführt werden." -- Darum tritt er auf Seite der
Welsen, auf Seite Heinrich des Löwen. "Die Gesetze können sich nicht selber
helfen; Glück genug, wenn ein großer Fürst für sie interessirt ist, und wenn
mehre Fürsten vom zweiten Rang ihn bei der guten Sache unterstützen."
Doch war die Macht der Welsen beim Fall der Hohenstaufen zu gering, um
der Anarchie abzuwehren. "Dies wird vermieden, wenn ein Reichsfürst groß
genug ist, um wider den größten zu schirmen, und nicht so groß, daß ihm
das Reich gleichgiltig sein könne." Mit Begeisterung schildert er die moderne
Idee des europäischen Gleichgewichts. "Wie dem gewaltigsten so dein ge¬
ringsten Staat werden durch die Theilnehmung der zunächst interessirten und
ferner der übrigen Staaten seine Rechte gesichert. Berträge soll keiner unter
irgend einem Vorwand eigenmächtig verändern. In unbestimmten Fällen
wird nach allgemeinem Interesse entschieden. Am aufmerksamsten werden
die Schritte des Mächtigsten beobachtet; man darf ihm nicht erlauben, was
Geringern hingehen könnte; die kleinste Uebertretung von ihm wird allgemeine
Sache." -- Das europäische Gleichgewicht wird hauptsächlich durch die öst¬
reichische Universalmonarchie bedroht. Schon durch Karl 5. Man fand gegen
ihn das richtige Mittel der Union; aber diese säumte zu lange. "Die
Protestanten waren überzeugt, ihre Sache sei gut, sie sei die Sache Gottes.
Man führt eine gute Sache selten so klug und fleißig als eine böse; die
menschliche Trägheit überredet uns, was gut ist, gehe von selber: ein Irr¬
thum sowol wider die Schrift als wider die Ordnung der Natur." Den¬
selben Fehler beging die Union gegen Ferdinand 2.; und rücksichtsloser be¬
trat nach ihrem Fall die östreichische Monarchie den Weg des Despotismus.
Auch diesmal mußte Frankreich helfen wie gegen Karl 5.; schlimm genug,
aber es war nicht zu vermeiden. "Der westphälische Frieden*), den Umständen
der Zeit so angemessen, in seinem Geist so umfassend und systematisch, daß
er das erste Studium der Staatsmänner sein muß, befestigte die Gesetze der
Deutschen und die europäische Freiheit." Der Vollender dieses Staaten¬
systems war Wilhelm von England, der die Uebermacht Ludwigs 14.
brach. "Seither wird für das Gleichgewicht so entscheidend am Ganges wie



') Seinen Urheber Richelieu nennt er einen großen Mann wie der Alten einen.
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was hat es nicht gekostet, »in die Welt von den Cäsaren zu befreien. Als
dem Norden der Papst nicht mehr gefiel, so entzog er sich ihm. Wenn die
Päpste die Meinungen durch Aberglauben und Barbarei haben fesseln wollen,
so haben sie wider sich selbst gearbeitet, als sie die Freiheit empvrbrachten,
die Mutter aller Geistesentwicklung, In hundert Staaten allen freien Männern
und allen ihren Fürsten auf ewig die Augen zuzuhalten, so ein Plan mag
entworfen, aber nicht ausgeführt werden." — Darum tritt er auf Seite der
Welsen, auf Seite Heinrich des Löwen. „Die Gesetze können sich nicht selber
helfen; Glück genug, wenn ein großer Fürst für sie interessirt ist, und wenn
mehre Fürsten vom zweiten Rang ihn bei der guten Sache unterstützen."
Doch war die Macht der Welsen beim Fall der Hohenstaufen zu gering, um
der Anarchie abzuwehren. „Dies wird vermieden, wenn ein Reichsfürst groß
genug ist, um wider den größten zu schirmen, und nicht so groß, daß ihm
das Reich gleichgiltig sein könne." Mit Begeisterung schildert er die moderne
Idee des europäischen Gleichgewichts. „Wie dem gewaltigsten so dein ge¬
ringsten Staat werden durch die Theilnehmung der zunächst interessirten und
ferner der übrigen Staaten seine Rechte gesichert. Berträge soll keiner unter
irgend einem Vorwand eigenmächtig verändern. In unbestimmten Fällen
wird nach allgemeinem Interesse entschieden. Am aufmerksamsten werden
die Schritte des Mächtigsten beobachtet; man darf ihm nicht erlauben, was
Geringern hingehen könnte; die kleinste Uebertretung von ihm wird allgemeine
Sache." — Das europäische Gleichgewicht wird hauptsächlich durch die öst¬
reichische Universalmonarchie bedroht. Schon durch Karl 5. Man fand gegen
ihn das richtige Mittel der Union; aber diese säumte zu lange. „Die
Protestanten waren überzeugt, ihre Sache sei gut, sie sei die Sache Gottes.
Man führt eine gute Sache selten so klug und fleißig als eine böse; die
menschliche Trägheit überredet uns, was gut ist, gehe von selber: ein Irr¬
thum sowol wider die Schrift als wider die Ordnung der Natur." Den¬
selben Fehler beging die Union gegen Ferdinand 2.; und rücksichtsloser be¬
trat nach ihrem Fall die östreichische Monarchie den Weg des Despotismus.
Auch diesmal mußte Frankreich helfen wie gegen Karl 5.; schlimm genug,
aber es war nicht zu vermeiden. „Der westphälische Frieden*), den Umständen
der Zeit so angemessen, in seinem Geist so umfassend und systematisch, daß
er das erste Studium der Staatsmänner sein muß, befestigte die Gesetze der
Deutschen und die europäische Freiheit." Der Vollender dieses Staaten¬
systems war Wilhelm von England, der die Uebermacht Ludwigs 14.
brach. „Seither wird für das Gleichgewicht so entscheidend am Ganges wie



') Seinen Urheber Richelieu nennt er einen großen Mann wie der Alten einen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/235>, abgerufen am 22.12.2024.