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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Pfand, Doch war er im vollen Rechte, als er bei England Klage erhob
über das verbrecherische Treiben der Verschwörer, jeder andere Regent hätte
ebenso handeln müssen, kein englischer Staatsmann von Urtheil konnte weder in
der Beschwerde noch selbst in der ungeschickten Form, in welcher sie vorgebracht
wurde, eine unberechtigte Anmaßung sehen; und sicher war die Empfindung bei
den Führern der Whigs wie bei den Tones'allgemein, daß ein Act der Gesetz¬
gebung wünschenswerth sei, um den einem werthvollen Verbündeten vielleicht
mangelnden gesetzlichen Schutz zu verstärken. So weit stand alles er¬
träglich, da verwinden wieder scheinbare Kleinigkeiten diese Angelegenheit.
Es gehört zum Prinzip des napoleonischen Staates die öffentliche Meinung
zu redigiren, und durch die Kunstmittel der Presse auf sie einzuwirken. Hätte
Napoleon nur als Kaiser zu England gesprochen, er hätte wahrscheinlich die
gewünschte Satisfaction erhalten. Er konnte sich aber nicht versagen, auch
mit der freien englischen Presse in einen Kampf zu treten, in dem er als ein¬
ziger Redacteur und einziger freier Journalist Frankreichs den Kürzern ziehen
mußte. Er empfand ein wenig zu stark den kühlen Trotz der Presse John
Bulls und machte, um ihr zu imponiren, endlich seine Obersten zu Journalisten.
Die loyalen Declamationen der bewaffneten Speichellecker des Kaiserthums
beunruhigten in England, das hatte der Kaiser gewollt; aber sie erbitterten
noch mehr, und in so fern hatte sich der Kaiser in ihrer Wirkung geirrt. Aber
die Unvorsichtigkeit seiner Helfer brachte noch größern Schaden. Der Stolz des
englischen Volles ward tödtlich verletzt, als der französische Polizeiapparat
über den Kanal wanderte und fremde Spione in den Straßen Londons,
von englischer Polizei unterstützt, nmberlungerten. Ein heftiger Widerwille
gegen Methode und Regiment des Kaisers ergriff das englische Bürgerthum
und eine leidenschaftliche Antipathie erhob sich plötzlich als irrationale Größe,
welche aller politischen Berechnung spottete, zwischen seinem ernsthaften
Bestreben, mit dem Staate England Freundschaft zu halten und dem ent¬
sprechenden Bestreben der englischen Politiker.

Die Freisprechung Bernards durch eine englische Jury ist unter Umstän¬
den erfolgt, welche für den Kaiser nicht beleidigender gedacht werden können.
Obgleich die Schuld des Gehilfen von Orsini durch die öffentlichen Ver¬
handlungen juristisch so sehr außer Zweifel gesetzt ist, wie irgend eine cruni-
nelle Thatsache sein kann, hat doch eine englische Jury den Inculpaten wegen
Mängeln im Beweise freigesprochen, nicht aber wegen etwaigen Mängeln in
der Gesetzgebung, welche seine Bestrafung unzulässig machten. Und was noch
schlimmer ist, die Nachricht von der Freisprechung eines Menschen, den alle
Welt für einen verabscheuungswürdigen Verbrecher halten sollte, ist von dem
Volke mit einem Jubel aufgenommen worden, wie ihn London nur selten
seit jenem Tage gesehen hat, an welchem die englische Kirche durch einen


Pfand, Doch war er im vollen Rechte, als er bei England Klage erhob
über das verbrecherische Treiben der Verschwörer, jeder andere Regent hätte
ebenso handeln müssen, kein englischer Staatsmann von Urtheil konnte weder in
der Beschwerde noch selbst in der ungeschickten Form, in welcher sie vorgebracht
wurde, eine unberechtigte Anmaßung sehen; und sicher war die Empfindung bei
den Führern der Whigs wie bei den Tones'allgemein, daß ein Act der Gesetz¬
gebung wünschenswerth sei, um den einem werthvollen Verbündeten vielleicht
mangelnden gesetzlichen Schutz zu verstärken. So weit stand alles er¬
träglich, da verwinden wieder scheinbare Kleinigkeiten diese Angelegenheit.
Es gehört zum Prinzip des napoleonischen Staates die öffentliche Meinung
zu redigiren, und durch die Kunstmittel der Presse auf sie einzuwirken. Hätte
Napoleon nur als Kaiser zu England gesprochen, er hätte wahrscheinlich die
gewünschte Satisfaction erhalten. Er konnte sich aber nicht versagen, auch
mit der freien englischen Presse in einen Kampf zu treten, in dem er als ein¬
ziger Redacteur und einziger freier Journalist Frankreichs den Kürzern ziehen
mußte. Er empfand ein wenig zu stark den kühlen Trotz der Presse John
Bulls und machte, um ihr zu imponiren, endlich seine Obersten zu Journalisten.
Die loyalen Declamationen der bewaffneten Speichellecker des Kaiserthums
beunruhigten in England, das hatte der Kaiser gewollt; aber sie erbitterten
noch mehr, und in so fern hatte sich der Kaiser in ihrer Wirkung geirrt. Aber
die Unvorsichtigkeit seiner Helfer brachte noch größern Schaden. Der Stolz des
englischen Volles ward tödtlich verletzt, als der französische Polizeiapparat
über den Kanal wanderte und fremde Spione in den Straßen Londons,
von englischer Polizei unterstützt, nmberlungerten. Ein heftiger Widerwille
gegen Methode und Regiment des Kaisers ergriff das englische Bürgerthum
und eine leidenschaftliche Antipathie erhob sich plötzlich als irrationale Größe,
welche aller politischen Berechnung spottete, zwischen seinem ernsthaften
Bestreben, mit dem Staate England Freundschaft zu halten und dem ent¬
sprechenden Bestreben der englischen Politiker.

Die Freisprechung Bernards durch eine englische Jury ist unter Umstän¬
den erfolgt, welche für den Kaiser nicht beleidigender gedacht werden können.
Obgleich die Schuld des Gehilfen von Orsini durch die öffentlichen Ver¬
handlungen juristisch so sehr außer Zweifel gesetzt ist, wie irgend eine cruni-
nelle Thatsache sein kann, hat doch eine englische Jury den Inculpaten wegen
Mängeln im Beweise freigesprochen, nicht aber wegen etwaigen Mängeln in
der Gesetzgebung, welche seine Bestrafung unzulässig machten. Und was noch
schlimmer ist, die Nachricht von der Freisprechung eines Menschen, den alle
Welt für einen verabscheuungswürdigen Verbrecher halten sollte, ist von dem
Volke mit einem Jubel aufgenommen worden, wie ihn London nur selten
seit jenem Tage gesehen hat, an welchem die englische Kirche durch einen


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[0207] Pfand, Doch war er im vollen Rechte, als er bei England Klage erhob über das verbrecherische Treiben der Verschwörer, jeder andere Regent hätte ebenso handeln müssen, kein englischer Staatsmann von Urtheil konnte weder in der Beschwerde noch selbst in der ungeschickten Form, in welcher sie vorgebracht wurde, eine unberechtigte Anmaßung sehen; und sicher war die Empfindung bei den Führern der Whigs wie bei den Tones'allgemein, daß ein Act der Gesetz¬ gebung wünschenswerth sei, um den einem werthvollen Verbündeten vielleicht mangelnden gesetzlichen Schutz zu verstärken. So weit stand alles er¬ träglich, da verwinden wieder scheinbare Kleinigkeiten diese Angelegenheit. Es gehört zum Prinzip des napoleonischen Staates die öffentliche Meinung zu redigiren, und durch die Kunstmittel der Presse auf sie einzuwirken. Hätte Napoleon nur als Kaiser zu England gesprochen, er hätte wahrscheinlich die gewünschte Satisfaction erhalten. Er konnte sich aber nicht versagen, auch mit der freien englischen Presse in einen Kampf zu treten, in dem er als ein¬ ziger Redacteur und einziger freier Journalist Frankreichs den Kürzern ziehen mußte. Er empfand ein wenig zu stark den kühlen Trotz der Presse John Bulls und machte, um ihr zu imponiren, endlich seine Obersten zu Journalisten. Die loyalen Declamationen der bewaffneten Speichellecker des Kaiserthums beunruhigten in England, das hatte der Kaiser gewollt; aber sie erbitterten noch mehr, und in so fern hatte sich der Kaiser in ihrer Wirkung geirrt. Aber die Unvorsichtigkeit seiner Helfer brachte noch größern Schaden. Der Stolz des englischen Volles ward tödtlich verletzt, als der französische Polizeiapparat über den Kanal wanderte und fremde Spione in den Straßen Londons, von englischer Polizei unterstützt, nmberlungerten. Ein heftiger Widerwille gegen Methode und Regiment des Kaisers ergriff das englische Bürgerthum und eine leidenschaftliche Antipathie erhob sich plötzlich als irrationale Größe, welche aller politischen Berechnung spottete, zwischen seinem ernsthaften Bestreben, mit dem Staate England Freundschaft zu halten und dem ent¬ sprechenden Bestreben der englischen Politiker. Die Freisprechung Bernards durch eine englische Jury ist unter Umstän¬ den erfolgt, welche für den Kaiser nicht beleidigender gedacht werden können. Obgleich die Schuld des Gehilfen von Orsini durch die öffentlichen Ver¬ handlungen juristisch so sehr außer Zweifel gesetzt ist, wie irgend eine cruni- nelle Thatsache sein kann, hat doch eine englische Jury den Inculpaten wegen Mängeln im Beweise freigesprochen, nicht aber wegen etwaigen Mängeln in der Gesetzgebung, welche seine Bestrafung unzulässig machten. Und was noch schlimmer ist, die Nachricht von der Freisprechung eines Menschen, den alle Welt für einen verabscheuungswürdigen Verbrecher halten sollte, ist von dem Volke mit einem Jubel aufgenommen worden, wie ihn London nur selten seit jenem Tage gesehen hat, an welchem die englische Kirche durch einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/207>, abgerufen am 22.12.2024.