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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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für unvermeidliche Wiederholungen bekannter Verhältnisse Nachsicht beanspruchen,
die man uns um so weniger versagen wird, als wir als Entschädigung einige
Thatsachen beizubringen gedenken, welche geeignet sind, die Frage in ein neues
Licht zu stellen.

Die englische Nation theilt sich gegenwärtig in vier Stufen der religiösen
Ueberzeugung.

Erste Stufe: Die Aufgeklärten -- Leute, welche sich um keine Spekulation
kümmern, außer die kaufmännische, im Erwerben, Erhalten und Vermehrer
eines soliden, mathematisch meßbaren Besijzthums den Zweck und etwa in
abgemessenem Genuß desselben die Verschönerung des Lebens erblicken, an der
Politik so viel Antheil nehmen, als der Staat ihnen die Garantie ihrer Hoff¬
nungen und Pläne bildet; im Uebrigen alles Höchste, Größte. Erhabenste von
den Entdeckungen der Chemie und Mechanik, von Aluminium und Dampf
erwarten. Diese! sind natürlich auchj' sür jede Frage des sittlichen Lebens
indifferent, alles, was nicht rein "praktisch" ist, sehen sie nur mit den
Augen der Neugier an. Die Sonntagsfrage betrachten sie als ein curiöses
Experiment, dem man zusieht, wie der weise Salomo durchs Gitter seines
Fensters unter die albernen Unbeschäftigten sah.

Zweite Stufe: Die Hochkirche. Diese stattliche Maschine ist viel zu be¬
rühmt, als daß man eine lange Schilderung davon zu geben brauchte. Ge¬
wiß ist. das die Reformation Heinrichs VIII. noch auf demselben Flecke steht,
wo der despotische Reformator, der abtrünnige Vertheidiger des römischen
Glaubens sie hingestellt. Die von ihm reorganisirte Hierarchie theilt natürlich
das Gelüst aller ihrer Schwesterschaften: bei Gelegenheit die losen Zügel
wieder straffer zu ziehen. Es ist aber nur eine dürftige Reminiscenz, wenn
der anglikanische Klerus sich alljährlich zur Eröffnung des Parlamentes im
Palaste des Erzbischofs versammelt, um damit sein Dasein als Gesammtheit
zu beurkunden, und wer weiß, welche alte Rechte zu resermren, die ihm
einen lüngstverlornen Einfluß auf die Beschlüsse des Parlamentes gestatteten.
Wenn das Haupt der Kirche die Frage stellt, ob man dem Parlamente etwas
vorzulegen habe, so ist es schon hergebracht, daß ein allgemeines Stillschweigen
antwortet, worauf die Versammlung ebenso erbaut sich auflöst, als sie zu¬
sammengetreten. Der Klerus hat keine directe politische Macht. Er ist glän¬
zend ausgestattet und hat also keinen positiven Grund zum Kampf. Er
enthält eine^ große Anzahl höchst gelehrter, literarischer Persönlichkeiten, welche,
wenn nicht gegen ihren Stand, doch auch nicht leicht wider ihre per¬
sönliche Reputation aufstehen werden. Ja nicht einmal eine Herausforderung
wird ihm zu Theil, da man ihn allgemein für antiquirt ansieht. Die Hoch¬
kirche steht wenn nicht über doch außer den Parteien. Ihre Ansprüche sind
ein Gewohnheitsrecht. Sie selber stellt den Protestantismus der Gewohnheit,


für unvermeidliche Wiederholungen bekannter Verhältnisse Nachsicht beanspruchen,
die man uns um so weniger versagen wird, als wir als Entschädigung einige
Thatsachen beizubringen gedenken, welche geeignet sind, die Frage in ein neues
Licht zu stellen.

Die englische Nation theilt sich gegenwärtig in vier Stufen der religiösen
Ueberzeugung.

Erste Stufe: Die Aufgeklärten — Leute, welche sich um keine Spekulation
kümmern, außer die kaufmännische, im Erwerben, Erhalten und Vermehrer
eines soliden, mathematisch meßbaren Besijzthums den Zweck und etwa in
abgemessenem Genuß desselben die Verschönerung des Lebens erblicken, an der
Politik so viel Antheil nehmen, als der Staat ihnen die Garantie ihrer Hoff¬
nungen und Pläne bildet; im Uebrigen alles Höchste, Größte. Erhabenste von
den Entdeckungen der Chemie und Mechanik, von Aluminium und Dampf
erwarten. Diese! sind natürlich auchj' sür jede Frage des sittlichen Lebens
indifferent, alles, was nicht rein „praktisch" ist, sehen sie nur mit den
Augen der Neugier an. Die Sonntagsfrage betrachten sie als ein curiöses
Experiment, dem man zusieht, wie der weise Salomo durchs Gitter seines
Fensters unter die albernen Unbeschäftigten sah.

Zweite Stufe: Die Hochkirche. Diese stattliche Maschine ist viel zu be¬
rühmt, als daß man eine lange Schilderung davon zu geben brauchte. Ge¬
wiß ist. das die Reformation Heinrichs VIII. noch auf demselben Flecke steht,
wo der despotische Reformator, der abtrünnige Vertheidiger des römischen
Glaubens sie hingestellt. Die von ihm reorganisirte Hierarchie theilt natürlich
das Gelüst aller ihrer Schwesterschaften: bei Gelegenheit die losen Zügel
wieder straffer zu ziehen. Es ist aber nur eine dürftige Reminiscenz, wenn
der anglikanische Klerus sich alljährlich zur Eröffnung des Parlamentes im
Palaste des Erzbischofs versammelt, um damit sein Dasein als Gesammtheit
zu beurkunden, und wer weiß, welche alte Rechte zu resermren, die ihm
einen lüngstverlornen Einfluß auf die Beschlüsse des Parlamentes gestatteten.
Wenn das Haupt der Kirche die Frage stellt, ob man dem Parlamente etwas
vorzulegen habe, so ist es schon hergebracht, daß ein allgemeines Stillschweigen
antwortet, worauf die Versammlung ebenso erbaut sich auflöst, als sie zu¬
sammengetreten. Der Klerus hat keine directe politische Macht. Er ist glän¬
zend ausgestattet und hat also keinen positiven Grund zum Kampf. Er
enthält eine^ große Anzahl höchst gelehrter, literarischer Persönlichkeiten, welche,
wenn nicht gegen ihren Stand, doch auch nicht leicht wider ihre per¬
sönliche Reputation aufstehen werden. Ja nicht einmal eine Herausforderung
wird ihm zu Theil, da man ihn allgemein für antiquirt ansieht. Die Hoch¬
kirche steht wenn nicht über doch außer den Parteien. Ihre Ansprüche sind
ein Gewohnheitsrecht. Sie selber stellt den Protestantismus der Gewohnheit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/180>, abgerufen am 21.12.2024.