Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Niemand soll am Sonntage reisen -- kochen und backen -- Speisen bereiten',
es ist Frauen verboten, am Sabbath oder Festtag ihr Kind zu küssen; küßt
aber ein Mann am Sonntag seine Frau oder umgekehrt, so soll der frevelnde
Theil dem Friedensrichter zur Bestrafung übergeben werden." Peru, in den
Versassungsacten von Pennsylvanien, verlangt "alle Unmäßigkeit, Fluchen,
Schwören, uusittliches Wesen, Vagabondiren. 'Musik und Schauspielwescn,
Bettelei und Diebstahl" zu meiden. Wem in aller Welt, sagen nun die Libe¬
ralen, fallen Solcherlei Verordnungen heutiges Tages anders als im Scherze
ein? Gesetze sollten nach den Zeiten zugeschnitten werden, nicht umgekehrt. Ob
es wirtlich ernstlich damit gemeint sei, daß England hinter dem gesammten
Europa zurückbleiben und sich an Aufklärung und echter Humanität von jedem
Lappländer überbieten lassen solle? Ob es nicht eine Blanc sei. daß ein Buch
wie Humboldts Kosmos auf ferne Jahrhunderte hinaus ein solches Beispiel
der Bigotterie aufbewahre, wie die Abbrechung einer Reihe mühsamer mag¬
netischer Beobachtungen, weil am Sonntage Arbeiten als nicht luvtul gelte?
Ob es nicht Zeit sei, durch einen schlagenden Act der Welt zu beweisen, daß
man über diese religiöse Pedanterie endlich hinausgekommen?

Die Antwort der Sabbatarier ist eine höchst bündige. Sie sind bereit,
zu Märtyrern ihres Glaubens zu werden. Mag man sie verfolgen, sie an
das Kreuz des Hohnes schlagen, ihnen die Dornenkrone des Spottes auf¬
setzen und die Lanze der Satire in die Seite stoßen. Aber sie wollen nicht
von der Fahne weichen. Und wenn in weniger entscheidenden Zeitläufen
Zugeständnisse gemacht worden sind, so sollen diese nun zurückgenommen
werden. So drohen sie u. a. den Sonntagsverkehr ganz zu hemmen. Kein
Boot, kein Train, kein Omnibus solle länger die sonntägliche Ruhe unter¬
brechen und das Volk zu unheiligen, leichtsinnigen Lustpartien verleiten.
Ein Geistlicher bricht in die Worte aus: "Und wer sind diese'Sonntngs-
ercursionisten? Die schmuzigsten, dümmsten, trägsten, ärmsten Glieder des
M'beiterstandcs. So die Mehrzahl, und wenn die bessere Minderzahl solche
Gesellschaft liebt, so möge sie bedenken, daß die Gemeinschaft der Thoren
soll vertilgt werden." Das ist die Sprache eines londoner Jndepcdenten-
predigers. Ein Geistlicher in der Provinz weigert sich, Sonntags Trauungen
vorzunehmen, weil das Heirathen -- eine Art weltlicher Belustigung sei. Er
läßt sich vor den Richter führen und erklärt, das sei nicht blos seine, son¬
dern vieler Collegen Schluß -- mit diesen Mitteln suchen die Sabbatarier
das rollende Rad der Bewegung zu hemmen.

Während dessen haben die Liberalen das schwere Geschütz ihrer Gelehr¬
samkeit und Sullogistik aufrücke" lassen. Ein Heer von Predigten und
Pamphlets recrutirt sich in kurzer Zeit, als dessen Flügelleute zwei starke zwei¬
bändige Werke über die innere und äußere Geschichte des Sonntags signiren.


„Niemand soll am Sonntage reisen — kochen und backen — Speisen bereiten',
es ist Frauen verboten, am Sabbath oder Festtag ihr Kind zu küssen; küßt
aber ein Mann am Sonntag seine Frau oder umgekehrt, so soll der frevelnde
Theil dem Friedensrichter zur Bestrafung übergeben werden." Peru, in den
Versassungsacten von Pennsylvanien, verlangt „alle Unmäßigkeit, Fluchen,
Schwören, uusittliches Wesen, Vagabondiren. 'Musik und Schauspielwescn,
Bettelei und Diebstahl" zu meiden. Wem in aller Welt, sagen nun die Libe¬
ralen, fallen Solcherlei Verordnungen heutiges Tages anders als im Scherze
ein? Gesetze sollten nach den Zeiten zugeschnitten werden, nicht umgekehrt. Ob
es wirtlich ernstlich damit gemeint sei, daß England hinter dem gesammten
Europa zurückbleiben und sich an Aufklärung und echter Humanität von jedem
Lappländer überbieten lassen solle? Ob es nicht eine Blanc sei. daß ein Buch
wie Humboldts Kosmos auf ferne Jahrhunderte hinaus ein solches Beispiel
der Bigotterie aufbewahre, wie die Abbrechung einer Reihe mühsamer mag¬
netischer Beobachtungen, weil am Sonntage Arbeiten als nicht luvtul gelte?
Ob es nicht Zeit sei, durch einen schlagenden Act der Welt zu beweisen, daß
man über diese religiöse Pedanterie endlich hinausgekommen?

Die Antwort der Sabbatarier ist eine höchst bündige. Sie sind bereit,
zu Märtyrern ihres Glaubens zu werden. Mag man sie verfolgen, sie an
das Kreuz des Hohnes schlagen, ihnen die Dornenkrone des Spottes auf¬
setzen und die Lanze der Satire in die Seite stoßen. Aber sie wollen nicht
von der Fahne weichen. Und wenn in weniger entscheidenden Zeitläufen
Zugeständnisse gemacht worden sind, so sollen diese nun zurückgenommen
werden. So drohen sie u. a. den Sonntagsverkehr ganz zu hemmen. Kein
Boot, kein Train, kein Omnibus solle länger die sonntägliche Ruhe unter¬
brechen und das Volk zu unheiligen, leichtsinnigen Lustpartien verleiten.
Ein Geistlicher bricht in die Worte aus: „Und wer sind diese'Sonntngs-
ercursionisten? Die schmuzigsten, dümmsten, trägsten, ärmsten Glieder des
M'beiterstandcs. So die Mehrzahl, und wenn die bessere Minderzahl solche
Gesellschaft liebt, so möge sie bedenken, daß die Gemeinschaft der Thoren
soll vertilgt werden." Das ist die Sprache eines londoner Jndepcdenten-
predigers. Ein Geistlicher in der Provinz weigert sich, Sonntags Trauungen
vorzunehmen, weil das Heirathen — eine Art weltlicher Belustigung sei. Er
läßt sich vor den Richter führen und erklärt, das sei nicht blos seine, son¬
dern vieler Collegen Schluß — mit diesen Mitteln suchen die Sabbatarier
das rollende Rad der Bewegung zu hemmen.

Während dessen haben die Liberalen das schwere Geschütz ihrer Gelehr¬
samkeit und Sullogistik aufrücke» lassen. Ein Heer von Predigten und
Pamphlets recrutirt sich in kurzer Zeit, als dessen Flügelleute zwei starke zwei¬
bändige Werke über die innere und äußere Geschichte des Sonntags signiren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186604"/>
          <p xml:id="ID_438" prev="#ID_437"> &#x201E;Niemand soll am Sonntage reisen &#x2014; kochen und backen &#x2014; Speisen bereiten',<lb/>
es ist Frauen verboten, am Sabbath oder Festtag ihr Kind zu küssen; küßt<lb/>
aber ein Mann am Sonntag seine Frau oder umgekehrt, so soll der frevelnde<lb/>
Theil dem Friedensrichter zur Bestrafung übergeben werden." Peru, in den<lb/>
Versassungsacten von Pennsylvanien, verlangt &#x201E;alle Unmäßigkeit, Fluchen,<lb/>
Schwören, uusittliches Wesen, Vagabondiren. 'Musik und Schauspielwescn,<lb/>
Bettelei und Diebstahl" zu meiden. Wem in aller Welt, sagen nun die Libe¬<lb/>
ralen, fallen Solcherlei Verordnungen heutiges Tages anders als im Scherze<lb/>
ein? Gesetze sollten nach den Zeiten zugeschnitten werden, nicht umgekehrt. Ob<lb/>
es wirtlich ernstlich damit gemeint sei, daß England hinter dem gesammten<lb/>
Europa zurückbleiben und sich an Aufklärung und echter Humanität von jedem<lb/>
Lappländer überbieten lassen solle? Ob es nicht eine Blanc sei. daß ein Buch<lb/>
wie Humboldts Kosmos auf ferne Jahrhunderte hinaus ein solches Beispiel<lb/>
der Bigotterie aufbewahre, wie die Abbrechung einer Reihe mühsamer mag¬<lb/>
netischer Beobachtungen, weil am Sonntage Arbeiten als nicht luvtul gelte?<lb/>
Ob es nicht Zeit sei, durch einen schlagenden Act der Welt zu beweisen, daß<lb/>
man über diese religiöse Pedanterie endlich hinausgekommen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_439"> Die Antwort der Sabbatarier ist eine höchst bündige. Sie sind bereit,<lb/>
zu Märtyrern ihres Glaubens zu werden. Mag man sie verfolgen, sie an<lb/>
das Kreuz des Hohnes schlagen, ihnen die Dornenkrone des Spottes auf¬<lb/>
setzen und die Lanze der Satire in die Seite stoßen. Aber sie wollen nicht<lb/>
von der Fahne weichen. Und wenn in weniger entscheidenden Zeitläufen<lb/>
Zugeständnisse gemacht worden sind, so sollen diese nun zurückgenommen<lb/>
werden. So drohen sie u. a. den Sonntagsverkehr ganz zu hemmen. Kein<lb/>
Boot, kein Train, kein Omnibus solle länger die sonntägliche Ruhe unter¬<lb/>
brechen und das Volk zu unheiligen, leichtsinnigen Lustpartien verleiten.<lb/>
Ein Geistlicher bricht in die Worte aus: &#x201E;Und wer sind diese'Sonntngs-<lb/>
ercursionisten? Die schmuzigsten, dümmsten, trägsten, ärmsten Glieder des<lb/>
M'beiterstandcs. So die Mehrzahl, und wenn die bessere Minderzahl solche<lb/>
Gesellschaft liebt, so möge sie bedenken, daß die Gemeinschaft der Thoren<lb/>
soll vertilgt werden." Das ist die Sprache eines londoner Jndepcdenten-<lb/>
predigers. Ein Geistlicher in der Provinz weigert sich, Sonntags Trauungen<lb/>
vorzunehmen, weil das Heirathen &#x2014; eine Art weltlicher Belustigung sei. Er<lb/>
läßt sich vor den Richter führen und erklärt, das sei nicht blos seine, son¬<lb/>
dern vieler Collegen Schluß &#x2014; mit diesen Mitteln suchen die Sabbatarier<lb/>
das rollende Rad der Bewegung zu hemmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440" next="#ID_441"> Während dessen haben die Liberalen das schwere Geschütz ihrer Gelehr¬<lb/>
samkeit und Sullogistik aufrücke» lassen. Ein Heer von Predigten und<lb/>
Pamphlets recrutirt sich in kurzer Zeit, als dessen Flügelleute zwei starke zwei¬<lb/>
bändige Werke über die innere und äußere Geschichte des Sonntags signiren.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] „Niemand soll am Sonntage reisen — kochen und backen — Speisen bereiten', es ist Frauen verboten, am Sabbath oder Festtag ihr Kind zu küssen; küßt aber ein Mann am Sonntag seine Frau oder umgekehrt, so soll der frevelnde Theil dem Friedensrichter zur Bestrafung übergeben werden." Peru, in den Versassungsacten von Pennsylvanien, verlangt „alle Unmäßigkeit, Fluchen, Schwören, uusittliches Wesen, Vagabondiren. 'Musik und Schauspielwescn, Bettelei und Diebstahl" zu meiden. Wem in aller Welt, sagen nun die Libe¬ ralen, fallen Solcherlei Verordnungen heutiges Tages anders als im Scherze ein? Gesetze sollten nach den Zeiten zugeschnitten werden, nicht umgekehrt. Ob es wirtlich ernstlich damit gemeint sei, daß England hinter dem gesammten Europa zurückbleiben und sich an Aufklärung und echter Humanität von jedem Lappländer überbieten lassen solle? Ob es nicht eine Blanc sei. daß ein Buch wie Humboldts Kosmos auf ferne Jahrhunderte hinaus ein solches Beispiel der Bigotterie aufbewahre, wie die Abbrechung einer Reihe mühsamer mag¬ netischer Beobachtungen, weil am Sonntage Arbeiten als nicht luvtul gelte? Ob es nicht Zeit sei, durch einen schlagenden Act der Welt zu beweisen, daß man über diese religiöse Pedanterie endlich hinausgekommen? Die Antwort der Sabbatarier ist eine höchst bündige. Sie sind bereit, zu Märtyrern ihres Glaubens zu werden. Mag man sie verfolgen, sie an das Kreuz des Hohnes schlagen, ihnen die Dornenkrone des Spottes auf¬ setzen und die Lanze der Satire in die Seite stoßen. Aber sie wollen nicht von der Fahne weichen. Und wenn in weniger entscheidenden Zeitläufen Zugeständnisse gemacht worden sind, so sollen diese nun zurückgenommen werden. So drohen sie u. a. den Sonntagsverkehr ganz zu hemmen. Kein Boot, kein Train, kein Omnibus solle länger die sonntägliche Ruhe unter¬ brechen und das Volk zu unheiligen, leichtsinnigen Lustpartien verleiten. Ein Geistlicher bricht in die Worte aus: „Und wer sind diese'Sonntngs- ercursionisten? Die schmuzigsten, dümmsten, trägsten, ärmsten Glieder des M'beiterstandcs. So die Mehrzahl, und wenn die bessere Minderzahl solche Gesellschaft liebt, so möge sie bedenken, daß die Gemeinschaft der Thoren soll vertilgt werden." Das ist die Sprache eines londoner Jndepcdenten- predigers. Ein Geistlicher in der Provinz weigert sich, Sonntags Trauungen vorzunehmen, weil das Heirathen — eine Art weltlicher Belustigung sei. Er läßt sich vor den Richter führen und erklärt, das sei nicht blos seine, son¬ dern vieler Collegen Schluß — mit diesen Mitteln suchen die Sabbatarier das rollende Rad der Bewegung zu hemmen. Während dessen haben die Liberalen das schwere Geschütz ihrer Gelehr¬ samkeit und Sullogistik aufrücke» lassen. Ein Heer von Predigten und Pamphlets recrutirt sich in kurzer Zeit, als dessen Flügelleute zwei starke zwei¬ bändige Werke über die innere und äußere Geschichte des Sonntags signiren.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/192>, abgerufen am 21.12.2024.