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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Wir haben nicht Lust, die ganze Legion zu mustern; aber die Grundgedanken
auszuheben ist schon der Mühe werth. -- Zwei Gesichtspunkte machen sich
gegen den Sonntag geltend: der eine betrachtet den Sabbath als eine Ein¬
richtung von Menschen für Menschen, die also auch von Menschen wieder auf¬
gehoben werden kann. Dies ist weiter nichts, als eine Appellation an die Praxis,
und viel zu kühl, als daß es auf den Gang der Dinge großen Einfluß haben
könnte. Das Gros der Armee dagegen rückt mit soliderer Rüstung aus.
Mit gelehrter Gründlichkeit trennen sie den Sabbath vom Sonntag. Das
erste sei ein jüdischer, das zweite ein christlicher Tag. Das Christenthum
aber, fahren sie fort zu folgern, hat das Judenthum überflüssig gemacht und
aufgehoben; es hat den Sabbath d. h. den siebenten Tag verworfen und
den ersten Tag der Woche zur Anbetung Gottes auserwählt -- oiM ist auch
das Sabbathgesetz des Juden überflüssig und ungiltig geworden, und alle
seine Observanzen laufen den Pflichten eines Christen stricte entgegen. --
Das heißt in der That, den Gegner syllogistisch niederdonnern; aus den
Feuerschllmden seines eigenen Dogmatismus wird das Puritanerheer mit,
wir wollen nicht behaupten Kartätschen und niederschmetternder Eisenbällen,
wol aber mit dem mixvä picKIe seiner eigenen Erfindungen und Trugschlüsse
überschüttet. Es gibt kein köstlicheres Mittel, die Narrheit zum Schweigen
zu bringen, als sich selber ins Nnrrentleid zu stecken, ihren Gang, ihre Mienen,
Geberden, ich weiß nicht mit wie viel Wahrheit und gutem Glauben, an¬
zunehmen, und ihr als ihr eignes Spiegelbild entgegenzutreten, und so weit
geht die Siegesgewißheit dieser Dogmatiker des freien Geistes, daß ein
Herr L. I'. in allen Zeitungen inserirt: Hundert Pfund Sterling Belohnung
demjenigen, der mir beweist, daß der jüdische Sabbath für den Christen bin¬
dend ist. Der größte aller Haarerzeuger, der Erfinder des unsterblichen Lau
I.ub, ofsernt in ähnlicher Weise zehntausend Thaler demjenigen, "der mir be-
weist, daß mein Wasser keine Haare erzeugt."

So schließen wir mit der Industrie, was wir mit der Religion begonnen.
Es ist sern von uns, sagen zu wollen, daß bei den Meisten eines aufs andere
hinaulause. Nur bedenke jeder, daß jedes Ding auch eine lustige Seite hat.

Den Ernst der Sache dagegen, die große Thatsache, daß das Licht der
Wahrheit und Schönheit über dem hart arbeitenden und hart durcharbeiteten
Volke Englands aufzugehen, und daß damit die letzte Kette von dem Nacken
dieses Volkes zu fallen im Begriff ist -- diese Thatsache, die wenigstens das
protestantische Europa enger zusammenführen und die Scheidewand nationalen
Glaubensdünkels zwischen Deutschland und England einreihen wird -- be¬
grüßen wir mit aufrichtiger Freude und srischpulsirender Hoffnung.


London. H- A. W.


Menzbotc" II. 1356.21

Wir haben nicht Lust, die ganze Legion zu mustern; aber die Grundgedanken
auszuheben ist schon der Mühe werth. — Zwei Gesichtspunkte machen sich
gegen den Sonntag geltend: der eine betrachtet den Sabbath als eine Ein¬
richtung von Menschen für Menschen, die also auch von Menschen wieder auf¬
gehoben werden kann. Dies ist weiter nichts, als eine Appellation an die Praxis,
und viel zu kühl, als daß es auf den Gang der Dinge großen Einfluß haben
könnte. Das Gros der Armee dagegen rückt mit soliderer Rüstung aus.
Mit gelehrter Gründlichkeit trennen sie den Sabbath vom Sonntag. Das
erste sei ein jüdischer, das zweite ein christlicher Tag. Das Christenthum
aber, fahren sie fort zu folgern, hat das Judenthum überflüssig gemacht und
aufgehoben; es hat den Sabbath d. h. den siebenten Tag verworfen und
den ersten Tag der Woche zur Anbetung Gottes auserwählt — oiM ist auch
das Sabbathgesetz des Juden überflüssig und ungiltig geworden, und alle
seine Observanzen laufen den Pflichten eines Christen stricte entgegen. —
Das heißt in der That, den Gegner syllogistisch niederdonnern; aus den
Feuerschllmden seines eigenen Dogmatismus wird das Puritanerheer mit,
wir wollen nicht behaupten Kartätschen und niederschmetternder Eisenbällen,
wol aber mit dem mixvä picKIe seiner eigenen Erfindungen und Trugschlüsse
überschüttet. Es gibt kein köstlicheres Mittel, die Narrheit zum Schweigen
zu bringen, als sich selber ins Nnrrentleid zu stecken, ihren Gang, ihre Mienen,
Geberden, ich weiß nicht mit wie viel Wahrheit und gutem Glauben, an¬
zunehmen, und ihr als ihr eignes Spiegelbild entgegenzutreten, und so weit
geht die Siegesgewißheit dieser Dogmatiker des freien Geistes, daß ein
Herr L. I'. in allen Zeitungen inserirt: Hundert Pfund Sterling Belohnung
demjenigen, der mir beweist, daß der jüdische Sabbath für den Christen bin¬
dend ist. Der größte aller Haarerzeuger, der Erfinder des unsterblichen Lau
I.ub, ofsernt in ähnlicher Weise zehntausend Thaler demjenigen, „der mir be-
weist, daß mein Wasser keine Haare erzeugt."

So schließen wir mit der Industrie, was wir mit der Religion begonnen.
Es ist sern von uns, sagen zu wollen, daß bei den Meisten eines aufs andere
hinaulause. Nur bedenke jeder, daß jedes Ding auch eine lustige Seite hat.

Den Ernst der Sache dagegen, die große Thatsache, daß das Licht der
Wahrheit und Schönheit über dem hart arbeitenden und hart durcharbeiteten
Volke Englands aufzugehen, und daß damit die letzte Kette von dem Nacken
dieses Volkes zu fallen im Begriff ist — diese Thatsache, die wenigstens das
protestantische Europa enger zusammenführen und die Scheidewand nationalen
Glaubensdünkels zwischen Deutschland und England einreihen wird — be¬
grüßen wir mit aufrichtiger Freude und srischpulsirender Hoffnung.


London. H- A. W.


Menzbotc» II. 1356.21
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[0193] Wir haben nicht Lust, die ganze Legion zu mustern; aber die Grundgedanken auszuheben ist schon der Mühe werth. — Zwei Gesichtspunkte machen sich gegen den Sonntag geltend: der eine betrachtet den Sabbath als eine Ein¬ richtung von Menschen für Menschen, die also auch von Menschen wieder auf¬ gehoben werden kann. Dies ist weiter nichts, als eine Appellation an die Praxis, und viel zu kühl, als daß es auf den Gang der Dinge großen Einfluß haben könnte. Das Gros der Armee dagegen rückt mit soliderer Rüstung aus. Mit gelehrter Gründlichkeit trennen sie den Sabbath vom Sonntag. Das erste sei ein jüdischer, das zweite ein christlicher Tag. Das Christenthum aber, fahren sie fort zu folgern, hat das Judenthum überflüssig gemacht und aufgehoben; es hat den Sabbath d. h. den siebenten Tag verworfen und den ersten Tag der Woche zur Anbetung Gottes auserwählt — oiM ist auch das Sabbathgesetz des Juden überflüssig und ungiltig geworden, und alle seine Observanzen laufen den Pflichten eines Christen stricte entgegen. — Das heißt in der That, den Gegner syllogistisch niederdonnern; aus den Feuerschllmden seines eigenen Dogmatismus wird das Puritanerheer mit, wir wollen nicht behaupten Kartätschen und niederschmetternder Eisenbällen, wol aber mit dem mixvä picKIe seiner eigenen Erfindungen und Trugschlüsse überschüttet. Es gibt kein köstlicheres Mittel, die Narrheit zum Schweigen zu bringen, als sich selber ins Nnrrentleid zu stecken, ihren Gang, ihre Mienen, Geberden, ich weiß nicht mit wie viel Wahrheit und gutem Glauben, an¬ zunehmen, und ihr als ihr eignes Spiegelbild entgegenzutreten, und so weit geht die Siegesgewißheit dieser Dogmatiker des freien Geistes, daß ein Herr L. I'. in allen Zeitungen inserirt: Hundert Pfund Sterling Belohnung demjenigen, der mir beweist, daß der jüdische Sabbath für den Christen bin¬ dend ist. Der größte aller Haarerzeuger, der Erfinder des unsterblichen Lau I.ub, ofsernt in ähnlicher Weise zehntausend Thaler demjenigen, „der mir be- weist, daß mein Wasser keine Haare erzeugt." So schließen wir mit der Industrie, was wir mit der Religion begonnen. Es ist sern von uns, sagen zu wollen, daß bei den Meisten eines aufs andere hinaulause. Nur bedenke jeder, daß jedes Ding auch eine lustige Seite hat. Den Ernst der Sache dagegen, die große Thatsache, daß das Licht der Wahrheit und Schönheit über dem hart arbeitenden und hart durcharbeiteten Volke Englands aufzugehen, und daß damit die letzte Kette von dem Nacken dieses Volkes zu fallen im Begriff ist — diese Thatsache, die wenigstens das protestantische Europa enger zusammenführen und die Scheidewand nationalen Glaubensdünkels zwischen Deutschland und England einreihen wird — be¬ grüßen wir mit aufrichtiger Freude und srischpulsirender Hoffnung. London. H- A. W. Menzbotc» II. 1356.21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/193>, abgerufen am 21.12.2024.