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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Gestellten von den letztern keine materiellen Opfer verlangt, ob sie schon den
größten Dienst in sich schließt, den ein Mensch dem andern erzeigen kann: so
stellt sie sich auch in Beziehung auf die, denen sie zu Gute kommt, nicht als
ein Almosen dar. Ist es doch die eigne Anstrengung, auf welche man sie ver¬
weist, wird ihnen doch nichts geschenkt, was sie nicht selbst verdienen müßten, und
wenn auch die Aufmunterung, der Nath, ja sogar die anfängliche Leitung ihrer Be¬
strebungen Seitens ihrer erfahrenem und vermögenderen Mitbürger nöthig wird,
liegt doch in einer solchen Unterstützung nichts von dem Demüthigenden eines
Almosens. Vielmehr gereicht eine solche Näherung den bisher durch eine
schroffe Kluft getrennten Classen zu gemeinsamem Vortheil. Beide lernen von
einander, gewinnen zu einander Vertrauen, und indem die höhern Stände
durch solche Bethätigung ihrer Theilnahme zur Verbesserung des Looses der
niedern beitragen, machen sie die letzteren die Ungunst des Schicksals, welche
jenen so viel vorausgab, vergessen, und bewirken, daß jeder, bei der Möglich¬
keit sich emporzuarbeiten, zufriedner und eifriger auf der ihm angewiesenen
Stelle seine Pflicht thut, was nothwendig in seiner letzten Folge dem Gesammt-
wohl zu statten kommt. Und weit gefehlt, daß dadurch eine das Wesen der
Selbsthilfe, das wir so hoch anschlagen, ertödtende Bevormundung entstände.
Denn müssen wir auch bei der ersten Gründung der Associationen die Ein¬
wirkung von Berathern und Leitern außerhalb des Kreises der Mitglieder
zulassen, so ist eine solche Schule, eine solche Erziehung zur Selbsthilfe ja
ein bloßer Durchgangspunkt zur künftigen vollständigen Selbständigkeit,
welcher die letztere mit wirklicher Frucht und gesichertem Erfolge überhaupt
erst möglich macht. So wenig wie jemand bei jungen unerfahrenen Menschen
die Lehre, die Unterweisung in irgend einer Kenntniß oder Beschäftigung für
eine Beeinträchtigung ihrer Selbständigkeit halten wird, zu der sie grade
dadurch erst gelangen wollen, so wenig kann in unserm Falle beim Einlernen
in noch ungewohnte Geschäfts- und Verkehrsformen, überhaupt bei Ueber¬
windung der vielfachen Schwierigkeiten dieser, wie aller ersten Anfänge, die
nöthige Anleitung dazu als Bevormundung betrachtet werden. Das ist einer
der wesentlichsten Unterschiede zwischen der von uns geforderten Beihilfe von
der andern, wie sie in der Form der Mildthätigkeit auftritt. Während die
letztere den Charakter des Bleibenden, der Dauer annimmt, sich durch ihre
eignen Folgen immer unentbehrlicher macht, immer größere Dimensionen an¬
nimmt, und genöthigt ist, sich als eine ins Unendliche wachsende Last der
Gesellschaft am Ende für permanent zu erklären: zeigt die erstere vielmehr
die stetige Tendenz, sich immer entbehrlicher zu machen, indem allmälig die
belebende Strömung der wirkenden Kräfte von den Helfern sich mehr und
mehr denen mittheilt, denen geholfen werden soll, und so zu deren eigenster
That, zur Selbsthilfe wird. Dort also ein ewig sich hinschleppendes stets


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Gestellten von den letztern keine materiellen Opfer verlangt, ob sie schon den
größten Dienst in sich schließt, den ein Mensch dem andern erzeigen kann: so
stellt sie sich auch in Beziehung auf die, denen sie zu Gute kommt, nicht als
ein Almosen dar. Ist es doch die eigne Anstrengung, auf welche man sie ver¬
weist, wird ihnen doch nichts geschenkt, was sie nicht selbst verdienen müßten, und
wenn auch die Aufmunterung, der Nath, ja sogar die anfängliche Leitung ihrer Be¬
strebungen Seitens ihrer erfahrenem und vermögenderen Mitbürger nöthig wird,
liegt doch in einer solchen Unterstützung nichts von dem Demüthigenden eines
Almosens. Vielmehr gereicht eine solche Näherung den bisher durch eine
schroffe Kluft getrennten Classen zu gemeinsamem Vortheil. Beide lernen von
einander, gewinnen zu einander Vertrauen, und indem die höhern Stände
durch solche Bethätigung ihrer Theilnahme zur Verbesserung des Looses der
niedern beitragen, machen sie die letzteren die Ungunst des Schicksals, welche
jenen so viel vorausgab, vergessen, und bewirken, daß jeder, bei der Möglich¬
keit sich emporzuarbeiten, zufriedner und eifriger auf der ihm angewiesenen
Stelle seine Pflicht thut, was nothwendig in seiner letzten Folge dem Gesammt-
wohl zu statten kommt. Und weit gefehlt, daß dadurch eine das Wesen der
Selbsthilfe, das wir so hoch anschlagen, ertödtende Bevormundung entstände.
Denn müssen wir auch bei der ersten Gründung der Associationen die Ein¬
wirkung von Berathern und Leitern außerhalb des Kreises der Mitglieder
zulassen, so ist eine solche Schule, eine solche Erziehung zur Selbsthilfe ja
ein bloßer Durchgangspunkt zur künftigen vollständigen Selbständigkeit,
welcher die letztere mit wirklicher Frucht und gesichertem Erfolge überhaupt
erst möglich macht. So wenig wie jemand bei jungen unerfahrenen Menschen
die Lehre, die Unterweisung in irgend einer Kenntniß oder Beschäftigung für
eine Beeinträchtigung ihrer Selbständigkeit halten wird, zu der sie grade
dadurch erst gelangen wollen, so wenig kann in unserm Falle beim Einlernen
in noch ungewohnte Geschäfts- und Verkehrsformen, überhaupt bei Ueber¬
windung der vielfachen Schwierigkeiten dieser, wie aller ersten Anfänge, die
nöthige Anleitung dazu als Bevormundung betrachtet werden. Das ist einer
der wesentlichsten Unterschiede zwischen der von uns geforderten Beihilfe von
der andern, wie sie in der Form der Mildthätigkeit auftritt. Während die
letztere den Charakter des Bleibenden, der Dauer annimmt, sich durch ihre
eignen Folgen immer unentbehrlicher macht, immer größere Dimensionen an¬
nimmt, und genöthigt ist, sich als eine ins Unendliche wachsende Last der
Gesellschaft am Ende für permanent zu erklären: zeigt die erstere vielmehr
die stetige Tendenz, sich immer entbehrlicher zu machen, indem allmälig die
belebende Strömung der wirkenden Kräfte von den Helfern sich mehr und
mehr denen mittheilt, denen geholfen werden soll, und so zu deren eigenster
That, zur Selbsthilfe wird. Dort also ein ewig sich hinschleppendes stets


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[0137] Gestellten von den letztern keine materiellen Opfer verlangt, ob sie schon den größten Dienst in sich schließt, den ein Mensch dem andern erzeigen kann: so stellt sie sich auch in Beziehung auf die, denen sie zu Gute kommt, nicht als ein Almosen dar. Ist es doch die eigne Anstrengung, auf welche man sie ver¬ weist, wird ihnen doch nichts geschenkt, was sie nicht selbst verdienen müßten, und wenn auch die Aufmunterung, der Nath, ja sogar die anfängliche Leitung ihrer Be¬ strebungen Seitens ihrer erfahrenem und vermögenderen Mitbürger nöthig wird, liegt doch in einer solchen Unterstützung nichts von dem Demüthigenden eines Almosens. Vielmehr gereicht eine solche Näherung den bisher durch eine schroffe Kluft getrennten Classen zu gemeinsamem Vortheil. Beide lernen von einander, gewinnen zu einander Vertrauen, und indem die höhern Stände durch solche Bethätigung ihrer Theilnahme zur Verbesserung des Looses der niedern beitragen, machen sie die letzteren die Ungunst des Schicksals, welche jenen so viel vorausgab, vergessen, und bewirken, daß jeder, bei der Möglich¬ keit sich emporzuarbeiten, zufriedner und eifriger auf der ihm angewiesenen Stelle seine Pflicht thut, was nothwendig in seiner letzten Folge dem Gesammt- wohl zu statten kommt. Und weit gefehlt, daß dadurch eine das Wesen der Selbsthilfe, das wir so hoch anschlagen, ertödtende Bevormundung entstände. Denn müssen wir auch bei der ersten Gründung der Associationen die Ein¬ wirkung von Berathern und Leitern außerhalb des Kreises der Mitglieder zulassen, so ist eine solche Schule, eine solche Erziehung zur Selbsthilfe ja ein bloßer Durchgangspunkt zur künftigen vollständigen Selbständigkeit, welcher die letztere mit wirklicher Frucht und gesichertem Erfolge überhaupt erst möglich macht. So wenig wie jemand bei jungen unerfahrenen Menschen die Lehre, die Unterweisung in irgend einer Kenntniß oder Beschäftigung für eine Beeinträchtigung ihrer Selbständigkeit halten wird, zu der sie grade dadurch erst gelangen wollen, so wenig kann in unserm Falle beim Einlernen in noch ungewohnte Geschäfts- und Verkehrsformen, überhaupt bei Ueber¬ windung der vielfachen Schwierigkeiten dieser, wie aller ersten Anfänge, die nöthige Anleitung dazu als Bevormundung betrachtet werden. Das ist einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen der von uns geforderten Beihilfe von der andern, wie sie in der Form der Mildthätigkeit auftritt. Während die letztere den Charakter des Bleibenden, der Dauer annimmt, sich durch ihre eignen Folgen immer unentbehrlicher macht, immer größere Dimensionen an¬ nimmt, und genöthigt ist, sich als eine ins Unendliche wachsende Last der Gesellschaft am Ende für permanent zu erklären: zeigt die erstere vielmehr die stetige Tendenz, sich immer entbehrlicher zu machen, indem allmälig die belebende Strömung der wirkenden Kräfte von den Helfern sich mehr und mehr denen mittheilt, denen geholfen werden soll, und so zu deren eigenster That, zur Selbsthilfe wird. Dort also ein ewig sich hinschleppendes stets Gmizlwte» it. Il^L. 1,7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/137>, abgerufen am 22.12.2024.