Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wesentlichen, denn die Natur bringt niemals vollständig conseauente harmo¬
nische Bildungen hervor, der Künstler wird also allemal genöthigt sein, das¬
jenige, was dem Zwecke seines Kunstwerks widerspricht, auszuscheiden, d. l).
zu stilisiren, der Stil in der bildenden Kunst bedeutet nichts anderes, als
Weglassung des Zufälligen und Beschränkung auf das Wesentliche. Gewisse
äußere Bedingungen, z. B. das Anbequemen des Kunstwerks an die Architek¬
tur erfordern diese Operation des Ausscheidens in einem besonders hohen
Grade, weshalb der Ausdruck Stil sehr oft für monumentalen Stil allein
angewendet wird.

Um zu stilisiren, d. h. das unharmonische der Erscheinung, das der vor¬
gestellten Handlung oder Idee Widersprechende auszuscheiden, wird also ein
besonderes Studium der jeweiligen physiognomischen Bedeutung der Formen
und Farben nothwendig sem, welches Studium dem Idealisten, wie dem
Realisten ganz gemeinsam ist. Wird es unterlassen, beschränkt sich der Idea¬
list auf die Darstellung der ihm einmal geläufig gewordenen Formen mit
bloßer Beobachtung der organischen Gesetze überhaupt, so entsteht der falsche
Idealismus oder Manierismus. Begeht der Realist den Fehler, sich auf die
bloße Naturnachahmung, die sogenannte Modell- oder Prospectmalerei zu be¬
schränken, so sinkt er zum Naturalismus herab. Es ist für unsern Zweck
sehr nothwendig, diese Unterscheidungen festzuhalten, da besonders Realismus
und Naturalismus beständig verwechselt zu werden pflegen.

Diese verschiedenen Kunstrichtungen sind nun speciell in der Malerei sehr
selten in einem Individuum rein dargestellt zu treffen; die Farbe macht hier
die Sonderling doppelt schwer, weil sie eine Sprache für sich ist, ganz unab¬
hängig von der Form einen besondern Eindruck auf unser Gemüth macht.
Nichts ist gewöhnlicher als Bilder zu treffen die einen traurigen oder ernsten
Gegenstand darstellen, und deren Farbe einen heitern Eindruck macht und
umgekehrt noch häufiger. So treffen wir beständig Künstler und Kunst¬
werke, die in ihrer Zeichnung idealistisch, in der Färbung realistisch und um¬
gekehrt sind. Rubens und Rembrandt, Realisten in der Auffassung, Natura¬
listen in der Zeichnung, sind reine Idealisten in der Farbe, die Venetianer
meist ebenso, die Manieristen und Zopfmnler sind Idealisten in der Form,
aber realistisch und naturalistisch im Kolorit u. f. w. Am allergewöhnlichsten
ist. daß der Realist im einzelnen Kunstwerk oder der einzelnen Figur zum
Naturalisten, der Idealist zum Mameristcn herabsinkt. AIS Hauptträger des
Idealismus in der christlichen Kunstperiode kann man Michel Angelo und Co-
reggio betrachten, die beide fast immer nur ideale Gestalten bilden, während
Raphael und Leonardo umgekehrt fast immer nur von realen Anschauungen
ausgehen, und den Proceß der Idealisirung mit ihnen vornehmen. Dürer,
Titian, Rubens, Holbein und Munllo siud dagegen Realisten, die sich sehr


Wesentlichen, denn die Natur bringt niemals vollständig conseauente harmo¬
nische Bildungen hervor, der Künstler wird also allemal genöthigt sein, das¬
jenige, was dem Zwecke seines Kunstwerks widerspricht, auszuscheiden, d. l).
zu stilisiren, der Stil in der bildenden Kunst bedeutet nichts anderes, als
Weglassung des Zufälligen und Beschränkung auf das Wesentliche. Gewisse
äußere Bedingungen, z. B. das Anbequemen des Kunstwerks an die Architek¬
tur erfordern diese Operation des Ausscheidens in einem besonders hohen
Grade, weshalb der Ausdruck Stil sehr oft für monumentalen Stil allein
angewendet wird.

Um zu stilisiren, d. h. das unharmonische der Erscheinung, das der vor¬
gestellten Handlung oder Idee Widersprechende auszuscheiden, wird also ein
besonderes Studium der jeweiligen physiognomischen Bedeutung der Formen
und Farben nothwendig sem, welches Studium dem Idealisten, wie dem
Realisten ganz gemeinsam ist. Wird es unterlassen, beschränkt sich der Idea¬
list auf die Darstellung der ihm einmal geläufig gewordenen Formen mit
bloßer Beobachtung der organischen Gesetze überhaupt, so entsteht der falsche
Idealismus oder Manierismus. Begeht der Realist den Fehler, sich auf die
bloße Naturnachahmung, die sogenannte Modell- oder Prospectmalerei zu be¬
schränken, so sinkt er zum Naturalismus herab. Es ist für unsern Zweck
sehr nothwendig, diese Unterscheidungen festzuhalten, da besonders Realismus
und Naturalismus beständig verwechselt zu werden pflegen.

Diese verschiedenen Kunstrichtungen sind nun speciell in der Malerei sehr
selten in einem Individuum rein dargestellt zu treffen; die Farbe macht hier
die Sonderling doppelt schwer, weil sie eine Sprache für sich ist, ganz unab¬
hängig von der Form einen besondern Eindruck auf unser Gemüth macht.
Nichts ist gewöhnlicher als Bilder zu treffen die einen traurigen oder ernsten
Gegenstand darstellen, und deren Farbe einen heitern Eindruck macht und
umgekehrt noch häufiger. So treffen wir beständig Künstler und Kunst¬
werke, die in ihrer Zeichnung idealistisch, in der Färbung realistisch und um¬
gekehrt sind. Rubens und Rembrandt, Realisten in der Auffassung, Natura¬
listen in der Zeichnung, sind reine Idealisten in der Farbe, die Venetianer
meist ebenso, die Manieristen und Zopfmnler sind Idealisten in der Form,
aber realistisch und naturalistisch im Kolorit u. f. w. Am allergewöhnlichsten
ist. daß der Realist im einzelnen Kunstwerk oder der einzelnen Figur zum
Naturalisten, der Idealist zum Mameristcn herabsinkt. AIS Hauptträger des
Idealismus in der christlichen Kunstperiode kann man Michel Angelo und Co-
reggio betrachten, die beide fast immer nur ideale Gestalten bilden, während
Raphael und Leonardo umgekehrt fast immer nur von realen Anschauungen
ausgehen, und den Proceß der Idealisirung mit ihnen vornehmen. Dürer,
Titian, Rubens, Holbein und Munllo siud dagegen Realisten, die sich sehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186434"/>
          <p xml:id="ID_42" prev="#ID_41"> Wesentlichen, denn die Natur bringt niemals vollständig conseauente harmo¬<lb/>
nische Bildungen hervor, der Künstler wird also allemal genöthigt sein, das¬<lb/>
jenige, was dem Zwecke seines Kunstwerks widerspricht, auszuscheiden, d. l).<lb/>
zu stilisiren, der Stil in der bildenden Kunst bedeutet nichts anderes, als<lb/>
Weglassung des Zufälligen und Beschränkung auf das Wesentliche. Gewisse<lb/>
äußere Bedingungen, z. B. das Anbequemen des Kunstwerks an die Architek¬<lb/>
tur erfordern diese Operation des Ausscheidens in einem besonders hohen<lb/>
Grade, weshalb der Ausdruck Stil sehr oft für monumentalen Stil allein<lb/>
angewendet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43"> Um zu stilisiren, d. h. das unharmonische der Erscheinung, das der vor¬<lb/>
gestellten Handlung oder Idee Widersprechende auszuscheiden, wird also ein<lb/>
besonderes Studium der jeweiligen physiognomischen Bedeutung der Formen<lb/>
und Farben nothwendig sem, welches Studium dem Idealisten, wie dem<lb/>
Realisten ganz gemeinsam ist. Wird es unterlassen, beschränkt sich der Idea¬<lb/>
list auf die Darstellung der ihm einmal geläufig gewordenen Formen mit<lb/>
bloßer Beobachtung der organischen Gesetze überhaupt, so entsteht der falsche<lb/>
Idealismus oder Manierismus. Begeht der Realist den Fehler, sich auf die<lb/>
bloße Naturnachahmung, die sogenannte Modell- oder Prospectmalerei zu be¬<lb/>
schränken, so sinkt er zum Naturalismus herab. Es ist für unsern Zweck<lb/>
sehr nothwendig, diese Unterscheidungen festzuhalten, da besonders Realismus<lb/>
und Naturalismus beständig verwechselt zu werden pflegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44" next="#ID_45"> Diese verschiedenen Kunstrichtungen sind nun speciell in der Malerei sehr<lb/>
selten in einem Individuum rein dargestellt zu treffen; die Farbe macht hier<lb/>
die Sonderling doppelt schwer, weil sie eine Sprache für sich ist, ganz unab¬<lb/>
hängig von der Form einen besondern Eindruck auf unser Gemüth macht.<lb/>
Nichts ist gewöhnlicher als Bilder zu treffen die einen traurigen oder ernsten<lb/>
Gegenstand darstellen, und deren Farbe einen heitern Eindruck macht und<lb/>
umgekehrt noch häufiger. So treffen wir beständig Künstler und Kunst¬<lb/>
werke, die in ihrer Zeichnung idealistisch, in der Färbung realistisch und um¬<lb/>
gekehrt sind. Rubens und Rembrandt, Realisten in der Auffassung, Natura¬<lb/>
listen in der Zeichnung, sind reine Idealisten in der Farbe, die Venetianer<lb/>
meist ebenso, die Manieristen und Zopfmnler sind Idealisten in der Form,<lb/>
aber realistisch und naturalistisch im Kolorit u. f. w. Am allergewöhnlichsten<lb/>
ist. daß der Realist im einzelnen Kunstwerk oder der einzelnen Figur zum<lb/>
Naturalisten, der Idealist zum Mameristcn herabsinkt. AIS Hauptträger des<lb/>
Idealismus in der christlichen Kunstperiode kann man Michel Angelo und Co-<lb/>
reggio betrachten, die beide fast immer nur ideale Gestalten bilden, während<lb/>
Raphael und Leonardo umgekehrt fast immer nur von realen Anschauungen<lb/>
ausgehen, und den Proceß der Idealisirung mit ihnen vornehmen. Dürer,<lb/>
Titian, Rubens, Holbein und Munllo siud dagegen Realisten, die sich sehr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] Wesentlichen, denn die Natur bringt niemals vollständig conseauente harmo¬ nische Bildungen hervor, der Künstler wird also allemal genöthigt sein, das¬ jenige, was dem Zwecke seines Kunstwerks widerspricht, auszuscheiden, d. l). zu stilisiren, der Stil in der bildenden Kunst bedeutet nichts anderes, als Weglassung des Zufälligen und Beschränkung auf das Wesentliche. Gewisse äußere Bedingungen, z. B. das Anbequemen des Kunstwerks an die Architek¬ tur erfordern diese Operation des Ausscheidens in einem besonders hohen Grade, weshalb der Ausdruck Stil sehr oft für monumentalen Stil allein angewendet wird. Um zu stilisiren, d. h. das unharmonische der Erscheinung, das der vor¬ gestellten Handlung oder Idee Widersprechende auszuscheiden, wird also ein besonderes Studium der jeweiligen physiognomischen Bedeutung der Formen und Farben nothwendig sem, welches Studium dem Idealisten, wie dem Realisten ganz gemeinsam ist. Wird es unterlassen, beschränkt sich der Idea¬ list auf die Darstellung der ihm einmal geläufig gewordenen Formen mit bloßer Beobachtung der organischen Gesetze überhaupt, so entsteht der falsche Idealismus oder Manierismus. Begeht der Realist den Fehler, sich auf die bloße Naturnachahmung, die sogenannte Modell- oder Prospectmalerei zu be¬ schränken, so sinkt er zum Naturalismus herab. Es ist für unsern Zweck sehr nothwendig, diese Unterscheidungen festzuhalten, da besonders Realismus und Naturalismus beständig verwechselt zu werden pflegen. Diese verschiedenen Kunstrichtungen sind nun speciell in der Malerei sehr selten in einem Individuum rein dargestellt zu treffen; die Farbe macht hier die Sonderling doppelt schwer, weil sie eine Sprache für sich ist, ganz unab¬ hängig von der Form einen besondern Eindruck auf unser Gemüth macht. Nichts ist gewöhnlicher als Bilder zu treffen die einen traurigen oder ernsten Gegenstand darstellen, und deren Farbe einen heitern Eindruck macht und umgekehrt noch häufiger. So treffen wir beständig Künstler und Kunst¬ werke, die in ihrer Zeichnung idealistisch, in der Färbung realistisch und um¬ gekehrt sind. Rubens und Rembrandt, Realisten in der Auffassung, Natura¬ listen in der Zeichnung, sind reine Idealisten in der Farbe, die Venetianer meist ebenso, die Manieristen und Zopfmnler sind Idealisten in der Form, aber realistisch und naturalistisch im Kolorit u. f. w. Am allergewöhnlichsten ist. daß der Realist im einzelnen Kunstwerk oder der einzelnen Figur zum Naturalisten, der Idealist zum Mameristcn herabsinkt. AIS Hauptträger des Idealismus in der christlichen Kunstperiode kann man Michel Angelo und Co- reggio betrachten, die beide fast immer nur ideale Gestalten bilden, während Raphael und Leonardo umgekehrt fast immer nur von realen Anschauungen ausgehen, und den Proceß der Idealisirung mit ihnen vornehmen. Dürer, Titian, Rubens, Holbein und Munllo siud dagegen Realisten, die sich sehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/22>, abgerufen am 22.12.2024.