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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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aber anstatt dessen neben der Sucht nach raschem, mühelosem Gewinn eine
allmälige Untcrwühlung des öffentlichen Wohlstandes vor sich gehen müsse,
weshalb wir schon im Juli auf eine im kaufmännischen Verkehr eingetretene
Krankheit und die Nähe einer bevorstehenden Krisis aufmerksam machen konn¬
ten. Es ist seitdem allerdings Vieles geschehen, was manche Anschauungen
entweder im Einzelnen berichtigt, oder sie vervollständigt. So ist es namentlich
in derZwischenzeithervorgetreten, mole ausgedehnten Kreisen die Sucht schneU
reich zu werden um sich gegriffen hatte bis zu jener wilden Habsucht, die kaum
noch durch die Scheu vor den Criminalgesetzcn gezügelt wird. Und es ist dies
am Ende begreiflich genug, sobald einmal der Cultus des Gewinns und der
Ideenlosigkeit förmlich gepflegt wird. Jede andere Leidenschaft, politischer
und religiöser Fanatismus, Herrschbegierde, Eroberungssucht findet noch
irgendwo im menschlichen Gebiete den Anklang an ein Besseres, Edleres,
nicht aber der Durst nach Gewinn. Wo der nackt auftritt, ungcbändigt
durch ein gleichzeitiges höheres Streben in den Menschen selbst, da kann
sittliches und wirthschaftliches Verderben nicht ausbleiben. Das hatte sich
von dem Augenblicke an vorbereitet, als das neufranzösische Kaiserthum
die Unmöglichkeit einsah, mit Ideen zu herrschen, und es nun unternahm,
die Menschen zu bestechen. Jene so vielfach besprochenen Credit - Mo-
biliers waren der crasseste Ausfluß dieser Richtung, und- nur deutschen
Enthusiasten war es gegeben, sie als ernste Erscheinungen und nicht als bloße
Handhabe des französischen Kaisers zur Erreichung seiner Zwecke zu betrach¬
ten; und wenn auch die Credits-Mobiliers nicht allein gesündigt haben, so ist
doch durch sie unendlich viel dazu beigetragen worden, jeglichen innern Damm
des Habenwollens zu entfernen. Die Credits-Mobiliers haben das Spiel mit
Börsenpapieren in Kreise gebracht, die sich sonst fern von ihm hielten, und
so die alte Kausmannsmoral von allen Seiten durchlöchert. Kaufmanns¬
moral wird vielleicht mancher mit lächelndem Munde fragen, was ist sie? wo ist
sie? ist sie von der berüchtigten Dicbsmoral sehr weit entfernt? Der Unter¬
schied liegt nahe genug, zunächst im Zwecke selbst. Das Stehlen ist unter
allen Umständen eine unerlaubte, unsittliche Handlung; der kaufmännische Ver¬
kehr aber nur, wenn er an der Grenze des Betrugs anlangt. Und wenn die
Diebsmoral denjenigen Grenzstein festsetzt, wo auch die Spitzbuben ehrliche
Leute sein sollen, so schließt die Kausmannsmoral solche Handlungen aus,
die. wenn auch nicht mit der Schärfe des Gesetzes erreichbar, doch das all¬
gemeine oder ein besonderes Interesse stark angreifen. "Es ist nicht anständig"
so oder so zu handeln, das ist die kaufmännische Redeweise, und sie hält in
vielen Kreisen noch immer vor. Aber so wie man manchen Menschen ihren
Priester und ihre gewohnte Andachtsübung nicht rauben kann, ohne sie zu¬
gleich zu entsittlichen, so ist im Vcrkchrslcben der kaufmännische Gebrauch für


aber anstatt dessen neben der Sucht nach raschem, mühelosem Gewinn eine
allmälige Untcrwühlung des öffentlichen Wohlstandes vor sich gehen müsse,
weshalb wir schon im Juli auf eine im kaufmännischen Verkehr eingetretene
Krankheit und die Nähe einer bevorstehenden Krisis aufmerksam machen konn¬
ten. Es ist seitdem allerdings Vieles geschehen, was manche Anschauungen
entweder im Einzelnen berichtigt, oder sie vervollständigt. So ist es namentlich
in derZwischenzeithervorgetreten, mole ausgedehnten Kreisen die Sucht schneU
reich zu werden um sich gegriffen hatte bis zu jener wilden Habsucht, die kaum
noch durch die Scheu vor den Criminalgesetzcn gezügelt wird. Und es ist dies
am Ende begreiflich genug, sobald einmal der Cultus des Gewinns und der
Ideenlosigkeit förmlich gepflegt wird. Jede andere Leidenschaft, politischer
und religiöser Fanatismus, Herrschbegierde, Eroberungssucht findet noch
irgendwo im menschlichen Gebiete den Anklang an ein Besseres, Edleres,
nicht aber der Durst nach Gewinn. Wo der nackt auftritt, ungcbändigt
durch ein gleichzeitiges höheres Streben in den Menschen selbst, da kann
sittliches und wirthschaftliches Verderben nicht ausbleiben. Das hatte sich
von dem Augenblicke an vorbereitet, als das neufranzösische Kaiserthum
die Unmöglichkeit einsah, mit Ideen zu herrschen, und es nun unternahm,
die Menschen zu bestechen. Jene so vielfach besprochenen Credit - Mo-
biliers waren der crasseste Ausfluß dieser Richtung, und- nur deutschen
Enthusiasten war es gegeben, sie als ernste Erscheinungen und nicht als bloße
Handhabe des französischen Kaisers zur Erreichung seiner Zwecke zu betrach¬
ten; und wenn auch die Credits-Mobiliers nicht allein gesündigt haben, so ist
doch durch sie unendlich viel dazu beigetragen worden, jeglichen innern Damm
des Habenwollens zu entfernen. Die Credits-Mobiliers haben das Spiel mit
Börsenpapieren in Kreise gebracht, die sich sonst fern von ihm hielten, und
so die alte Kausmannsmoral von allen Seiten durchlöchert. Kaufmanns¬
moral wird vielleicht mancher mit lächelndem Munde fragen, was ist sie? wo ist
sie? ist sie von der berüchtigten Dicbsmoral sehr weit entfernt? Der Unter¬
schied liegt nahe genug, zunächst im Zwecke selbst. Das Stehlen ist unter
allen Umständen eine unerlaubte, unsittliche Handlung; der kaufmännische Ver¬
kehr aber nur, wenn er an der Grenze des Betrugs anlangt. Und wenn die
Diebsmoral denjenigen Grenzstein festsetzt, wo auch die Spitzbuben ehrliche
Leute sein sollen, so schließt die Kausmannsmoral solche Handlungen aus,
die. wenn auch nicht mit der Schärfe des Gesetzes erreichbar, doch das all¬
gemeine oder ein besonderes Interesse stark angreifen. „Es ist nicht anständig"
so oder so zu handeln, das ist die kaufmännische Redeweise, und sie hält in
vielen Kreisen noch immer vor. Aber so wie man manchen Menschen ihren
Priester und ihre gewohnte Andachtsübung nicht rauben kann, ohne sie zu¬
gleich zu entsittlichen, so ist im Vcrkchrslcben der kaufmännische Gebrauch für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/14>, abgerufen am 21.12.2024.