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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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ner hatten zu Gericht gesessen und wagten schließlich nicht, ihre eigene Sen¬
tenz zu vollziehen; so erfuhr ihre Sache (und zum Theil noch sie selbst) die
Niederlage, deren eine halbe und ohne aufopfernde Hingebung vertretene
Wahrheit immer gewiß ist. Der Unitarismus hat den Muth der Consequenz
besessen und das Dogma abgeschüttelt. In wachsender Kraft hat er seinen
Weg von Westen nach Osten gemacht, übers atlantische Meer, und wird die¬
sen Laus, fortsetzen, bis er alle Ueberreste des negativen und positiven Pnpis-
mus, alle Machtworte Asiens, alle Phantasmagorien Afrikas aus dem Prote¬
stantismus verdrängt hat. -- Dies ist der eine Verbündete der Vorfechter pro¬
testantischer Geistesfreiheit. Allein es wäre Unrecht, überhaupt eine ganze
Partei oder gar Nation der Unklarheit und Gedankenlosigkeit in religiösen
und moralischen Dingen zu beschuldigen. In allen Zeiten und Umstünden
wird es geschehen, daß die Menge eine mehr oder weniger passive Rolle
spielt, und in ihren wichtigsten Angelegenheiten andre für sich denken läßt.
Dagegen werden auch zu allen Zeiten sich unter der Menge eine Anzahl
stiller, redlicher Denker finden, die im allgemeinen Lärmen ihren eignen Weg
behaupten, und sich aus eigne Hand den Weg zum Lichte tasten. Nir¬
gend ist dies mehr der Fall als in England. Manches kommt dabei dem
gemeinen Manne zu Statten: die allgemeine Oeffentlichkeit. sein Interesse
am Staat und Regiment, seine Beschäftigung mit politischer Lectüre. die
Menge und Zugänglichkeit der Versammlungsorte aller möglichen Sekten, der
populäre Ton der englischen Literatur, der Eindruck eines weitgreifenden Welt¬
verkehrs und dessen mannigfache Belehrungen, das Nationalgefühl. das auch
dem Gefühle des persönlichen Werthes Nahrung zuführt, der prüfende, lang¬
same, erwägende, nie rastende, nichts halbthuende Geist der germanischen
Race. So hatte sich, lange vor und unabhängig von Sir Walmsleys Motion,
inmitten der Arbeiterklasse ein Verein von Männern gebildet, welche es sich
zur Ausgabe stellten, dem Sonntage ein heiteres Lebenselement einzuflößen.
Die Theorie der Weisen war unter den Einfältigen schon längst zur That ge¬
worden. Dieser Arbeiterverein stellte sich, sofort nachdem die Sonntagsfrage
im Parlamente aufgetreten war, unter Sir Walmsleys Patronat. Die M-
tiomU gunclg./ I^virgu" ward jetzt ein Mittelpunkt, welchem Elemente aller
Art zuflogen; und schon im Monat März standen über hundert der angesehensten
Namen des Landes in den Listen derselben. Sammlungen wurden veranstaltet,
ein Bürenu errichtet, Zweigvereine organisirt, durch Agenten in verschiedenen
Städten die Sache zur Sprache gebracht, selbst ein literarisches Organ, in
Gestalt regelmäßiger Monatsberichte ausgegeben. Und so thätig war die
kleine Schar, daß sie schon im September über zweitausend Köpfe zählte. Und
so wurde die Sonntagsfreiheit das Losungswort einer regsamen, opferbereiten


ner hatten zu Gericht gesessen und wagten schließlich nicht, ihre eigene Sen¬
tenz zu vollziehen; so erfuhr ihre Sache (und zum Theil noch sie selbst) die
Niederlage, deren eine halbe und ohne aufopfernde Hingebung vertretene
Wahrheit immer gewiß ist. Der Unitarismus hat den Muth der Consequenz
besessen und das Dogma abgeschüttelt. In wachsender Kraft hat er seinen
Weg von Westen nach Osten gemacht, übers atlantische Meer, und wird die¬
sen Laus, fortsetzen, bis er alle Ueberreste des negativen und positiven Pnpis-
mus, alle Machtworte Asiens, alle Phantasmagorien Afrikas aus dem Prote¬
stantismus verdrängt hat. — Dies ist der eine Verbündete der Vorfechter pro¬
testantischer Geistesfreiheit. Allein es wäre Unrecht, überhaupt eine ganze
Partei oder gar Nation der Unklarheit und Gedankenlosigkeit in religiösen
und moralischen Dingen zu beschuldigen. In allen Zeiten und Umstünden
wird es geschehen, daß die Menge eine mehr oder weniger passive Rolle
spielt, und in ihren wichtigsten Angelegenheiten andre für sich denken läßt.
Dagegen werden auch zu allen Zeiten sich unter der Menge eine Anzahl
stiller, redlicher Denker finden, die im allgemeinen Lärmen ihren eignen Weg
behaupten, und sich aus eigne Hand den Weg zum Lichte tasten. Nir¬
gend ist dies mehr der Fall als in England. Manches kommt dabei dem
gemeinen Manne zu Statten: die allgemeine Oeffentlichkeit. sein Interesse
am Staat und Regiment, seine Beschäftigung mit politischer Lectüre. die
Menge und Zugänglichkeit der Versammlungsorte aller möglichen Sekten, der
populäre Ton der englischen Literatur, der Eindruck eines weitgreifenden Welt¬
verkehrs und dessen mannigfache Belehrungen, das Nationalgefühl. das auch
dem Gefühle des persönlichen Werthes Nahrung zuführt, der prüfende, lang¬
same, erwägende, nie rastende, nichts halbthuende Geist der germanischen
Race. So hatte sich, lange vor und unabhängig von Sir Walmsleys Motion,
inmitten der Arbeiterklasse ein Verein von Männern gebildet, welche es sich
zur Ausgabe stellten, dem Sonntage ein heiteres Lebenselement einzuflößen.
Die Theorie der Weisen war unter den Einfältigen schon längst zur That ge¬
worden. Dieser Arbeiterverein stellte sich, sofort nachdem die Sonntagsfrage
im Parlamente aufgetreten war, unter Sir Walmsleys Patronat. Die M-
tiomU gunclg./ I^virgu« ward jetzt ein Mittelpunkt, welchem Elemente aller
Art zuflogen; und schon im Monat März standen über hundert der angesehensten
Namen des Landes in den Listen derselben. Sammlungen wurden veranstaltet,
ein Bürenu errichtet, Zweigvereine organisirt, durch Agenten in verschiedenen
Städten die Sache zur Sprache gebracht, selbst ein literarisches Organ, in
Gestalt regelmäßiger Monatsberichte ausgegeben. Und so thätig war die
kleine Schar, daß sie schon im September über zweitausend Köpfe zählte. Und
so wurde die Sonntagsfreiheit das Losungswort einer regsamen, opferbereiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/186>, abgerufen am 21.12.2024.