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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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der Person. Hier gibt es längst keinen Adel nichr und was noch von dem
frühern Landadel übrig ist, macht keinen Gebrauch davon. In den Städten
spricht man eine Person nicht mit dem Amtstitel, sondern einfach bei ihrem
bürgerlichen Namen an und von der Titelsucht und dem Titelstolz des übrigen
Deutschlands wußte mau in der Pfalz bis in die neuere Zeit nichts. (Nach
und nach scheint sich das zu ändern.) Selbst der Unterschied zwischen Bürger
und Bauer besteht nicht mehr in einem Lande, wo jeder Bauer als Bürger
sich fühlt und als solcher angesehen wird. Es existiren keine städtischen Bor-
rechte mehr, in der Pfalz gibt es ebeu nur "Gemeinden", und ohnedies
können sich ja die meisten Dörfer der Einwohnerzahl, dem Reichthum und dem
äußern Ansehen nach neben die pfälzischen Städtchen stellen. -- Wenn man
schließen wollte, der Beamtenstand sei hier nicht geachtet, so würde man weit
fehlschießen, im Gegentheil gibt der Pfälzer gern Ehre, dem Ehre gebührt,
aber eben nie in grober Unterwürfigkeit. Im Ganzen wäre zu wünschen,
daß Baiern und Pfalz einmal einsahen, daß keines durch das andere etwas
verliere und hüben wie drüben tüchtige der Achtung werthe Menschen wohnen.

Wenn irgendwo, so concentrirt sich in Neustadt an der Haardt pfälzisches
Wesen. Wenn der Pfälzer das Prototyp für die westdeutschen und
rheinischen Bevölkerungen, der Haardtbewohner wieder für die Pfälzer selbst
und der Neustädter für die Leute an der Haardt liefert, so potenzirt und con-
centrirt sich im Neustädter eine Lebhaftigkeit des Charakters, die dem übrigen
Deutschland völlig fremd ist. Das drückt sich schon in seiner Weise zu reden
aus und nirgend sind so viele drastische Nedefigmen im Schwung als in der
Pfalz und vor allem in Neustadt. Dabei nimmt er es mit Flüchen und Be>
theuningen nicht so genau und "krieg die Kreml!" und "der Teufel soll mich
holen" fährt bei jedem Satze ohne Anlaß heraus. Gar häufig ist ein freudiges:
"Jetzt soll dich das Duuuerwettcr--bist du do!" der freundlichste Gruß beim
Zusammentreffen von Bekannten, die sich Jahre lang nicht gesehen. Eine
derbe, aber immerhin noch gemüthliche Ungeniertheit, ein Hang zu Satire
und zum "Utz" ist ziemlich allgemein. Besonders aber wird den Fremden die
Masse von ironisch gemeinten Sätzen und Ausdrücken im ganz gewöhnlichen
Leben überraschen, wo der Pfälzer stets grade das Gegentheil von dem sagen
will, was er dem Wortlaute nach sagt, was in der Betonung der Wörter
liegt. Das "El jo!", will dann "El nein!" heißen. Solcher ironisch ge¬
meinten Sätze mischt der Pfälzer so viele in seine -- ohnehin drastische Wen¬
dungen und Kürzen liebende, an Wort- und Satzbildern, an Sprichwörtern
und Redefiguren reiche Sprache, daß es Fremden gegenüber nicht selten zu
V cißv e r ständnisseu kommt.

Der Pfälzer und als sein Repräsentant der Neustädter, hat immer eine
große Meinung von seiner eigenen Person und eigenen Weisheit, und so wie


der Person. Hier gibt es längst keinen Adel nichr und was noch von dem
frühern Landadel übrig ist, macht keinen Gebrauch davon. In den Städten
spricht man eine Person nicht mit dem Amtstitel, sondern einfach bei ihrem
bürgerlichen Namen an und von der Titelsucht und dem Titelstolz des übrigen
Deutschlands wußte mau in der Pfalz bis in die neuere Zeit nichts. (Nach
und nach scheint sich das zu ändern.) Selbst der Unterschied zwischen Bürger
und Bauer besteht nicht mehr in einem Lande, wo jeder Bauer als Bürger
sich fühlt und als solcher angesehen wird. Es existiren keine städtischen Bor-
rechte mehr, in der Pfalz gibt es ebeu nur „Gemeinden", und ohnedies
können sich ja die meisten Dörfer der Einwohnerzahl, dem Reichthum und dem
äußern Ansehen nach neben die pfälzischen Städtchen stellen. — Wenn man
schließen wollte, der Beamtenstand sei hier nicht geachtet, so würde man weit
fehlschießen, im Gegentheil gibt der Pfälzer gern Ehre, dem Ehre gebührt,
aber eben nie in grober Unterwürfigkeit. Im Ganzen wäre zu wünschen,
daß Baiern und Pfalz einmal einsahen, daß keines durch das andere etwas
verliere und hüben wie drüben tüchtige der Achtung werthe Menschen wohnen.

Wenn irgendwo, so concentrirt sich in Neustadt an der Haardt pfälzisches
Wesen. Wenn der Pfälzer das Prototyp für die westdeutschen und
rheinischen Bevölkerungen, der Haardtbewohner wieder für die Pfälzer selbst
und der Neustädter für die Leute an der Haardt liefert, so potenzirt und con-
centrirt sich im Neustädter eine Lebhaftigkeit des Charakters, die dem übrigen
Deutschland völlig fremd ist. Das drückt sich schon in seiner Weise zu reden
aus und nirgend sind so viele drastische Nedefigmen im Schwung als in der
Pfalz und vor allem in Neustadt. Dabei nimmt er es mit Flüchen und Be>
theuningen nicht so genau und „krieg die Kreml!" und „der Teufel soll mich
holen" fährt bei jedem Satze ohne Anlaß heraus. Gar häufig ist ein freudiges:
„Jetzt soll dich das Duuuerwettcr—bist du do!" der freundlichste Gruß beim
Zusammentreffen von Bekannten, die sich Jahre lang nicht gesehen. Eine
derbe, aber immerhin noch gemüthliche Ungeniertheit, ein Hang zu Satire
und zum „Utz" ist ziemlich allgemein. Besonders aber wird den Fremden die
Masse von ironisch gemeinten Sätzen und Ausdrücken im ganz gewöhnlichen
Leben überraschen, wo der Pfälzer stets grade das Gegentheil von dem sagen
will, was er dem Wortlaute nach sagt, was in der Betonung der Wörter
liegt. Das „El jo!", will dann „El nein!" heißen. Solcher ironisch ge¬
meinten Sätze mischt der Pfälzer so viele in seine — ohnehin drastische Wen¬
dungen und Kürzen liebende, an Wort- und Satzbildern, an Sprichwörtern
und Redefiguren reiche Sprache, daß es Fremden gegenüber nicht selten zu
V cißv e r ständnisseu kommt.

Der Pfälzer und als sein Repräsentant der Neustädter, hat immer eine
große Meinung von seiner eigenen Person und eigenen Weisheit, und so wie


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[0164] der Person. Hier gibt es längst keinen Adel nichr und was noch von dem frühern Landadel übrig ist, macht keinen Gebrauch davon. In den Städten spricht man eine Person nicht mit dem Amtstitel, sondern einfach bei ihrem bürgerlichen Namen an und von der Titelsucht und dem Titelstolz des übrigen Deutschlands wußte mau in der Pfalz bis in die neuere Zeit nichts. (Nach und nach scheint sich das zu ändern.) Selbst der Unterschied zwischen Bürger und Bauer besteht nicht mehr in einem Lande, wo jeder Bauer als Bürger sich fühlt und als solcher angesehen wird. Es existiren keine städtischen Bor- rechte mehr, in der Pfalz gibt es ebeu nur „Gemeinden", und ohnedies können sich ja die meisten Dörfer der Einwohnerzahl, dem Reichthum und dem äußern Ansehen nach neben die pfälzischen Städtchen stellen. — Wenn man schließen wollte, der Beamtenstand sei hier nicht geachtet, so würde man weit fehlschießen, im Gegentheil gibt der Pfälzer gern Ehre, dem Ehre gebührt, aber eben nie in grober Unterwürfigkeit. Im Ganzen wäre zu wünschen, daß Baiern und Pfalz einmal einsahen, daß keines durch das andere etwas verliere und hüben wie drüben tüchtige der Achtung werthe Menschen wohnen. Wenn irgendwo, so concentrirt sich in Neustadt an der Haardt pfälzisches Wesen. Wenn der Pfälzer das Prototyp für die westdeutschen und rheinischen Bevölkerungen, der Haardtbewohner wieder für die Pfälzer selbst und der Neustädter für die Leute an der Haardt liefert, so potenzirt und con- centrirt sich im Neustädter eine Lebhaftigkeit des Charakters, die dem übrigen Deutschland völlig fremd ist. Das drückt sich schon in seiner Weise zu reden aus und nirgend sind so viele drastische Nedefigmen im Schwung als in der Pfalz und vor allem in Neustadt. Dabei nimmt er es mit Flüchen und Be> theuningen nicht so genau und „krieg die Kreml!" und „der Teufel soll mich holen" fährt bei jedem Satze ohne Anlaß heraus. Gar häufig ist ein freudiges: „Jetzt soll dich das Duuuerwettcr—bist du do!" der freundlichste Gruß beim Zusammentreffen von Bekannten, die sich Jahre lang nicht gesehen. Eine derbe, aber immerhin noch gemüthliche Ungeniertheit, ein Hang zu Satire und zum „Utz" ist ziemlich allgemein. Besonders aber wird den Fremden die Masse von ironisch gemeinten Sätzen und Ausdrücken im ganz gewöhnlichen Leben überraschen, wo der Pfälzer stets grade das Gegentheil von dem sagen will, was er dem Wortlaute nach sagt, was in der Betonung der Wörter liegt. Das „El jo!", will dann „El nein!" heißen. Solcher ironisch ge¬ meinten Sätze mischt der Pfälzer so viele in seine — ohnehin drastische Wen¬ dungen und Kürzen liebende, an Wort- und Satzbildern, an Sprichwörtern und Redefiguren reiche Sprache, daß es Fremden gegenüber nicht selten zu V cißv e r ständnisseu kommt. Der Pfälzer und als sein Repräsentant der Neustädter, hat immer eine große Meinung von seiner eigenen Person und eigenen Weisheit, und so wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/164>, abgerufen am 21.12.2024.