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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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viele der wichtigste Haltpunkt gegen .Unrecht und Betrug. Lang geltende
Grundsätze des Verkehrs kann man nicht beseitigen, ohne daß infolge davon
einige Verwüstung unter den Trägern des Verkehrs angerichtet wird. Die
Entsittlichung des Verkehrs mußte seiner Schwächung vorangehn.

Dieser wilde, so vielfach aus den Schranken des Gewohnten und des
Rechten tretende Speculationsgeist wurde dann durch eine andere Thatsache
des modernen Verkehrs gewaltig unterstützt. Die ausgedehnte Anwen-
dung des Dampfes, der elektrischen Kraft für Verkehrszwecke trieb
nicht blos äußerlich zu rascheren Thun und Denken, sondern führte auch in den
Verkehr selbst ganz neue Mächte ein. Der Verkehr bekam jetzt eine Sicher¬
heit und eine Regelmäßigkeit, wie sie früher nicht einmal denkbar gewesen
waren. Aber grade hierin lag die Versuchung zu einem gefährlichen Mi߬
brauch, der endlich auf die Urheber zurückging. In früheren Zeiten hatte sich
der Verkehr in den Bahnen des Ungewissen bewegt; Vermögen konnten ge¬
wonnen und verloren werden, blos weil an einem andern Orte ein unerwar¬
tetes, den Handel berührendes Ereigniß eingetreten war. Die großen Specu-
lanten wandten daher entweder besondere Mittel an, um bestimmte Dinge
früher wie die andern zu erfahren, dnrch Courierpferde. Taubenposten u. s. w.
oder versuchten durch Verbindungen und Scharfsinn das Kommende im Vor¬
aus zu ahnen. Die Mittel auf den Verkehr einzuwirken waren natürlich da¬
mals viel eingeschränkter und setzten die belangreichsten Geldmittel voraus.
Anders die heutige Speculation. Alle Börsen Europas stehen durch den
Telegraphendraht in der unmittelbarsten Verbindung miteinander, und inner¬
halb der kürzesten Frist weiß jede derselben, was an jeder andern geschieht,
politische Ereignisse und deren Rückwirkung, finanzielle Ergebnisse, Course,
Waarenzufuhren u. f. w. Die großen Speculanten müssen jetzt also ganz
anders operiren. Ueberrascht werden können sie meist so wenig, wie sie
selbst andere überraschen können. Aber sie vermögen mit verhältnißmäßig
geringen Mitteln die umfangreichsten Speculationen einzuleiten. Sie geben
z. B. für bestimmte Waaren bestimmte Einkauf- oder Verkaufordres, um
unter deren Rückwirkung ans die Preise irgend einen Gewinn zu realisiren.
Dergleichen, früher uur durch wohlcombinirte, im Einzelnen sorgsam geleitete
Unternehmungen möglich, läßt sich jetzt außerordentlich einfach durch Dampf
und Telegraphen bewerkstelligen, und ist man dabei durch tue raschere und
zuverlässigere Kunde aller Börsenvorgänge noch mehr gegen Überraschungen
geschützt als früher. In dieser Veränderung sehen wir eine der Hauptver¬
anlassungen zu den kolossalen WaarenauMicherungen und Waarenpreis-
steigernngen. welche der Krisis unmittelbar vorangingen. In früherer Zeit konn¬
ten an dem einen Orte noch Geschäfte zu einem Preise gemacht werden, an
den anderswo nicht mehr zu denken war, jetzt aber werden die londoner


viele der wichtigste Haltpunkt gegen .Unrecht und Betrug. Lang geltende
Grundsätze des Verkehrs kann man nicht beseitigen, ohne daß infolge davon
einige Verwüstung unter den Trägern des Verkehrs angerichtet wird. Die
Entsittlichung des Verkehrs mußte seiner Schwächung vorangehn.

Dieser wilde, so vielfach aus den Schranken des Gewohnten und des
Rechten tretende Speculationsgeist wurde dann durch eine andere Thatsache
des modernen Verkehrs gewaltig unterstützt. Die ausgedehnte Anwen-
dung des Dampfes, der elektrischen Kraft für Verkehrszwecke trieb
nicht blos äußerlich zu rascheren Thun und Denken, sondern führte auch in den
Verkehr selbst ganz neue Mächte ein. Der Verkehr bekam jetzt eine Sicher¬
heit und eine Regelmäßigkeit, wie sie früher nicht einmal denkbar gewesen
waren. Aber grade hierin lag die Versuchung zu einem gefährlichen Mi߬
brauch, der endlich auf die Urheber zurückging. In früheren Zeiten hatte sich
der Verkehr in den Bahnen des Ungewissen bewegt; Vermögen konnten ge¬
wonnen und verloren werden, blos weil an einem andern Orte ein unerwar¬
tetes, den Handel berührendes Ereigniß eingetreten war. Die großen Specu-
lanten wandten daher entweder besondere Mittel an, um bestimmte Dinge
früher wie die andern zu erfahren, dnrch Courierpferde. Taubenposten u. s. w.
oder versuchten durch Verbindungen und Scharfsinn das Kommende im Vor¬
aus zu ahnen. Die Mittel auf den Verkehr einzuwirken waren natürlich da¬
mals viel eingeschränkter und setzten die belangreichsten Geldmittel voraus.
Anders die heutige Speculation. Alle Börsen Europas stehen durch den
Telegraphendraht in der unmittelbarsten Verbindung miteinander, und inner¬
halb der kürzesten Frist weiß jede derselben, was an jeder andern geschieht,
politische Ereignisse und deren Rückwirkung, finanzielle Ergebnisse, Course,
Waarenzufuhren u. f. w. Die großen Speculanten müssen jetzt also ganz
anders operiren. Ueberrascht werden können sie meist so wenig, wie sie
selbst andere überraschen können. Aber sie vermögen mit verhältnißmäßig
geringen Mitteln die umfangreichsten Speculationen einzuleiten. Sie geben
z. B. für bestimmte Waaren bestimmte Einkauf- oder Verkaufordres, um
unter deren Rückwirkung ans die Preise irgend einen Gewinn zu realisiren.
Dergleichen, früher uur durch wohlcombinirte, im Einzelnen sorgsam geleitete
Unternehmungen möglich, läßt sich jetzt außerordentlich einfach durch Dampf
und Telegraphen bewerkstelligen, und ist man dabei durch tue raschere und
zuverlässigere Kunde aller Börsenvorgänge noch mehr gegen Überraschungen
geschützt als früher. In dieser Veränderung sehen wir eine der Hauptver¬
anlassungen zu den kolossalen WaarenauMicherungen und Waarenpreis-
steigernngen. welche der Krisis unmittelbar vorangingen. In früherer Zeit konn¬
ten an dem einen Orte noch Geschäfte zu einem Preise gemacht werden, an
den anderswo nicht mehr zu denken war, jetzt aber werden die londoner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/15>, abgerufen am 30.12.2024.